"Der Sport stellt Vertrauen wieder her" - Hauptfeldwebel Steffi Matz bei den Invictus Games in Toronto. Foto: privat

"Der Sport stellt Vertrauen wieder her" - Hauptfeldwebel Steffi Matz bei den Invictus Games in Toronto. Foto: privat

05.04.2018
mk

„Der Sport hat mir das Vertrauen zurückgegeben“

In ihrem bislang letzten Einsatz in Afghanistan 2014 wurde Hauptfeldwebel Steffi Matz seelisch stark geschädigt, sie leidet an PTBS. Um wieder in ein aktives Leben zurückzufinden, schloss sie sich der Gruppe Sporttherapie nach Einsatzschädigung an der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf an. Das hat sich gelohnt, in jeder Hinsicht: Drei Jahre später durfte Matz im Herbst 2017 an den Invictus Games, den Weltspielen versehrter Soldatinnen und Soldaten, in Toronto teilnehmen. Im Interview mit dem DBwV spricht sie über die Therapie, ihre Ziele für 2018 und den Stellenwert von Veteranen.

Frau Matz, Sie sind nach Ihrem Debüt im vergangenen Jahr auch für 2018 ins Team für die Invictus Games berufen worden. Sie sind sicher stolz, oder?
Natürlich. Ich befinde mich jetzt in der Phase der Potenzialfeststellung, da testet jeder Athlet für sich, wo die eigenen Stärken liegen und welche Sportarten man gerne machen würde. Meine Favoriten werden die Wurfdisziplinen sein, also Kugelstoßen und Diskuswurf, dazu Rudern. Wir stellen auch eine Mannschaft im Sitzvolleyball, was mich besonders freut. Mein Ziel ist es, mich in allen Disziplinen zu verbessern und eventuell sogar eine Medaille zu gewinnen.

Wie qualifiziert man sich für die Invictus Games?
Das läuft alles über die Gruppe Sporttherapie in Warendorf. Dieselben Trainer, die uns vor Ort betreuen, nominieren auch die Mannschaft. Vorher wird man regelmäßig zu Lehrgängen eingeladen. Die Trainer schauen dann, wer sowohl körperlich wie auch geistig schon bereit für so ein Ereignis ist. Denn so schön eine Teilnahme für uns Sportler auch ist: Es ist sehr anstrengend, auch mental. Es geht von morgens bis abends nur um die Wettkämpfe. Wenn man selber nicht am Start ist, feuert man die anderen an. Die Woche in Toronto war wirklich sehr kräftezehrend …

…zumal ja auch Situationen entstehen können, die bestimmte Erinnerungen wachrufen. In Toronto mussten Sie zum Beispiel stundenlang mit den anderen Athleten in einem sehr engen Raum ausharren, dabei wurden Sie sogar von Therapiehunden begleitet …
Ja, man muss dem erst einmal wieder Stand halten können. Zu der Gruppe Sporttherapie gehört auch eine Psychologin, Frau Feige, die uns auch auf den Lehrgängen betreut und uns sehr gut kennt und deswegen auch schon sehr gut einschätzen kann. Sie betreut uns auch bei den Sondervorhaben wie den Invictus Games. Trotz allem kann sie natürlich nicht für jeden da sein. Deswegen ist da gerade für die seelisch versehrten Soldaten eine mentale Stabilität sehr wichtig. Aber auch da hilft jeder jedem!

Zu den Invictus Games fahren ausschließlich körperlich oder psychisch versehrte Soldaten. Was ist bei Ihnen genau vorgefallen?
Ich bin 2014 aus meinem letzten Afghanistan-Einsatz zurückgekommen und habe gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ich habe mich dann recht schnell in Behandlung begeben. So wurde dann festgestellt, dass ich an PTBS erkrankt bin.
 
Was ist in Afghanistan passiert?
In Kundus habe ich viel Gewalt gesehen, auch tödliche Verletzungen. Unser Konvoi wurde beschossen, ich musste selbst schießen. Unser Lager wurde beschossen. Ich war in kleinen Lagern untergebracht, in denen unsere Sicherheit nicht garantiert war. Ich bin durch diese ständige, unterschwellige Bedrohung irgendwann an den Punkt gekommen, an dem ich für jeden einzelnen Tag gekämpft habe. Ich wurde gebrochen, das muss man schon so sagen. Es war einfach zu viel. Ich hatte Angst, schlafen zu gehen, weil ich Angst hatte, es könnte etwas passieren und ich kann nichts tun.

Wie ging es dann weiter? Wie kamen Sie zum Sport?
Ich bin ins Bundeswehrkrankenhaus nach Berlin gekommen, dort wurde mir in den ersten Monaten sehr geholfen. Im Intranet habe ich über die Sportgruppe in Warendorf gelesen. Ich wurde dann zum Zentrum für Sportmedizin überwiesen. Dort bekam ich einen Termin beim Oberstarzt Dr. Lison. Der findet in einem ersten Gespräch heraus, ob man geeignet ist für die Gruppe Sporttherapie. Dieses erste Gespräch hat mich so motiviert, wie ich es seit Jahren nicht war. Oberstarzt Dr. Lison hat in einer Stunde das geschafft, was zwei Jahre Therapie bis dahin nicht geschafft haben: Ich hab wieder an mich geglaubt!

