Im Bundestag wurde leidenschaftlich über den Haushalt debattiert. Foto: dpa

Im Bundestag wurde leidenschaftlich über den Haushalt debattiert. Foto: dpa

18.05.2018
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Haushalt 2018: Koalitionskrach um Wehretat

Harmonisch geht es im Bundestag eher selten zu. Erst recht, wenn es ums Geld geht. Doch in dieser Woche war die Haushaltsdebatte im Parlament mehr als nur der klassische Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition: Der  Verteidigungshaushalt sorgte auch für Zoff innerhalb der großen Koalition.
 
Berlin. Das liebe Geld – schon zwei Tage vor der Haushaltsdebatte im Bundestag war es Thema bei der Bundeswehrtagung in Berlin. Ursula von der Leyen ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie einen Nachschlag erwartet. Und sie wurde ganz konkret: Beim Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli wird Deutschland zusagen, bis 2025 1,5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben. Das sei innerhalb der Bundesregierung abgestimmt, so die Verteidigungsministerin. Mit dieser konkreten Aussage übertrumpfte sie den Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), von dem sich viele im Saale mehr erwartet hatten.

Hatte die Tageszeitung „Die Welt“ der Kanzlerin deshalb noch „Schnoddrigkeit“ attestiert, wirkte die Regierungschefin bei der Generaldebatte im Parlament fester. Mit Blick auf die Nato-Selbstverpflichtung von Wales und Warschau sowie die „Official Development Assistance“-Quote (ODA) sagte Merkel: „Wir müssen Verpflichtungen auf allen Seiten einhalten“ – und sprach sich damit für das Zwei-Prozent-Ziel aus. Klar grenzte sie sich damit von Olaf Scholz ab. „Ein verteidigungspolitisches Konzept wird nicht schon dadurch gut, dass es teuer ist“, hatte der Finanzminister zuvor gesagt. Damit war die Konfliktlinie für alle sichtbar. Denn im Koaltionsvertrag hatten Union und SPD beschlossen, "zusätzlich entstehende Haushaltsspielräume prioritär" für Verteidigung und Entwicklung auszugeben - und zwar "im Verhältnis von eins zu eins".

Mit Blick auf die seit 2014 wieder immanent gewordene Landes- und Bündnisverteidigung sagte die Kanzlerin, dass die Bundeswehr „auch zu Hause in viel größerer Breite Material und Ausrüstung zur Verfügung gestellt bekommen“ müsse. Man könne „nicht nur jeden hundertsten Soldaten vernünftig ausstatten“, so Merkel beispielhaft.

Für die Opposition war die koalitionäre Uneinigkeit eine Steilvorlage. Ursula von der Leyen habe auf „der Bundeswehrtagung 1,5 Prozent Investitionen in die Verteidigung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt 2025, zugesagt“, kritisierte FDP-Chef Christian Lindner mit Blick auf die Aussage von Scholz den Streit der Regierungsparteien. Trotzdem wachse der Wehretat nicht ausreichend. Er forderte die Bundeskanzlerin dazu auf, von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen. „Führen Sie! Führen Sie dieses Land, und lassen Sie den Worten Taten folgen“, rief Lindner in den Saal.
 
Nicht ganz unerwartet sprach sich SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles gegen höhere Verteidigungsausgaben aus. Sie sehe „keinen Anlass, den geringen zusätzlichen Spielraum, den wir haben, zu nutzen, um weitere Mittel in den Verteidigungshaushalt zu stecken.“ Die Ministerin habe es in den letzten zwei Jahren nicht geschafft, das zur Verfügung stehende Geld auszugeben. So argumentierte auch Katrin Göring-Eckardt von den Grünen: Die Bundeswehr pflege einen „verdammt schlechten Umgang mit ihren eigenen Finanzmitteln“ – höhere Verteidigungsausgaben würden die Grünen deswegen nicht hinnehmen.
Unionsfraktionschef Volker Kauder griff daraufhin seine Koalitionspartnerin Nahles an: Er könne nicht akzeptieren, „wenn der Wehrbeauftragte, der früher ein SPD-Kollege im Deutschen Bundestag war, starke Sprüche über den Zustand der Bundeswehr macht und Sie in der SPD sagen, dass dagegen nichts unternommen wird, weil man dafür kein Geld einsetzen will.“
 
