Die Katholische Militärseelsorge im Einsatz: ein Militärpfarrer (l.) in Gao in Mali. Foto: Christina Lux

Die Katholische Militärseelsorge im Einsatz: ein Militärpfarrer (l.) in Gao in Mali. Foto: Christina Lux

10.09.2019
ch

"Das geht einem lange nach"

Monsignore Joachim Simon, Leitender Militärdekan des Katholischen Militärbischofsamts, spricht im Interview über die Aufgaben der Militärseelsorge im Auslandseinsatz, darüber, wie dringend Militärrabbiner gebraucht werden und dass auch Militärpfarrer schwer an ihren Einsatzerfahrungen zu tragen haben.

Die Bundeswehr: Monsignore Simon, Sie waren als Militärseelsorger bereits in mehreren Auslandseinsätzen?
Monsignore Joachim Simon: Ich bin im Jahr 1992 in die Militärseelsorge eingetreten und hatte meine erste seelsorgerische Einsatzbegleitung im Jahr 1997 beim ersten deutschen SFOR-Kontingent, dann 1999 beim zweiten deutschen KFOR-Kontingent. Und ich war im Jahr 2002 gemeinsam mit einem evangelischen Amtsbruder der erste Pfarrer überhaupt beim Einsatz in Afghanistan.
Diese persönlichen Erfahrungen als begleitender Militärseelsorger liegen schon etwas zurück, allerdings wurde ich im Jahr 2003 an das Katholische Militärbischofsamt nach Berlin berufen, um hier Verantwortung für die Koordination und Planung der seelsorgerischen Einsatzbegleitung zu übernehmen. Es gehört jetzt also zu meinen Aufgaben, Militärseelsorger für die Einsatzbegleitung fit zu machen, sie während des Einsatzes zu führen und nach Ende des Einsatzes dazu beizutragen, dass sie wieder in den deutschen Kasernenalltag zurückfinden und das Ganze gut verarbeiten. In dieser Funktion unternehme ich auch mehrmals im Jahr Dienstreisen in die verschiedenen Einsatzgebiete.

Mit welchen Anliegen kommen die Soldaten im Einsatz zum Militärseelsorger?
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, da wir das Seelsorgegeheimnis wahren müssen – es sei denn, der Bittsteller bittet den Pfarrer ausdrücklich darum, in seiner Angelegenheit aktiv zu werden. Allgemein gesprochen geht es häufig um Partnerschaftsprobleme: Die langjährige Verbindung läuft aus dem Ruder oder es kommt zur Entfremdung durch die lange Trennung. Insbesondere wenn es auf das Ende des Einsatzes zugeht, haben Soldaten auch häufig das Gefühl, in Beurteilungen durch Vorgesetzte ungerecht behandelt worden zu sein. Auch geht es, und das vor allem bei Einsatzveteranen, um den Sinn des Ganzen: Jetzt sind wir schon so lange in Afghanistan, was hat sich denn hier zum Besseren verändert? Welchen Preis zahle ich persönlich dafür? War es das Opfer wert? Das sind so Fragen, die auch mit dem Militärseelsorger besprochen werden. Das beschäftigt die Leute und sie sind froh, mit jemandem darüber reden zu können, der einfach einmal zuhört.

Welchen Glaubensrichtungen gehören die Soldaten, die sich an einen Militärpfarrer wenden, in der Regel an?
Da gibt es überhaupt keine Berührungsängste. Wer in seelischer Not ist oder nur einfach mal über sein Leben sprechen möchte – man muss ja nicht immer einen Notfall konstruieren –, der geht zum Pfarrer zum Gespräch. Das sind durch die Bank weg alle Konfessionen, aber auch konfessionell ungebundene Soldatinnen und Soldaten.

Welcher Bedarf besteht aus Ihrer Sicht an Mi­litärrabbinern oder an Ansprechpartnern für muslimische Glaubensrichtungen?
Zuerst einmal freue ich mich sehr auf die jüdische Militärseelsorge, weil ich glaube, dass die rabbinische Weisheit der Militärseelsorge viel geben kann. Wenn ich mich richtig an die Auftaktveranstaltung hier in Berlin zum Thema „Einführung einer jüdischen Militärseelsorge“ erinnere, will die jüdische Militärseelsorge einen Beitrag zur ethischen Ausbildung leisten. Wenn sie aber in den Einsatz gehen, dann sage ich: „Herzlich Willkommen.“ Wir sind dringend auf Entlastung angewiesen, denn wir haben größte Schwierigkeiten, einen Ersatz zu finden, wenn ein Pfarrer ausfällt. Eine Entlastung durch nichtchristliche Militärseelsorger würde ich sehr begrüßen.
Was die muslimische Militärseelsorge angeht: Grundsätzlich hat jeder Soldat ein Recht auf ungestörte Religionsausübung. Die Frage ist aber, ob der Islam überhaupt eine Seelsorge kennt, wie wir sie im christlichen und jüdischen Verständnis praktizieren. Der Islam kennt Vorbeter, die auch einmal Lebensratschläge erteilen. Aber eine nachgehende Seelsorge, die zu den Menschen kommt und fragt, wie es ihnen geht, scheint auf der muslimischen Seite eher ungewohnt.
Im Einsatzgebiet kenne ich es nur vom Balkan, dass der eine oder andere Soldat muslimischen Glaubens kam und den Pfarrer bat, sich dafür einzusetzen, dass er am Freitagsgebet in der Moschee im Ort teilnehmen konnte. Das war überhaupt kein Problem.

