Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterhalten sich zu Beginn der Fraktionssitzung der CDU/CSU Fraktion im Bundestag Foto: dpa

Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterhalten sich zu Beginn der Fraktionssitzung der CDU/CSU Fraktion im Bundestag Foto: dpa

03.07.2018
mkl/dpa

„Klima vergiftet“: Presseschau zur Regierungskrise

Berlin. Es ist ein Blitz-Comeback und wohl die Rettung für die Koalition in letzter Sekunde: Eben wollte Horst Seehofer noch zurücktreten, nun ist alles ganz anders. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Innenminister Seehofer haben sich im sogenannten Asylstreit zusammengerauft und ein Auseinanderbrechen der Union aus CDU/CSU vorerst verhindert. „Wir haben uns geeinigt“, sagte Seehofer am Montagabend nach stundenlangen Verhandlungen in der CDU-Zentrale in Berlin. Die Einigung sehe vor, dass die illegale Migration an der Grenze zu Österreich unterbunden werde. Merkel sagte, sie glaube, „dass wir heute nach hartem Ringen und schwierigen Tagen einen wirklich guten Kompromiss gefunden haben.“

Seehofer kündigte an, er wolle nun doch Minister bleiben. „Diese klare Übereinkunft (...) erlaubt mir, dass ich das Amt des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat weiterführe“, sagte Seehofer. Noch am Sonntag hatte Seehofer bei einer Sitzung des CSU-Vorstands in München erklärt, er wolle von seinen Ämtern als Parteichef und Innenminister zurücktreten. Nach Gesprächen in der engsten Parteiführung, die ihn zum Weitermachen bewegen wollte, sagte er dann, er werde seine politische Zukunft von einem Einlenken der CDU abhängig machen.

Nach der Rücktrittsankündigung von Seehofer stand die Zusammenarbeit der Union und die große Koalition auf dem Spiel.

Das turbulente Wochenende hat sich naturgemäß auch in der nationalen wie internationalen Presse niedergeschlagen, schließlich hätte ein Rücktritt Seehofers die komplette Koalition ins Wanken gebracht – mit unabsehbaren Folgen auch für die deutschen Partnerländer. Auch für die Bundeswehr hätte ein Auseinanderbrechen der Regierung wohl weitreichende Folgen gehabt, schließlich ist kaum ein Bereich so abhängig von Kontinuität wie das Verteidigungsressort.

Der DBwV dokumentiert die wichtigsten Pressestimmen aus dem In- und Ausland.

„Die Welt“: Jetzt gibt es einen Nebenkanzler

Die Koalition hat jetzt nicht nur einen Vizekanzler, sondern auch einen Nebenkanzler. Die Haltbarkeitsdauer des neuen Waffenstillstands hängt am seidenen Faden. Bessern sich die Umfragen für die CSU in Bayern nicht, wird in München ein neues Streitthema zu finden sein. Vielleicht sogar noch einmal das Thema Flüchtlinge. Der von Sebastian Kurz angekündigte informelle EU-Gipfel zum Thema Migration am 20. September bietet drei Wochen vor der bayerischen Landtagswahl ein Eckdatum dafür.

„Bild“: Das Klima ist vergiftet

Aber was hat CDU und CSU dann geritten? Wie im Himmel wurde aus einem praktischen Problem, das den Bürgern wichtig ist, eine mit äußerster Brutalität aufgeladene Machtfrage? In der sich ein so erfahrener Minister wie Seehofer am Ende hinreißen ließ, seiner Wut und seinem gekränkten Ego freien Lauf zu lassen. CDU und CSU haben sich jetzt auf etwas geeinigt, auf das sie sich schon vor drei Jahren geeinigt hatten. Möglich ist, dass die Lösung funktioniert. Sicher ist, dass das Klima in einer Koalition wohl noch nie so vergiftet war wie in dieser.

„Spiegel online“: Nur noch Geduldete

Sowohl Angela Merkel als auch Horst Seehofer sind nur noch Geduldete ihrer Parteien: Die CDU fremdelt schon lange mit der Flüchtlingspolitik ihrer Vorsitzenden und ist nur durch Merkels komplette Aufgabe derselben einigermaßen befriedet. Und Seehofer wird von seinen gnadenlosen Hintersassen Söder und Dobrindt vor sich her getrieben, die ihn nur noch als Schuldigen für eine absehbar vergeigte Landtagswahl brauchen.