Auch in der sich anschließenden Debatte um das Budget für das Außenamt ging der Streit munter weiter. Trete Europa nicht geschlossen für eine regelbasierte internationale Ordnung ein, dann, so Außenminister Heiko Maas (SPD), „werden Mächte dieses Vakuum füllen, die ein ganz anderes Verständnis von Ordnung haben als wir. Das gilt es zu verhindern.“ Für die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft und eine mögliche UN-Sicherheitsratsmitgliedschaft 2019/2020 müsse Deutschland bereit sein, sein Engagement mit Material und Personal zu unterlegen. Da das Geld koste, setze er „ein kleines Fragezeichen hinter die mittelfristige Finanzplanung ab 2019“, so Jürgen Hard, der außenpolitische Sprecher CDU/CSU-Fraktion.
 

Michael Link (FDP) kritisierte die mangelhafte Ausstattung des Auswärtigen Amts. Er forderte auch finanzpolitisch „eine enge Verzahnung von Diplomatie, Entwicklung und Verteidigung.“ Ähnlich äußerte sich Ekin Deligöz (Grüne). Sie forderte dass die drei Etats anteilig gleich ansteigen sollten.

Herausragend war dann die Rede von Norbert Röttgen. Der Unionspolitiker forderte nicht nur eine strategische Debatte, sondern auch die Entwicklung einer strategischen Kultur. Die Verantwortung der Politiker „kann nicht darin bestehen, die Veränderungen zu beschreiben und dann auf die nächste Veränderung zu warten, sondern wir müssen Einfluss gewinnen, um unsere Interessen zu vertreten“, sagte der Vorsitzende des Außenausschusses. Spätestens mit der Flüchtlingskrise habe man gelernt: „Wir können unseren gesellschaftlichen Zustand nicht mehr von dem Zustand unserer Umgebung trennen.“ Röttgen weiter: „Wer Verantwortung für die Bürger wahrnimmt, der muss außenpolitische Verantwortung wahrnehmen“. Ob Europa eine internationale Akteursqualität entwickelt, hängt für Röttgen auch an einsatzbereiten deutschen Streitkräften: „Wenn wir ein Land bleiben sollten, dass sich nicht dazu entscheiden kann, seine eigene Armee für die Landes- und Bündnisverteidigung im Wesentlichen einsatzfähig auszustatten, werden wir außenpolitisch nicht ernst genommen, weder bei den Verbündeten noch in Moskau“, so der Außenpolitiker.

Außerdem warnte Röttgen vor übertriebenen Erwartungen an die europäische Kooperation. Man dürfe nicht glauben, „dass wir mit PESCO innerhalb von fünf Jahren […] auch nur annähernd militärische Fähigkeiten erreichen können“. Er warb für verstärkte Anstrengungen der Europäer. Auch weil der Nahe Osten die „Schicksalsfrage der europäischen Außenpolitik“ sei, weil es „unsere Nachbarregion ist, nicht die amerikanische“, so Röttgen abschließend.