Und das funktioniert dann auch im Alltag?
Eher suboptimal. Ich arbeite ja auch noch, da muss ich schon zusehen, dass ich mir die Zeit nehme, die mir für das Training zusteht. Es ist eine Therapie für mich. Das muss bei vielen Vorgesetzten erst noch in die Köpfe! Es geht zuvorderst eben nicht um Wettkämpfe, sondern um die Therapie.
 
Das ist ja an sich nicht so schwer zu verstehen, oder?
Nein, aber viele Vorgesetzte sind froh, wenn Einsatzgeschädigte das Ganze irgendwie alleine hinbekommen, ohne dass sie groß tangiert werden. Viele sind auch einfach unsicher im Umgang mit den Erkrankten. Dabei wollen wir kein Hexenwerk, sondern Offenheit! Dass wir gemeinsam einen Weg finden, uns Versehrte wieder als vollwertige Soldaten in den Dienst zurückzubringen.

Was genau macht der Sport mit Ihnen?

PTBS äußert sich häufig durch tiefe Depressionen, Überforderung im Alltag, sich nicht Zurechtfinden in Deutschland nach der Rückkehr aus dem Einsatz. So war es zu mindestens bei mir. Die körperliche Aktivität sinkt, man bekommt den Hintern nicht mehr hoch, salopp gesagt. Das Vertrauen in die Menschen, auch Vorgesetzte, ist stark beschädigt. Da hilft die Sportgruppe enorm. Man erfährt wieder Kameradschaft, Zusammenhalt und Verständnis. Es lohnt sich, wieder Grenzen zu verschieben, Ziele zu erreichen, zu kämpfen. Das gibt einem einen unglaublichen Schub! Die Gruppe Sporttherapie ist wie ein sicherer Hafen.

Heilt der Sport den Bruch, von dem Sie eben sprachen?
Teilweise, ja. Er stellt Vertrauen wieder her, in einen selbst, aber auch zu Vorgesetzten. Ich musste erst wieder lernen, nicht sofort in Abwehrhaltung zu gehen, wenn ein Vorgesetzter mit mir sprach. Die Trainer, meistens Offiziere, schafften es mich zu motivieren, anzutreiben und mich an Grenzen zu bringen. Ich vertraue ihnen, und das war ein großer Schritt für mich. Das half mir auch sehr im Dienst an meinem Standort, mehr auf Vorgesetzte zuzugehen. Und nicht sofort abzublocken.

Hatten Sie die Teilnahme an Invictus Games schon im Hinterkopf, als Sie das erste Mal nach Warendorf kamen?
Nein! Das Hauptthema dort ist wirklich die Therapie. Die Sondervorhaben wie die Invictus Games, oder andere Versehrtenspiele, sind nur das Sahnehäubchen. Ich hätte nie gedacht, dass die Anfrage so schnell kommen würde, das war einfach überragend!
Erzählen Sie doch mal ein bisschen von den Wettkämpfen.
 
Dass wir gleich am ersten Tag eine Goldmedaille gewonnen haben, war absolut unvorstellbar. Und jeder hatte wirklich das Gefühl: WIR haben Gold. Danach war der Bann gebrochen. Wir haben so viele persönliche Bestleistungen abgeliefert, dass wir wirklich stolz sein können. Da haben wir alle gesehen, wie weit wir schon sind, und was wir schon wieder erreichen können!

Wir können uns natürlich nicht mit Ländern wie den USA vergleichen. Dort machen ganze Regimenter aus Versehrten den ganzen Tag im Dienst Sport, nur um die körperliche Fitness wieder herzustellen. Die fokussieren sich dann auch Wettkämpfe wie die Invictus Games.

Wie war die Stimmung in Kanada?
Es war unglaublich, was einem da an Unterstützung und Dankbarkeit entgegenschlägt. Wie wir dort gefeiert worden sind, über die Ländergrenzen hinweg, das war einmalig. Das ist hier in Deutschland unvorstellbar!

Warum eigentlich?
Der Umgang mit dem Thema Veteranen ist in vielen Ländern viel offener als bei uns, gerade in den USA, Kanada, aber auch Großbritannien. Diese Länder stehen fest hinter ihren Veteranen und sehen, was diese Menschen für ihr Land getan haben. Bei uns ist das alles noch so schwammig. Es müsste auch bei uns endlich klar definiert werden, wer eigentlich Veteran ist. Und auch, wie man diesen Menschen besser helfen kann.

Das deutsche Team ist kürzlich bei der Verteidigungsministerin empfangen worden, Frau von der Leyen hat Sie in den höchsten Tönen gelobt. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?
Absolut! So etwas hatte es bisher noch nicht gegeben. Ich hoffe, dass wir darauf jetzt aufbauen können.
 
Die Ministerin hat in Aussicht gestellt, 2018 zur nächsten Austragung nach Sydney zu kommen. Wie wichtig wäre das?
Das wäre ganz wichtig, weil davon auch ein Signal an unsere Vorgesetzten ausginge. Die sind es ja, die am nächsten mit uns arbeiten, und von deren Unterstützung wir abhängig sind.

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