„Frankfurter Allgemeine“: Ein Akt der Selbstbeschädigung

Seehofers abgeblasener Vielleicht-Rücktritt war nicht nur Merkels Unerbittlichkeit geschuldet, sondern auch der Rivalität einer CSU-Führung, die durch die Auseinandersetzung mit der CDU stolperte wie ein Wiesnbesucher nach sechs Maß Festbier. Die CSU-Spitze drohte der kühler kalkulierenden Kanzlerin mit etwas, was die CSU mehrheitlich nicht will. Was grandioser Auftakt zur Verteidigung der absoluten Mehrheit werden sollte, geriet, miserabel durchdacht, zur Selbstbeschädigung. Seehofer wird dafür nicht als Alleinschuldiger in die Parteigeschichte eingehen wollen. Nicht nur jene in der CSU, auf die er deuten könnte, werden mehr denn je auf Merkel zeigen. Niemandem kann entgangen sein, dass die Union sich nur noch mit Fiktionen zu retten wusste.

„Rheinische Post“: Der Kompromiss ist CSU pur

Die Kanzlerin zahlt aber einen hohen Preis. In dem Einigungspapier kommt zwar noch der Hinweis vor, man werde nicht unabgestimmt handeln. Aber diese Formulierung ist ein Feigenblatt. Der restliche Kompromiss ist CSU pur. Es wird zu Zurückweisungen an der Grenze kommen. Zusammen mit Seehofers Masterplan hat die Union die Kehrtwende von einer liberalen hin zu einer sehr restriktiven Flüchtlingspolitik endgültig beschlossen. Ein strahlender Sieger ist der Innenminister dennoch nicht. Mit seiner Rücktrittsankündigung hat er sich als Regierungsmitglied selbst herabgesetzt. Nun ist er beschädigt wie die Kanzlerin auch. Als CSU-Chef ist er ohnehin angezählt.

„Berliner Morgenpost“: Späte Rache

Ein Bruch mit der CDU ist auch in der CSU hoch umstritten. Wer die Spaltung der Union zur eigenen Profilierung betreibt, kann scheitern. Das hat auch Markus Söder erkannt und lenkte in letzter Sekunde ein. Für den bayerischen Ministerpräsidenten wird das Handling dieser historischen Krise zur Feuertaufe. Er wurde von Seehofers Rücktrittsgedanken kalt erwischt und darf die Drohung durchaus als späte Rache interpretieren.

„Die Presse“ (Wien): Das Drama wird weitergehen

Selbst ein unionsinterner Frieden muss diese Koalition nicht retten. An Neuwahlen hat in der SPD zwar niemand Interesse, aber Seehofers Migrationsvorschläge müsste die Partei erst einmal schlucken. Zur Erinnerung: Die SPD-Basis hat sich mit zugehaltener Nase und tief gespalten in diese Koalition geschleppt. Sicher ist nichts in diesen Tagen. Deutschland ist unberechenbarer geworden. Nicht nur im Fußball. Nur eine Prognose darf man wagen: Das Drama wird weitergehen.

„Neue Züricher Zeitung“: Ein Kompromiss mit Fragezeichen

Mit oder ohne Kooperation Österreichs und der anderen Länder, in die Asylbewerber aus Deutschland in den neuen beschleunigten Verfahren zurückgeführt werden sollen, läuft die neue deutsche Asylpolitik auf dasselbe hinaus: Die innereuropäischen Grenzen werden für die sogenannte Sekundärmigration geschlossen. (…) Der dem Anschein nach moralisch so überlegene Ansatz der Bundeskanzlerin macht also für die Migranten so gut wie keinen Unterschied - sofern der Kompromiss von Montagnacht funktioniert. Aber wird er denn wirklich funktionieren? Zweifel sind angebracht.

„Times“ (London): Härtere Gangart

Die CSU, die im Oktober mit einer schwierigen Landtagswahl konfrontiert ist, bei der ihr der Verlust vieler Stimmen an die weit rechts stehende Alternative für Deutschland droht, kann nun den Wählern erklären, dass sie die von vielen geforderte härtere Gangart in Sachen Migration erreicht habe. Die sich abzeichnenden Wahlen in Bayern waren ein Grund für die Regierungskrise. Der andere liegt in Seehofers und Merkels 14 Jahre langer Geschichte gegenseitiger Demütigungen und Ressentiments, die sich verstärkt haben seit der Flüchtlingskrise von 2015, an der er ihr die Schuld gibt.

„de Volkskrant“ (Amsterdam): Merkels Stern sinkt

Die CDU ist eine Partei, die sich Machterhalt auf ihre Fahnen geschrieben hat. Ein alter Führer geht erst, wenn ein Nachfolger bereitsteht, so wie Merkel damals Helmut Kohl fallen ließ. Noch gibt es keinen Nachfolger, aber in den Reihen der Partei beginnt es zu knistern. Julia Klöckner, die ambitionierte Ministerin für Ernährung und Landwirtschaft, äußerte überraschenderweise ihr Verständnis für die CSU. Gesundheitsminister Jens Spahn widerspricht Merkel bereits seit Monaten öffentlich. Bei einer Politikerin von Merkels Statur kann das Ende lange dauern, aber ihr Stern sinkt unverkennbar.

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