General Eberhard Zorn bei der Tagung des DBwV mit militärischem Spitzenpersonal. Foto: DBwV/Scheurer

General Eberhard Zorn bei der Tagung des DBwV mit militärischem Spitzenpersonal. Foto: DBwV/Scheurer

30.04.2019
DBwV

General Zorn zieht ein Zwischenfazit: "Da liegt noch ein Berg Arbeit vor uns"

Es war klar, dass es nicht leicht sein würde: General Eberhard Zorn hat vor einem Jahr den Posten des obersten Soldaten der Bundeswehr in einer schwierigen Situation übernommen. Wie lautet sein Zwischenfazit nach der Anfangsphase? Der Generalinspekteur im Interview.

Die Bundeswehr: Herr General, Sie sind nun seit einem Jahr im Amt. Wie steht es Ihrer Meinung nach um unsere Bundeswehr?

General Eberhard Zorn: Die Bundeswehr, unsere Frauen und Männer in Uniform oder Zivil auf allen Ebenen, leisten nach wie vor Enormes. Gerade vor dem Hintergrund des Übergangs in die veränderte Auftragslage, also der Gleichrangigkeit von Landes- und Bündnisverteidigung mit dem internationalen Krisenmanagement, ist das bemerkenswert. Bei unseren Bündnispartnern genießen wir weiterhin einen ausgezeichneten Ruf. Das haben wir uns in der Bundeswehr alle gemeinsam erarbeitet, jeder und jede Einzelne hat dazu beigetragen.

Das heißt, alles ist super?

Zorn: Keineswegs. Wir arbeiten weiter mit viel Hochdruck daran, dass wir die personellen und materiellen Lücken, die mit der letzten Reform entstandenen sind, so schnell wie möglich schließen. Es gilt, die in den vergangenen Jahren eingeleiteten Trendwenden weiter voranzutreiben. Und wenn ich beispielsweise an die Ersatzteillage denke – das fängt schon beim Kettenpolster an –, stelle ich fest: Da ist noch viel Luft nach oben, von Munition oder der Modernisierung des Großgeräts ganz zu schweigen. Da liegt noch ein Berg Arbeit vor uns.

Wo sehen Sie die größte Belastung?

Zorn: Grundsätzlich sind alle Bereiche der Bundeswehr sehr stark gefordert. Das fängt in den drei zentralen Ämtern an, denen eine besondere Bedeutung mit Blick auf das Wachstum unserer Bundeswehr zukommt: das Bundesamt für Personalmanagement, das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung und das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen. Und dann geht es im Kern um diejenigen, die die Einsätze stemmen, genauso wie um die Kameradinnen und Kameraden, die sich konzeptionell wie auch real wieder mit der Landes- und Bündnisverteidigung auseinandersetzen müssen. Stichwort: vermehrte Übungstätigkeit oder Unterstützung der östlichen Bündnispartner.

Gerade bei der Landes- und Bündnisverteidigung scheint in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel Wissen verloren gegangen zu sein.

Zorn: Ja, der Schwerpunkt der Neuausrichtung aus dem Jahr 2010 war ein anderer. Es ging im Kern darum, streitkräftegemeinsame Kontingente für begrenzte Stabilisierungs- und Ertüchtigungsmissionen zu stellen. Der Wehretat wurde kleiner, wir waren gezwungen zu reduzieren, zu zentralisieren und zu priorisieren. Das ging anderen Armeen in Europa ähnlich wie uns in der Bundeswehr. Mit der Annexion der Krim oder dem Erstarken des IS kam es ab 2014 zu einem politischen Umdenken. Seitdem ist eine neue Sensibilität für Risiken und Bedrohungen entstanden, auch in der Breite der Bevölkerung. Die Bundesregierung hat diese neue Lage im Weißbuch 2016 abgebildet, und wir haben daraus unsere Konzeption der Bundeswehr und das Fähigkeitsprofil abgeleitet. Diese Dokumente begründen unsere Trendwenden.

Trendwenden, die aber noch nicht vollends greifen, oder?

Zorn: Die Trendwenden greifen sehr wohl. Beispiele sind der gewachsene Verteidigungsetat, die parlamentarische Billigung von Beschaffungsvorhaben oder die neue personelle Zielgröße der Bundeswehr. Allerdings dauert es, bis die Dinge wirksam werden. Auflösen, Zentralisieren oder Personalabbau gehen eben schneller und einfacher als das geordnete Wachsen einer Bundeswehr, die aufgrund der sicherheitspolitischen Lage weiter knackig gefordert ist.

