Auf dem Podium: Leutnant zur See Mariman Hammouti-Reinke (v. l.), Kapitänleutnant Daniel Schumann, Moderator Christian Blume, Oberstleutnant a.D. Thomas Sohst vom DBwV und Referent Sebastian Vagt diskutieren über eine europäische Bundeswehr. Foto: DBwV/Vieth

Auf dem Podium: Leutnant zur See Mariman Hammouti-Reinke (v. l.), Kapitänleutnant Daniel Schumann, Moderator Christian Blume, Oberstleutnant a.D. Thomas Sohst vom DBwV und Referent Sebastian Vagt diskutieren über eine europäische Bundeswehr. Foto: DBwV/Vieth

20.08.2019
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Diskussion über eine europäische Bundeswehr: „Zuerst brauchen wir Einigkeit in Deutschland“

Hannover. Sollte die Bundeswehr für europäische Bürger, die in Deutschland leben, aber nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, geöffnet werden? Diese Frage wurde im Leibniz-Haus in Hannover diskutiert. Mit dabei war auch der Vorsitzende Landesverband West, Oberstleutnant a.D. Thomas Sohst. Er machte deutlich, dass die Nationalität eine entscheidende Bedeutung hat für den Dienst in der Bundeswehr auf der Grundlage von Werten und Überzeugungen. Europäisch denken und handeln sei jedoch auch in nationalen Streitkräften unabdingbar, wie sich in der schon längst bestehenden Zusammenarbeit der verschiedenen Streitkräfte zeige.

Die Friedrich-Naumann-Stiftung „Für die Freiheit“ lud zu dem Gedankenaustausch. 60 Besucher fanden sich im Leibniz-Saal ein, um den Argumenten der vier Diskutanten zu lauschen und sich auch selbst an der Debatte zu beteiligen. Neben Moderator Christian Blume (von der Stiftung) saßen Leutnant zur See Nariman Hammouti-Reinke, Kapitänleutnant Daniel Schumann, Thomas Sohst und der Europapolitische Referent Sebastian Vagt.

Vagt eröffnete die Diskussionsrunde mit einem Plädoyer für die europäische Bundeswehr. Der ehemalige Marineoffizier, der nun in Belgien lebt, sieht die Eingliederung von Menschen aus den Staaten der EU eine Möglichkeit, dem Personalmangel in der Bundeswehr entgegenzuwirken. Die rund 17 Millionen sogenannten mobilen EU-Bürger, also Menschen, die in einem anderen EU-Staat als ihrem Heimatland leben, würden weder in ihrem Heimat- noch in ihrem Gastland für die Armee zur Verfügung stehen. „Warum sollen sie nicht Dienst in der Bundeswehr leisten dürfen?“, lautete die Frage Vagts, der sich deutlich als überzeugter Europäer zu erkennen gab. In Belgien sei das bereits seit 2004 möglich. Nachteile oder Risiken seien ihm dadurch nicht bekannt.

Werteverständnis und Loyalität

In Deutschland ist der Soldatendienst an die deutsche Staatsbürgerschaft gebunden. Nur wer Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist, darf auch in der Bundeswehr dienen. Völlig legitim findet das Sohst. Denn es gehe dabei nicht einfach um einen Militärdienst, sondern um das Verständnis des Soldaten für die Werte, die er damit vertritt und auch Loyalität, „und zwar nicht gegenüber dem militärischen Vorgesetzten, sondern gegenüber dem Land“. „Ich habe geschworen, Freiheit und Recht des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen – und nicht das europäische Volk.“

Europa sei dadurch aber nicht außen vor. Europäisch werde schon längst gedacht und gehandelt, und zwar in der Kooperation mit verbündeten Streitkräften. Das funktioniere bereits seit Jahrzehnten, wie Sohst aus eigener Erfahrung weiß. So war er selbst lange im Deutsch-Niederländischen Korps. Es sei gut, dass man sich gemeinsam auf den Weg mache, um den Auftrag im Sinne der Regierung zu erfüllen. Der sehe von Nation zu Nation aber durchaus auch unterschiedlich aus.
 