Bei der Debatte zum Verteidigungshaushalt spielte Verteidigungsministerin Ursula von Leyen den Vorwurf insbesondere von Frau Nahles, die Bundeswehr könne mit ihrem Geld nicht wirtschaften, erwartungsgemäß zurück. Seit 2014 habe die Bundeswehr den gesamten Etat ausgegeben. Einzig 2017 hätten Mittel nicht vollständig ausgegeben werden können, "aus einem einzigen Grund: weil vor der Bundestagswahl die 25-Millionen-Vorlage für die Heron TP nicht mehr verabschiedet werden konnte. Sie alle kennen diese Geschichte“, sagte sie diplomatisch an die Adresse der SPD gewandt. Damals hatten die Sozialdemokraten den Vorgang praktisch in letzter Minute gestoppt. An den im Koalitionsvertrag vereinbarten „Pakt für vernetzte Sicherheit“ erinnernd, zitierte sie Nahles‘ anschließend selbst: „‚Fangen wir doch einfach an, das umzusetzen, was wir verabredet haben!‘“
Rüdiger Lucassen (AfD) sagte im Anschluss: „Mit dem Verteidigungshaushalt, den die Bundesregierung hier vorgelegt hat, kann unsere Bundeswehr nicht wieder einsatzbereit gemacht werden.“ Er wiederholte die Forderung der Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Der Streit um den Mittelabfluss beherrschte die weitere Debatte. Für Fritz Felgentreu, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD, müssen die Trendwenden mit Blick auf die mangelhafte Einsatzbereitschaft fortgesetzt werden. Felgentreu unterstützte aber seine Fraktionsvorsitzenden. BMVg und Bundeswehrverwaltung müssten effizienter arbeiten und alle Mittel auch voll ausschöpfen. Tobias Lindner (Grüne) stimmte in diesen Tenor mit ein, kritisierte jedoch auch die Koalitionäre: Der Streit habe „mehr mit mittelmäßigem Kabarett zu tun als mit seriösen Beratungen eines Verteidigungsetats“, so der Haushälter. „Mal kritisieren Sie, dass die Diskussion zu offen ist, dann kritisieren Sie, dass Kabinettsdiskussionen geheim sind“, rief Henning Otte, verteidigungspolitischer Sprecher der Union, in seiner Rede Lindner zu.
 
Seine Kollegin von der FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, kritisierte: Allein für bei der NATO zugesagte Brigade „wird Deutschland in den nächsten Jahren ein Mehrfaches von dem aufwenden müssen, was in Ihrem Finanzplan und im Koalitionsvertrag als Steigerung vorgesehen ist.“ Ingo Gädechens (CDU/CSU) pflichtete ihr bei. Mit der aktuell vorgesehenen Erhöhung der Finanzplanung „wird nicht einmal ein Viertel des bestehenden Bedarfs  abgedeckt.“

Doch der Streit um den Mittelabfluss blieb bis zum Ende der Debatte der rote Faden der Debatte. „Unsere parlamentarische Beteiligung hat keine Schuld an den Verzögerungen“, erwiderte Wolfgang Hellmich (SPD) auf den Vorwurf der Verteidigungsministerin. Wenn „für die Bestellung wichtiger Bauteile in Beschaffungsprogrammen mit 140 Vorschriften 14.000 Seiten an Anforderungsprofil produziert werden und es für dieses Anforderungsprofil und die Umsetzung nicht einmal ein Programm gibt, das diesen Prozess organisiert und darstellt, dann sehe ich das Problem eher an anderer Stelle“, so Hellmich und meinte damit weder Verteidigungs- noch Haushaltsausschuss. Reinhard Brandl schoss leidenschaftlich zurück. Auch er nahm Bezug zur Heron-Drohne. Die dafür vorgesehenen 300 Millionen Euro hätten nicht ausgegeben werden können, kritisierte er die SPD. „Dann hatten wir eine Fregatte bestellt, die, wie sich kurz vor Jahresende herausstellte, nicht ausgeliefert werden konnte – wieder 300 Millionen  Euro, die liegen geblieben sind“, so Brandl und fragte abschließend provokant: „Was soll denn die Bundeswehr da machen? Werfen Sie jetzt ernsthaft der Verteidigungsministerin vor, dass sie die 600 Millionen Euro nicht plötzlich in andere Rüstungsprojekte stecken kann?“

Bundestagsdebatten dürfen, ja müssen heftig geführt werden. Diskussion und Streit in der Sache sind Kernelemente jeder echten Demokratie. Und Selbstkritik ist eine Tugend, die nur wenige Menschen beherrschen. Aber eines muss klar sein: Es wird Zeit, zu handeln. Die Angehörigen der Bundeswehr erwarten schnell spürbare Verbesserungen. Etwas anderes lässt die Auftragslage schlicht und ergreifend nicht zu.

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