Französische Soldaten während des Ersten Weltkriegs. Der Einsatz von Artillerie und Maschinengewehr führten zu massiven Verlusten  Foto: ChezOC/Shotshop/picture alliance

Französische Soldaten während des Ersten Weltkriegs. Der Einsatz von Artillerie und Maschinengewehr führten zu massiven Verlusten Foto: ChezOC/Shotshop/picture alliance

06.12.2018
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Erster Weltkrieg: Als der Irrsinn endete

Ins Gedächtnis vor allem der französischen Bevölkerung hat sich der Waffengang als „Grande Guerre“ eingebrannt. Den Deutschen ist der Zweite Weltkrieg dagegen nachhaltiger in Erinnerung. Dabei starb der letzte deutsche Teilnehmer am Ersten Weltkrieg gerade mal vor zehn Jahren: der gebürtige Leipziger Dr. Erich Kästner mit 107 Jahren am 1. Januar 2008.

Der Krieg, dessen Bild bis heute, anderes als beim Zweite Weltkrieg, vor allem von der Westfront geprägt ist, erhielt durch die Art und Weise, wie er geführt wurde, seine historische Wirkmächtigkeit: Er wurde „total“ geführt, zum Leidwesen der Bevölkerungen und Soldaten. Sinnbild für die Grausamkeit des Krieges war sicherlich der massive Einsatz von Giftgas. Aber andere Waffen wie U-Boote, das Aufkommen des Panzers zur Überwindung des Stellungskrieges und – noch äußerst begrenzt – Flugzeuge, zeugen von einem epochalen Umbruch in der Kriegsgeschichte.

Der Einsatz von Artillerie und Maschinengewehr führten zu massiven Verlusten in kürzester Zeit unter den Soldaten. Rund jeder sechste Gefallene des Ersten Weltkriegs starb durch Artilleriebeschuss. Dies wurde beispielsweise in den ersten Grenzschlachten von 1914 deutlich, wo noch ein Bewegungskrieg geführt wurde, der die sogenannte Industrialisierung des Krieges noch nicht bedacht hatte. Es wurden Bajonettangriffe gegen eingegrabene MG-Stellungen befohlen, bei denen die Männer die Gewehre nur entladen führen durften, um nicht durch die unabsichtliche Schussabgabe den Überraschungsmoment zu verlieren. Auch die Artillerie hatte die Stellungen zuvor nicht „sturmreif“ geschossen, sodass die angreifenden Verbände dicht gedrängt im gegnerischen Kugelhagel und Sperrfeuer der Kanonen brutal aufgerieben wurden.

So verlor Frankreich Ende August innerhalb von fünf aufeinanderfolgenden Tagen rund 8000 Mann täglich. Deutschland musste im September rund 260.000 Verluste verkraften, das entsprach ca. 17 Prozent der eingesetzten Soldaten insgesamt. 400.000 Artilleriegranaten brachten nach vier Tagen andauernder Schlacht den deutschen Vorstoß am 9. September an der Marne zum Stehen. Die Niederlage wurde der Bevölkerung vorenthalten, sie sollte erst durch das Waffenstillstandsersuchen im Oktober 1918 mit der militärischen Wirklichkeit konfrontiert werden.

Auch der einsetzende Stellungskrieg bedeutete nicht, dass das massenhafte Sterben ein Ende fand. Nachdem 1500 britische und französische Geschütze sieben Tage lang deutsche Stellungen mit 1,5 Millionen Granaten beschossen hatten, glaubten britische Truppen ihre deutschen Feinde am 1. Juli 1916 in der Mondlandschaft aus Explosionstrichtern überrennen zu können. Stattdessen fielen von den 100.000 angreifenden britischen Soldaten innerhalb von Stunden 19.240 Mann im deutschen Abwehrfeuer. Die Somme-Schlacht gilt mit über einer Million getöteter Soldaten als die blutigste Schlacht an der Westfront während des Ersten Weltkriegs. Die Großoffensive musste am Ende - ohne nennenswerte Geländegewinne erreicht zu haben - abgebrochen werden.

Mit dem am 15. Dezember 1917 im russischen Brest-Litowsk geschlossene Waffenstillstand mit dem bolschewistischen Russland stieg in Deutschland die Hoffnung, den Krieg auch im Westen zu gewinnen. Lenins Angebot, auch mit den Westalliierten über einen Friedensvertrag zu verhandeln, lehnten die Deutschen ab. Dabei war die Entente mit dem Kriegseintritt der USA am 2. April 1917 dem deutschen Heer materiell haushoch überlegen. Dass ein deutsches U-Boot am 7. Mai 1915 das britische Passagierschiff RMS Lusitania versenkte und dabei auch 128 US-Bürger starben, war, neben der Verletzung der Neutralität Belgiens 1914, eine Ursache dafür.