„Bevor wir über eine europäische Bundeswehr nachdenken, müssen wir erstmal Einigkeit in allen Belangen in Deutschland haben“, forderte Hammouti-Reinke. Sie ist Vorstandsvorsitzende des Vereins Deutscher.Soldat e.V., der sich für Vielfalt und Gleichberechtigung in der Bundeswehr einsetzt, und sie ist auch Autorin des Buches „Ich diene Deutschland“. Als Frau in Uniform bei der Bundeswehr, deren Optik nicht dem Klischee entspreche, und Muslima sei sie „für viele Menschen wie ein UFO“. Rassismus sei ihr keineswegs fremd. Häufig werde sie aber einfach gefragt, woher sie eigentlich komme – mit Anspielung auf ihre marokkanischen Wurzeln. Damit werde ihr ihre deutsche Identität abgesprochen, kritisierte Hammouti-Reinke. „Ich bin Deutsche. Ich bin in Hannover geboren. Ich bin deutsche Soldatin. Punkt.“
 
Unter Soldaten werde die Einigkeit bereits gelebt – unabhängig von Hautfarbe und Religion. Das müsse aber erst in allen gesellschaftlichen Schichten so sein, bevor man über eine Öffnung der Bundeswehr für EU-Bürger sprechen könnte, betonte Hammouti-Reinke. „Wir sind ein Europa, Europa ist wichtig. Aber das ist dann der nächste Schritt“, so der Leutnant zur See weiter. Zudem gab sie auch zu bedenken, dass weitreichende gesetzliche Veränderungen wie etwa länderübergreifende Sicherheitsüberprüfungen notwendig seien, um eine europäische Bundeswehr zu ermöglichen.

"Europäische Streitkräfte könnte ich mir vorstellen"

Eine europäische Bundeswehr als Chance sieht Kapitänleutnant Daniel Schumann. In seiner Tätigkeit als Jugendoffizier erlebe er häufig, dass vor allem Schüler mit Migrationshintergrund mehr Interesse an der Bundeswehr zeigten als andere. Für ihn sei es der richtige Schritt, ihnen etwas zu zeigen, womit man sich identifizieren kann. Dabei dürfe der Pass keine Rolle spielen. „Die Werte, die wir miteinander teilen, sind das Entscheidende. Wo wir uns so stark als Bündnispartner verstehen, wäre es doch nur folgerichtig, auch gemeinsame Werte zu prägen“, so Schumann und plädierte dafür, gemeinsame Werte in der Ausbildung zu vermitteln und insgesamt ein gemeinsames europäisches Verständnis zu schaffen.

Konsens herrschte letztlich darüber, dass es noch ein weiter Weg ist bis zur europäischen Bundeswehr. Der europäische Gedanke aber unverändert wichtig sei. Vielmehr sollte in Richtung einer europäischen Armee gedacht werden, in der die einzelnen Streitkräfte dann aufgehen könnten.„Europäische Streitkräfte kann ich mir vorstellen. Der politische Wille ist entscheiden, einschließlich der Bereitschaft, letztendlich Souveränitätsrechte zumindest in Teilen aufzugeben“, betonte Thomas Sohst. Und weiter: „Soldaten unterschiedlicher Nationalität beweisen täglich, dass sie gemeinsam wirken können. Politik muss die Ziele deutlicher formulieren – national wie europäisch. Solange diese Diskussion nicht mit der notwendigen Bereitschaft zur Selbstbindung der Politik in Deutschland und Europa geführt wird, wird der Weg zu europäischen Streitkräften schwierig und lang sein. Aber der Weg lohnt sich.“

Auf die Frage aus dem Publikum, was man wohl in 100 Jahren über die in Hannover geführte Diskussion denken werde, antworteten die Diskutanten unisono: „Hoffentlich wird darüber gelacht und Europa mit einsatzbereiten, europäischen Streitkräften ist einfach selbstverständlich.“

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