Was macht das Wachsen so schwierig?

Zorn: Die Tatsache, dass wir in einem komplexen Gesamtsystem viele unterschiedliche Maßnahmen synchronisieren müssen: Das reicht von der Personalgewinnung und -bindung über den Ausrüstungszulauf bis hin zur Erweiterung der Unterkunfts- und Ausbildungsinfrastruktur vor dem Hintergrund einer geschrumpften Organisation. Und dennoch bin ich optimistisch, dass viele heute angeschobene Vorhaben zügig auch in der Truppe spürbar werden. Die Trendwende Personal beispielsweise wirkt sich jetzt ganz praktisch aus, weil die ersten Soldatinnen und Soldaten ihre Ausbildung absolviert haben und ihre Dienstposten antreten können.

Bräuchte es nicht eine Art Atem- beziehungsweise Einsatzpause zur Reorganisation?

Zorn: Das ist unrealistisch. Risiken und Bedrohungen lassen sich ja nicht mit einem Fingerschnipp einfrieren. Da sind alle, insbesondere unsere Spezialisten, bis an ihre Grenzen gefordert. Deswegen bin ich dafür, die Wünsche, die international an uns herangetragenen werden, genau abzuwägen, mit der Fragestellung: Können wir das jetzt wirklich auch noch leisten?  Wir müssen künftig auch viel stärker überlegen, ob wir in einem bestimmten Missionsgebiet eine Fähigkeit durch eine andere ersetzen – oder gar aussetzen, wie jüngst geschehen bei den seegehenden Einheiten der Operation Sophia. Diesen Freiraum nutzt die Marine jetzt zur Regeneration sowie für Ausbildung und Übung in den Szenarien der Landes- und Bündnisverteidigung.

Worin sehen Sie aktuell die größte Herausforderung?

Zorn: Wir müssen alle unseren Mindset darauf ausrichten, dass es im Kern um das Bestehen im Einsatz, im äußersten Fall um das Bestehen im Kampf geht. Darauf muss sich alles fokussieren. Erstens erfordert unsere veränderte Auftragslage eine permanente Bereitschaft. Und zweitens können wir es angesichts der weltweiten Sicherheitslage – leider – nicht ausschließen, dass es neben Ertüchtigungseinsätzen wieder zu robusteren Missionen kommen könnte. Gottlob, wenn das ausbleibt, aber wenn uns ein derartiger Auftrag ereilt, müssen wir liefern – getreu dem Motto meiner alten Division, der DSK: „Einsatzbereit, jederzeit, weltweit!“ Die Bundeswehr sucht sich ihren Auftrag nicht selbst aus. Aber sie steht bereit, wenn sie gefordert ist.

Zum Mindset gehört auch eine gute Führungskultur. Mit Blick auf das Projekt „Innere Führung heute“ gilt es da einiges nachzusteuern, oder?

Zorn: Die Innere Führung als Konzept bleibt unsere Richtschnur. Die Grundsätze sind gut, wir müssen sie nur aktuellen Entwicklungen und Gegebenheiten anpassen. Deswegen wollen wir jetzt die unteren Ebenen stärken, ihnen mehr Freiräume geben, also die Auftragstaktik wiederbeleben. Ich wünsche mir Vorgesetzte, die Freude daran haben, Verantwortung zu übernehmen und auch Entscheidungen zu treffen – und zwar ohne dass sie dabei von überbordender Bürokratie in ihrem Handeln eingeschränkt werden. Diese Ziele verfolgen wir mit dem Programm „Innere Führung heute“.

Was sind Ihrer Auffassung nach das hauptsächliche Handlungsfeld und die wesentliche Leistung, die die Umsetzung des Projekts betreffen?

Zorn: Hauptsächliche Handlungsfelder sehe ich zwei, ohne dass ich flankierende Maßnahmen aus den Augen verlieren möchte: Erstens sind Auftrag und Ressourcen in Einklang zu bringen. Da sind wir mit den Agenden Rüstung und Nutzung bereits auf einem guten Weg. Zweitens müssen Führung und Verantwortung, wo notwendig, wieder zusammengeführt werden – und zwar beginnend auf der Verbandsebene. Das ist auch der Kern vieler Forderungen, die ich im Zuge meiner Dienstaufsichtsbesuche wahrnehme. Deswegen ermuntere ich immer unsere Kommandeure: Haben Sie Mut zu Entscheidungen, übernehmen Sie mit Freude Verantwortung!  

