Bis 2031 soll Deutschland nach dem Willen von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer das von der Nato angestrebte Zwei-Prozent-Ziel des BIP für Verteidigungsaufgaben erreichen. Foto: BAKS/Felten

Bis 2031 soll Deutschland nach dem Willen von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer das von der Nato angestrebte Zwei-Prozent-Ziel des BIP für Verteidigungsaufgaben erreichen. Foto: BAKS/Felten

13.11.2019
ok/yb/dpa

„Nato Talk“ in Berlin – welchen Kurs nimmt das Bündnis?

Berlin. „Nato Talk around the Brandenburger Tor“ – in Berlins Mitte ging es am 11. November um die Entwicklung des transatlantischen Bündnisses. Ein interessanter Zeitpunkt, nur wenige Tage nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Nato als „hirntot“ bezeichnet hatte und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mit ihrer Grundsatzrede an der UniBw München einen neuen sicherheitspolitischen Diskurs in Deutschland in Gang bringen wollte.

Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfang Ischinger wollte sich die „Diagnose“ des französischen Staatspräsidenten nicht zu eigen machen und warnte davor, Macron wörtlich zu nehmen. Zwar teilte Ischinger die Kritik, dass sich die Verbündeten nicht ausreichend abstimmten, wies aber darauf hin, dass die Nato mehr sei als Tweets und Statements. Die Mitgliedstaaten hätten ihre Verteidigungsausgaben erhöht und die USA ihre Präsenz in Europa sogar verstärkt, erklärte Ischinger.

Auch Frankreichs Botschafterin in Deutschland Anne-Marie Descôtes bemühte sich um Relativierung und einordnende Worte. Präsident Macron habe einen „Elektroschock“ verursachen wollen, weil er sich eine starke Nato wünscht. Er stehe auch zum Artikel 5, sagte die Diplomatin. Macron habe aber die Frage aufwerfen wollen, was es bedeute, wenn die Türkei allein in Syrien einmarschiert. Descôtes forderte Europa auf, seine Interessen zu definieren. Ja, Europa brauche die USA, aber es dürfe nicht glauben, dass es nicht selbstständig denken dürfe. Ausdrücklich lobte sie die Grundsatzrede von Kramp-Karrenbauer.

Eine unbequeme Expertin war indes Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Entscheidende Frage sei, ob sich Europa in 10 oder 20 Jahren verteidigen könne. Welche Fähigkeiten brauche Europa, konventionell und nuklear, wenn die USA nur einen kleinen Beitrag leisten, fragte sie. Sie zeigte sich dann auch skeptisch, als es um Kramp-Karrenbauers Vorschlag eines Nationalen Sicherheitsrats ging. Neue Institutionen allein schüfen keine neue strategische Kultur und definierten keine Interessen, so Major. Die Diskussion gab ihr Recht. Bezeichnenderweise wurde ausführlich über die Idee eines reformierten Bundessicherheitsrats diskutiert. Die von Major angeregte inhaltliche Diskussion in Szenarien blieb aus. Die Frage, wie Europa damit umgehen sollte, sollten die USA die Nato verlassen oder das Bündnis sein Ende finden, blieb nicht unbeantwortet, sondern wurde gar nicht diskutiert.

Mit Spannung wurde der Vortrag der Ministerin bei der gemeinsamen Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik erwartet. Kramp-Karrenbauer sieht noch große Überzeugungsarbeit vor sich, um bei den Bürgern Rückhalt für die geplante militärisch-strategische Ausrichtung Deutschlands zu gewinnen. Das sei kein Thema, das in der Bevölkerung von selbst gesetzt sei, sagte die CDU-Vorsitzende. Sie stelle dort in solchen Fragen „eine gewisse Entwöhnung“ fest, die wieder rückgängig gemacht werden müsse. Ihr sei bewusst, dass man mit sicherheitspolitischen Diskussionen hierzulande „keinen Popularitätspreis gewinnt“.

Die Verteidigungsministerin hatte in der vergangenen Woche ein sicherheitspolitisches Konzept präsentiert, nach dem Deutschland stärker eigene strategische Interessen wahrnehmen und auch mehr militärische Aufgaben in Krisenregionen übernehmen soll. Kramp-Karrenbauer bekräftigte ihre Forderung nach einer schrittweisen Erhöhung der Verteidigungsausgaben. 2024 müssten es 1,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts sein, 2031 dann die in der Nato angestrebten 2,0 Prozent.

Es gehe aber nicht nur um diese 2 Prozent, sagte Kramp-Karrenbauer. „Viel wichtiger ist aus meiner Sicht, dass wir zugesagt haben, dass von all den Fähigkeiten, die die Nato zur Verfügung stellt, wir als Deutsche 10 Prozent tragen.“ Dies sei bei realistischer Betrachtung im Jahr 2031 zu erreichen. Viel schneller sei die Beschaffung und Ausrüstung nicht möglich. „10 Prozent der Fähigkeiten führen zusammen mit den 90 Prozent, die die anderen zur Verfügung stellen, zu 100 Prozent Sicherheit für Deutschland“, sagte Kramp-Karrenbauer.

Zuvor wurde in verschiedenen Panels diskutiert und in die Zukunft geblickt: Was kommt auf Europa zu, was auf das transatlantische Bündnis? Frankreichs Ständige Vertreterin bei der Nato Muriel Domenach sagte, Europa müsse mehr für seine Sicherheit leisten, obwohl die USA der wichtigste Partner seien. Die Europäer hätten das „strategische Denken outgesourct“. Auf die Grundsatzrede von Kramp Karrenbauer angesprochen, sagte sie, jeder Impuls aus Deutschland, mehr zu tun, werde begrüßt. „Mit einem schwachen Deutschland“, sei Europa, „auf der Speisekarte“. Angst müsse man nur vor einem schwachen Deutschland haben.

Auch Sir Adam Thomson warnte Europa vor Untätigkeit. Das größte Risiko sei, dass Europa nicht genug tue, um die USA in Europa zu halten. Obwohl Europa noch nie so reich gewesen sei wie heute, sei es auf einen Alliierten tausende Meilen weit weg angewiesen. Gleichzeitig riet er von einer unrealistischen Debatte um „europäische Souveränität“ ab. Zugleich zeigte er sich skeptisch, dass mit PESCO die Divisionen mit modernem Gerät und Ausrüstung ausgestattet würden.

Dem stimmte auch Generalleutnant a.D. Heinrich Brauß zu. Aber der EU-Verteidigungsfonds müsse Hochtechnologien wie die Fähigkeit zur Raketenabwehr stärken. Frank A. Rose von der angesehenen Brookings Institution sah die Allianz in einem Ringen um die liberale Weltordnung gegen autoritäre Staaten wie Russland und China. Höhere Verteidigungsausgaben – insbesondere von Deutschland – werde auch ein demokratischer Präsident einfordern, sagte er. Die USA hätten heute nicht mehr die konventionelle Überlegenheit wie in den 1990er Jahre gegen Russland. Heute sei es in bestimmten Szenarien sogar umgekehrt, sagte Rose z.B. mit Blick auf das Baltikum.

Das Thema Nato bleibt insofern auch in Zukunft spannend. Klar dürfte sein: „Hirntot“ ist das Bündnis mit Sicherheit nicht. Allerdings sollten sich gerade die Europäer intensiv um den „Patienten Nato“ bemühen – in ihrem eigenen Interesse.

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