Das Verteidigungsministerium beabsichtigt, Flugzeuge vom Typ F/A-18 "Super Hornet", wie hier auf dem Bild  zu sehen, für die nukleare Teilhabe anzuschaffen. Foto: Boeing

Das Verteidigungsministerium beabsichtigt, Flugzeuge vom Typ F/A-18 "Super Hornet", wie hier auf dem Bild zu sehen, für die nukleare Teilhabe anzuschaffen. Foto: Boeing

05.05.2020
Gunnar Kruse

Nukleare Teilhabe - ein Konflikt mit offenem Ausgang

Seit 65 Jahren beteiligt sich die Bundesrepublik als Mitglied des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses an der nuklearen Abschreckung. Nukleare Teilhabe, wie es offiziell heißt. Dafür lagert die US-Army im rheinland-pfälzischen Büchel auf einem Fliegerhorst der Luftwaffe in unterirdischen Bunkern Atombomben. Es sollen, so steht es in unbestätigten Quellen, 20 Stück vom Typ B-61 sein, jede mit einer Sprengkraft von etwa 50 Kilotonnen. Sollte sich daran etwas ändern oder nicht? Diese Frage wird seit vier Wochen politisch intensiv und vor allem kontrovers debattiert.

Diese Debatte wird schärfer geführt, seit der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, sich vehement für den Abzug der US-amerikanischen Bomben und damit dem Ausstieg der Bundesrepublik aus der nuklearen Teilhabe ausgesprochen hat.

In einem Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“ hat er gesagt: „Atomwaffen auf deutschem Gebiet erhöhen unsere Sicherheit nicht, im Gegenteil. Es wird Zeit, dass Deutschland die Stationierung zukünftig ausschließt.“ Dafür bekommt Mützenich Unterstützung aus seiner eigenen Partei – aber auch heftigen Gegenwind. So wolle die neue SPD-Doppelspitze mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken die Bomben ebenfalls loswerden, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“.

Andere prominente Sozialdemokraten sehen die Sache anders. Außenminister Heiko Maas sagt gegenüber dem „Spiegel“: „Unsere Außen- und Sicherheitspolitik darf nie ein deutscher Sonderweg sein“. Und er ergänzt, dass „einseitige Schritte, die das Vertrauen unserer engsten Partner und europäischen Nachbarn untergraben, uns dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt nicht näherbringen. Im Gegenteil: Sie schwächen unsere Bündnisse." Die „Welt“ zitiert den verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Fritz Felgentreu, für den Mützenichs Argumente „nicht recht schlüssig“ seien. Ein schlichtes „ohne uns“ sei in der Debatte über die nukleare Teilhabe zu wenig.

Auch die Bundesregierung hält am bisherigen Konzept fest, wie Regierungssprecher Steffen Seibert betont.  Dem Ziel einer Welt ohne Atomwaffen bleibe Deutschland zugleich aber verpflichtet. Dies sei auch erklärtes Ziel der Verbündeten und der Nato. Zuvor hatte bereits Unionsfraktionsvize Johann Wadephul, zugleich stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss, von einem verheerenden Signal für Deutschlands Sicherheitspolitik gesprochen. „Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht die Fortführung der nuklearen Teilhabe außer Frage. Sie ist aus gutem Grund im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Das ist nicht verhandelbar“, so Wadephul.  

Ischinger: „Wäre massiv schädlich für das Bündnis“

In der „Rheinischen Post“ warnt der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger: „Einseitiger nuklearer Ausstieg bedeutet Verzicht auf Abschreckung und Verteidigung und wäre massiv schädlich für das Bündnis, besonders für unsere östlichen EU- und Nato-Partner“. Glaubwürdiger Schutz für Deutschland funktioniere nur nach den Prinzipien von Teilhabe und Risikoteilung.  

FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff bedauert in der Teilhabe-Debatte den aktuellen Zerfall der internationalen Abrüstungsverträge. „Wir brauchen deshalb eine Wiederbelebung des Abrüstungsdialogs zwischen den USA und Russland, auch unter Einbeziehung Chinas“, lautet seine Konsequenz. „Ein Abzug der US-Atomwaffen bringt uns da nicht weiter“, zitiert ihn das Blatt.

Die Position Mützenichs beim Thema Nukleare Teilhabe ist nicht neu. Die in Deutschland noch stationierten taktischen Nuklearwaffen „machen taktisch und strategisch keinen Sinn. Es wäre gut, wenn auf diese Waffen auf deutschem Boden verzichtet würde“, hatte er bereits vor zehn Jahren auf "tagesschau.de" erklärt.

Warum die Debatte momentan wieder Fahrt aufnimmt, dafür nennt Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München gegenüber der „Neuen Zürcher Zeitung“ einen Grund: Die SPD stilisiere sich wieder zur Friedenspartei, man plane dort für die Zeit nach Bundeskanzlerin Angela Merkel und bereite ein mögliches Bündnis mit den Grünen und der Linkspartei auf Bundesebene vor. „Es wäre eine Katastrophe, wenn sich das bevölkerungsreichste Land Europas aus der nuklearen Teilhabe verabschieden würde“, so der Politikwissenschaftler.

Ersatz für „Tornados“ wird benötigt

In den Fokus gerückt ist das Thema nukleare Teilhabe aber sicher auch durch jüngste Äußerungen von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Laut Berichten von „Spiegel Online“ soll sie entschieden haben, dass die 93 „Tornados“ der Luftwaffe ab 2025 durch bis zu 90 „Eurofighter“ und weitere 45 Flugzeuge vom Typ F-18 ersetzt werden sollen. Die „Eurofighter“, die in der Bundeswehr bislang als Jäger und seit Kurzem auch als Aufklärer im Einsatz sind, sollen dann auch in der Rolle des Jagdbombers geflogen werden. Für den elektronischen Kampf und die nukleare Teilhabe will das BMVg 15 EA-18 „Growler“ beziehungsweise 30 F/A-18 „Super Hornet“ beim Luftfahrtkonzern Boeing beschaffen. Die SPD wirft der Ministerin vor, ihre Entscheidung nicht mit ihr abgestimmt zu haben.

Die 45 Boeing-Flugzeuge sollen laut BMVg als Brückenlösung dienen, da das neue europäische Kampfflugzeug, das im Rahmen des Projekts „Next Generation Weapon System“ zusammen mit Frankreich und Spanien entwickelt wird, erst ab 2040 zur Verfügung stehe. „Tornados“ werden bereits seit 40 Jahren in der Bundeswehr eingesetzt und können unter anderem mit Nuklearwaffen bestückt werden.

Eigenständige nuklear-strategische Rolle von Anfang an ausgeschlossen

Die Stationierung atomarer Waffen in der Bundesrepublik begann bereits im März 1955 und damit vor dem Nato-Beitritt (5. Mai 1955) Deutschlands. Damals brachten die US-Streitkräfte ihre ersten atomaren Fliegerbomben ins Land. Ab Ende der 1950er-Jahre wurde die Luftwaffe zur nuklearen „Strike Force“ aufgebaut, insbesondere mit dem F-104G „Starfighter“. Aber: Jede eigenständige nuklear-strategische Rolle der Bundesrepublik und ihrer Bundeswehr war von vornherein ausgeschlossen. Noch bis Mitte der 90er Jahre sollen auf dem US-Stützpunkt Ramstein und in Büchel zirka 150 US-Nuklearwaffen gelagert gewesen sein.  

In die nukleare Teilhabe, die zur Abschreckungspolitik der Nato gehört, sind auch andere Nicht-Atomwaffen-Staaten eingebunden. Dazu gehören beispielsweise Italien und die Niederlande. Die Kontrolle der Atombomben obliegt den USA.

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