Und was ist diesbezüglich die wesentliche Leistung des Programms „Innere Führung heute“?

Zorn: Vereinzelt müssen wir Prozesse anpassen, um Führung und Verantwortung wieder zusammenzuführen. Insbesondere auf unterster Ebene muss einer prozessbedingten Verantwortungsdiffusion entgegengewirkt werden. Das heißt: Die Fachstränge dürfen sich nicht verselbständigen. Die Führungskräfte vor Ort entscheiden auf der Grundlage fachlicher Ratschläge – nicht umgekehrt. Aber keine Sorge, das bedeutet nicht, dass wir die Bundeswehr jetzt wieder gänzlich auf Links drehen und uns damit unnötig lähmen.

Sie haben unter anderen eine Arbeitsgruppe einge­richtet, die sich mit unserer Führungsorganisation auseinandersetzt. Was ist deren Aufgabe?

Zorn: Diese AG auf Ebene der stellvertretenden Inspekteure beschäftigt sich mit den Anforderungen an unsere Führungsorganisation aufgrund einer veränderten Auftragslage – Stichwort LV/BV – sowie mit unseren Erfahrungen und Überlegungen in Bezug auf die VJTF et cetera. Eine zentrale Frage ist hier etwa: Wer führt in welchem Szenario welche Truppenteile? Ich erwarte im Spätherbst entsprechende Vorschläge. Parallel erarbeitet an der Führungsakademie der LGAN 2017 in seiner Studienphase Möglichkeiten der Weiterentwicklung unserer Führungsorganisation. Die Ergebnisse werden Ende August vorgestellt und dann gekoppelt mit den Vorschlägen der Arbeitsgruppe.

In den kommenden Monaten sollen noch zwei Gesetzgebungsverfahren durch das Parlament, die der Bundeswehr zu mehr Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt verhelfen können. Wie bewerten Sie den Sachstand?

Zorn: Ich bin optimistisch, dass wir für unsere heutigen wie künftigen Soldatinnen und Soldaten und zivilen Beschäftigten eine Menge bewegen können. Zumindest erlebe ich ein hohes Engagement der federführenden Unterabteilung in unserem Ministerium, aber auch im Innen- oder im Finanzministerium. Auch der BundeswehrVerband hat sich von Anfang an mit klugen Ideen ressortübergreifend eingebracht. Gemeinsam wird uns sicher viel gelingen. Nicht just for fun, sondern weil wir die personelle Einsatzbereitschaft nachhaltig stärken wollen und müssen.

Verteidigungsministerin von der Leyen hat mit der Veteranendefinition den Knoten für die weitere Arbeit im Handlungsfeld Bundeswehr, Gesellschaft und Fürsorge gelöst. Was können Sie zum Sachstand sagen?

Zorn: Wichtig war, dass wir eine integrierende Definition erhalten. Der Auftrag ist unsere Klammer, Kameradschaft das Fundament. Zunächst geht es zuvorderst um Wertschätzung. Dazu und darüber hinaus sind erfreulicherweise verschiedene Vorschläge eingegangen. In Richtung der Entwicklung einer Veteranenpolitik wird mein Stellvertreter diese Vorschläge im Haus und außerhalb des Hauses diskutieren und dann auf den Weg bringen.

Kommen wir zur Arbeit des DBwV. Wie bewerten Sie diese?

Zorn: Ich halte es für absolut notwendig in unserer Demokratie, dass wir agile Verbände und Gewerkschaften haben. Dort entwickeln sich gute Ideen mit einem steten Blick über den Tellerrand. Im DBwV hat man das gesamte Portfolio unserer Bundeswehr im Blick. Das erlebe ich seit vielen Jahren, beispielsweise auch im Zuge von diversen Veranstaltungen für unterschiedliche Status- und Dienstgradgruppen, von den Mannschaften bis zu den Generalen und Admiralen oder den zivilen Beschäftigten. Ich nehme diese Veranstaltungen selbst gern als Kommunikations- und Diskussionsplattformen wahr.   

Und wenn es mal zum Konflikt kommt?

Zorn: Dass ein Berufsverband mal in den Konflikt geht, gehört eben auch zu unserer Demokratie – auch wenn es uns vielleicht hier und da piesackt. Reibung erzeugt schließlich auch Wärme. Ich selbst erlebe den DBwV ausgewogen und mit hoher Fachkompetenz, er hat die sozialen Rahmenbedingungen genauso wie die Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr im Blick. Solche Wachsamkeit braucht es in Zukunft mehr denn je.

Herr General, vielen Dank für das Interview.

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