Welche Angebote der Militärseelsorge stehen dem Pfarrer im Einsatzland zur Verfügung?
Es ist die Kunst des Pfarrers, sich auf das jeweilige Kontingent einzulassen und zu sehen, welche Aktivitäten der militärische Auftrag überhaupt zulässt. Im Kosovo konnte man Ausflüge organisieren und schöne Klöster besuchen, das geht zum Beispiel in Afghanistan nicht. Wenn man nur im Feldlager bleiben muss, dann muss der Pfarrer natürlich seinen Grundverpflichtungen nachkommen und an kirchlichen Feiertagen sowie am Wochenende Gottesdienste anbieten. Der Hauptgottesdienst am Sonntag wird häufig als überkonfessioneller Gottesdienst angeboten.
Ein Renner ist das ökumenische Bibelfrühstück. Weiterhin kann der Pfarrer Kinoabende organisieren, aber nicht im Sinne einer Lehrstunde. „Don Camillo und Peppone“ steht ganz oben auf der Wunschliste der Soldaten, genauso wie zum Beispiel „Gran Torino“. Auch Taizégebete kommen gut als kurze Auszeit an, ebenso wie gesellige Runden.
Da wir jetzt nur noch einen Militärgeistlichen einer Konfession an einem Stationierungsort haben, muss dieser natürlich über den Tellerrand seines eigenen konfessionellen Raums schauen. Er muss von Beginn an für alle Glaubensrichtungen offen sein, muss sein Herz weiten und sich fragen, wie er jemanden, der in einer anderen kulturellen oder Glaubensumgebung aufgewachsen ist, ansprechen kann.
 
Sind Militärpfarrer schon an ihre eigenen Grenzen gestoßen in dem Bemühen, für die Soldaten im Einsatz da zu sein?
Wir haben in der katholischen Militärseelsorge einen anerkannten Fall eines PTBS-belasteten Militärgeistlichen. Es gibt andere ehemalige Militärpfarrer, die noch immer schwer unter dem leiden, was sie als Einsatzseelsorger in einem Kriegsgebiet erlebt oder erfahren haben. Inwieweit diese tatsächlich belastet sind, kann man erst dann erfahren, wenn sie sich an die Bundeswehr wenden und dort das Vorliegen einer Einsatzschädigung prüfen lassen.
Ich glaube schon, dass es Pfarrer gibt, die lange etwas mit sich herumtragen. Dies insbesondere, wenn sie das Gefühl haben, versagt oder in einer bestimmten Situation nicht die richtigen Worte gefunden zu haben. Das geht einem lange nach. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen.

Wie sieht die Reintegration der Militärpfarrer nach ihrem Auslandseinsatz aus?
Natürlich ermutigen wir unsere Pfarrer, an den Reintegrationsseminaren der Bundeswehr teilzunehmen, aber dann in der Rolle des Seelsorgers. Unabhängig davon haben wir unsere eigene Reintegration für unsere Pfarrer. Wir schicken sie für drei Tage in das Haus Ohrbeck in Georgsmarienhütte, dort stehen ein geschulter Psychologe und ein geistlicher Ansprechpartner zur Verfügung. Es gibt kein fest vorgegebenes Programm, es werden strukturierte Gespräche angeboten, aber sie sind keine Pflicht. Wenn der Militärpfarrer seine Ruhe haben will, dann geht das auch. Bisher hat sich aber – bis auf einen – jeder geöffnet und war bereit, über seine Erfahrungen zu sprechen.

War Ihre persönliche Rückkehr aus dem Einsatz schwierig?
Meine Rückkehr aus dem SFOR-Einsatz war so, dass ich gleich anschließend verpflichtet wurde, den Zugpfarrer für die Internationale Soldatenwallfahrt nach Lourdes zu machen. Da hatte ich also gar keine Zeit, groß nachzudenken. Als ich 1999 nach vier Monaten aus dem Kosovo zurückkam, war das anders. Der Einsatz ist mir in der Tat lange nachgegangen. Ich war bei Exhumierungen zur Beweissicherung dabei, bei einer gerichtsmedizinischen Untersuchung dessen, was von einem Menschen übriggeblieben ist, der schon ein paar Monate unter der Erde gelegen hat. Ich habe danach sehr lange gebraucht, bis ich wieder Lebensfreude empfunden habe. Die erste Zeit nach der Rückkehr war ich richtig deprimiert. Ich habe mich dann meinem Vorgesetzten gegenüber geöffnet und der hat mir eine Brücke gebaut zu einem geistlichen Berater, der auch ausgebildeter Psychologe und Arzt war. Dieser hat mir geholfen, das Durcheinander in meinem Kopf allmählich wieder zu sortieren.
Beim dritten Mal war ich nur zwei Monate in Afghanistan, allerdings war das sehr prägend, weil ich die Überführung der ersten deutschen Einsatztoten in Afghanistan im Flieger begleitet habe. Das war gleichzeitig mein „Out“. An dem Tag, als mein Nachfolger kam, ist es passiert: Da ist diese Rakete in Kabul explodiert mit zwei deutschen und drei dänischen Toten und etlichen Verletzten. Bei der Verarbeitung aller drei Einsätze hat mir sehr geholfen, dass man als Pfarrer hinterher auf zahlreichen Veranstaltungen über die Einsatzerfahrungen spricht. Und durch dieses Reden darüber verarbeitet man selbst.

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