Als 1918 die letzten deutschen Großoffensiven erfolglos blieben, verstarb spätestens im Juli die Hoffnung auf einen militärischen Sieg. Alliierten Truppen gelang am 8. August 1918 bei Amiens ein Einbruch an der Westfront, auch weil die Moral in der schlecht versorgten Truppe darniederlag. „Der 8. August“, schrieb Ludendorff, „ist der schwarze Tag des deutschen Heeres in der Geschichte dieses Krieges.“

Die Oberste Heeresleitung (OHL) um Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, die jedoch de facto vom General der Infanterie, Ersten Generalquartiermeister und Stellvertreter von Hindenburgs, Erich Ludendorff, geführt wurde, verschleierte in gewohnter Form vor Reichskanzler Georg von Hertling die kritische Lage. Erst Anfang September zog sie das deutsche Heer zurück, wobei den Alliierten der Zustand der abgekämpften Armee verborgen blieb. Und obwohl aus diesem Grund keine Großoffensiven für den Sommer geplant waren, gelang es britischen Truppen die letzte befestigte Verteidigungslinie („Siegfriedlinie“) am 27. September zu durchbrechen. Nun drohte gar der vollständige Zusammenbruch des Westheeres, was Ludendorff dazu bewog, einen Friedensschluss unbedingt vor einer militärischen Niederlage zu erreichen. Die Verantwortung dafür wollte er gleichwohl nicht übernehmen.

Die neue Reichsregierung um Max von Baden ersuchte US-Präsident Woodrow Wilson schließlich am 3. Oktober 1918 um einen Waffenstillstand auf Grundlage seines berühmten 14-Punkte-Plans. Eine solche Einigung wurde öffentlich jedoch als Schmach wahrgenommen, weshalb Ludendorff – trotz der Situation an der Westfront – nochmals ansetzte, den Krieg fortzusetzen. Doch Vizekanzler Friedrich von Payer setzte sich schließlich gegen ihn durch und nach einem Streit mit Kaiser Wilhelm II. wurde er am 26. Oktober im Schloss Bellevue in Berlin entlassen. Am 11. November 1918 wurde, kurz vor dem Zusammenbruch des deutschen Westheeres, der Waffenstillstand vereinbart und die Kampfhandlungen eingestellt. Für Deutschland unterzeichnete im Wald von Compiègne Matthias Erzberger (Zentrum) die Vereinbarung.

Von den Verlierern des Ersten Weltkriegs behielt nur Bulgarien sein System. In Russland fegte die Februarrevolution 1917 das Zarenreich davon, in Deutschland wurde die Republik am aus heutiger Sicht so geschichtsträchtigen 9. November 1918 durch Philip Scheidemann ausgerufen und der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zerfiel wie auch das Osmanische Reich, wodurch neue Staaten wie der Irak entstanden. Doch nicht nur außerhalb Europas kam es zu Staatsgründungen: Im Zuge der Oktoberrevolution erklärte Finnland seine Unabhängigkeit von Russland und Polen wurde durch den Versailler Vertrag erneut ein unabhängiger Staat.

Durch den Versailler Vertrag wurde Deutschland gezwungen, ein Siebtel seines Gebiets abzugeben. Das Heer wurde auf 100.000 Mann, die Marine auf 15.000 Mann begrenzt und eine Luftwaffe zu besitzen, wurde Berlin ganz verboten. Ihm wurde die alleinige Kriegsschuld zugesprochen. Artikel 231 besagte: "Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind“, was alle politischen Lager in Deutschland empörte.

Ministerpräsident Philipp Scheidemann und sein gesamtes Kabinett waren deswegen zurückgetreten. Es wurde sogar die Möglichkeit erwogen, militärisch Widerstand zu leisten, was jedoch von militärischer Seite abgelehnt wurde, sodass der Vertrag im Spiegelsaal von Versailles am 28. Juni 1919 unterzeichnet wurde und am 10. Januar 1920 in Kraft trat.

Nicht nur der US-amerikanische Historiker und Diplomat George F. Kennan zeichnete mit seinem Begriff der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (1979 – „the great seminal catastrophe of this century“) eine Verbindungslinie zu den einige Jahre später folgenden unfassbaren Ereignissen. Unter anderem der renommierte deutsche Historiker Hans-Ulrich Wehler hat die These von einem zweiten „Dreißigjährigen Krieg“ bekannt gemacht, wonach erst Deutschlands totale Niederlage 1945 das eigentliche Kriegsende sei. Doch auch der Anfang beschäftigt uns noch heute.

Nachdem die Kriegsschulddebatte mit der Veröffentlichung von Fritz Fischers „Griff nach der Weltmacht“ Anfang der 1960er Jahren einen Höhepunkt erreicht hatte, war es der 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs, der die Diskussion erneut beflügelte. Der weltberühmte Historiker Christopher Clark befand, dass ganz Europa in den Ersten Weltkrieg „geschlafwandelt“ sei, da alle Großmächte den Krieg nicht verhindert hatten. Auch der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münklers argumentierte in „Der Große Krieg“ in diese Richtung. Kritik kam wiederum vom wohl renomiertesten Experten auf diesem Gebiet in Deutschland: Gerd Krumeich. Er sieht unverändert Deutschland als den hauptverantwortlichen Akteur.

Quellen: Bpb, SPON, Sönke Neitzel: Weltkrieg und Revolution

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