Teilnehmer einer Gedenkveranstaltung zum 29. Jahrestag des Mauerfalls stecken am Mauerdenkmal Bernauer Straße Rosen zwischen Reste der ehemaligen Berliner Mauer. Foto: Ralf Hirschberger/dpa

Teilnehmer einer Gedenkveranstaltung zum 29. Jahrestag des Mauerfalls stecken am Mauerdenkmal Bernauer Straße Rosen zwischen Reste der ehemaligen Berliner Mauer. Foto: Ralf Hirschberger/dpa

09.11.2018
fh/Mit Material von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Vor 29 Jahren: Im Osten ging die Sonne auf

Berlin. Wie ist das mit den geschichtsträchtigen Tagen, bei denen jeder wusste, wo er zu dieser Zeit war? Die ersten Novembertage 1989 gehören definitiv dazu. Denn am Abend des 9. November spricht Günter Schabowski vom SED-Zentralkomitee der DDR, sich offensichtlich der Tragweite seiner Worte nicht bewusst, stockend die bedeutungsschweren Worte: Die Reisefreiheit trete „sofort, unverzüglich“ in Kraft. Damit ist der größte Wendepunkt der jüngeren deutschen – und europäischen – Geschichte markiert. Die Mauer fällt, nur wenige Stunden später liegen sich tausende Menschen an der innerdeutschen, jetzt offenen Grenze in den Armen.
 
Natürlich war das nicht vom Himmel gefallen. Vorausgegangen waren Monate und Jahre, in denen die Macht und die Kontrolle de SED-Regimes schrittweise erodiert sind. So waren etwa schon im Mai 1989 die Unmutsbekundungen in der ostdeutschen Bevölkerung lauter geworden. Für die Kommunalwahlen in der DDR am 7. Mai 1989 hatten die offiziellen Stellen – wie üblich – ein Ergebnis von 98,5 Prozent für die Listen der „Nationalen Front“ vermeldet. Aber DDR-Bürgerrechtlern gelang es erstmals, durch organisierte Auszählungskontrollen nachzuweisen, dass diese Ergebnisse gefälscht waren.
 
Schützenhilfe erhielten die Regimegegner auch aus Ungarn. Die liberale Regierung dort wollte den Eisernen Vorhang durchlässiger machen. Am 27. Juni 1989 zerschnitten die Außenminister von Ungarn und Österreich in einem symbolischen Akt gemeinsam den Stacheldraht an der ungarisch-österreichischen Grenze. Beim „Paneuropäischen Picknick“ am 19. August war das Grenztor für drei Stunden geöffnet – mehr als 600 DDR-Bürger nutzten die Gelegenheit zur Flucht. Auch in den westdeutschen Vertretungen in Prag, Budapest, Warschau und Ost-Berlin suchten Hunderte DDR-Bürger in diesem Sommer Zuflucht. Als Ungarn am 11. September die Grenze für DDR-Bürger öffnete, reisten binnen drei Tagen 15.000 Ostdeutsche über Österreich in die Bundesrepublik.

Die Reform- und Gegenbewegung stellte sich im Spätsommer und Frühherbst zudem auf institutionelle Füße und organisierte sich. Am 9./10. September 1989 formierte sich das Neue Forum (NF), die erste landesweite Oppositionsbewegung außerhalb der Evangelischen Kirche. Dazu kamen weitere Vereinigungen: am 15. September 1989 „Demokratie Jetzt“ (DJ), am 2. Oktober „Demokratischer Aufbruch – sozial, ökologisch“ (DA). Bereits am 26. August 1989 trat in Berlin eine Initiative zur Gründung der SDP (Sozialdemokratische Partei) an die Öffentlichkeit, sie wurde am 7. Oktober 1989 als erste unabhängige Partei in der DDR gegründet.
 
Unterdessen stiegen die Flüchtlingszahlen in den Botschaften weiter an. Mehr als 6000 Menschen harrten unter katastrophalen Bedingungen in den Botschaften aus. Der bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher verhandelte mit den Amtskollegen aus der UdSSR, der DDR, der Tschechoslowakei und Polens. Und sorgte für den ersten Gänsehautmoment in der atemberaubenden Entwicklung jener Tage: Am Abend des 30. September verkündete Hans-Dietrich Genscher auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag die Ausreisegenehmigung für die Botschaftsflüchtlinge in Prag und Warschau.

In der DDR gingen immer mehr Menschen auf die Straße, um für freie Wahlen und Bürgerrechte zu demonstrieren. Am 9. Oktober 1989 versammelten sich 70 000 Menschen in Leipzig. Die Sicherheitskräfte zogen sich zurück. Seit dem 4. September 1989 fanden in Leipzig jeden Montag Demonstrationen statt, Anfang Oktober weiteten sich die Proteste auf Berlin, Dresden, Plauen, Jena und Potsdam aus. Im Mittelpunkt standen zunächst Forderungen nach Reise-, Presse- und Versammlungsfreiheit, dann wurden auch die Rufe nach der Wiedervereinigung Deutschlands lauter. Am 4. November 1989 nahmen mehr als 500.000 Menschen an einer Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz teil. Die offiziell angemeldete und genehmigte Veranstaltung wurde zu einer machtvollen Demonstration gegen das SED-Regime.

Am 9. November ist es dann soweit. Unter dem Druck der Ereignisse gewährte die DDR-Führung die eingangs erwähnten Reisefreiheiten. Und war sich wohl nicht darüber im Klaren, wie sehr die Dämme brechen würden: Binnen Stunden strömten Tausende Menschen durch die offenen Grenzübergänge. Nach 28 Jahren konnten die Bürger wieder ungehindert von Ost nach West gehen und fahren.

In den Monaten und Jahren danach gossen die Politiker die faktisch erreichte Wiedervereinigung in einen rechtlichen Rahmen. Am 28. November 1989 verkündete Bundeskanzler Helmut Kohl ein „10-Punkte-Programm“. Es sah die Wiederherstellung der deutschen Einheit auf dem Wege einer Föderation in einem Zeitraum von fünf und mehr Jahren vor. Aus den ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer am 18. März 1990 ging die von der CDU geführte „Allianz für Deutschland“ als Siegerin hervor. Die große Koalition unter Ministerpräsident Lothar de Maizière bereitete in der DDR den parlamentarischen Weg zur deutschen Einheit vor.
 
Über den richtigen Weg dahin wurde naturgemäß auch heftig gestritten. Eine Minderheit wollte die Mütter und Väter des Grundgesetzes beim Wort nehmen, die im Artikel 146 vorgesehen hatten, dass das Grundgesetz „an dem Tage“ die Gültigkeit verlieren solle,„an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“. Doch es zeichnete sich eine andere Lösung ab: Am 23. August beschloss die Volkskammer gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990, der am 31. August 1990 als Einigungsvertrag unterzeichnet wurde. Zuvor war am 1. Juli 1990 bereits die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen der DDR und der Bundesrepublik in Kraft getreten. Mit dem Inkrafttreten des Beitritts der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes ist Deutschland am 3. Oktober 1990 wiedervereinigt.

Der grundgesetzliche Weg zur Vereinigung bildete die entscheidende Voraussetzung für die Zustimmung der Alliierten zum Prozess der Deutschen Einheit. Denn natürlich waren die Widerstände gerade bei ehemaligen Gegnern im Zweiten Weltkrieg groß. Doch der friedliche und verfassungsmäßige Weg zur deutschen Einheit überzeugte die Staatengemeinschaft schließlich. Am 12. September 1990 unterzeichneten die Außenminister der ehemaligen Alliierten des Zweiten Weltkriegs und die Außenminister der Bundesrepublik Deutschland und der DDR den „2+4-Vertrag“. Damit erhielt Deutschland die volle Souveränität.
 
Am 2. Dezember 1990 gingen Ost- und Westdeutsche erstmals gemeinsam an die Urnen und wählten den Bundestag. Den Sieg errang die christlich-liberale Regierungskoalition. Bundeskanzler Kohl konnte sich auf eine breite Mehrheit stützen und wurde zum ersten gesamtdeutschen Bundeskanzler gewählt.

Über die Fehler, die Laufe des komplexen Wiedervereinigungsprozesses gemacht wurden, lässt sich trefflich diskutieren. Eines ist aber unstrittig: Das Jahr 1989 zeigt, welch ein Kraft der Freiheitswille entfesseln kann. Nur so war diese Sternstunde deutscher Geschichte möglich.

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