14.02.2019
Carsten Hoffmann, dpa

Die Bundeswehr sucht das Sturmgewehr der Zukunft

«Braut des Soldaten» und «Pannengewehr»: Das G36 soll nach Präzisionsmängeln im intensiven Feuerkampf und bei südlicher Hitze ersetzt werden. Die Entscheidung fällt zwischen einem Traditionslieferanten und einem Außenseiter aus Thüringen.

Berlin - Von Soldaten geschätzt, von Technikern bemängelt: Um die Treffgenauigkeit des Sturmgewehrs G36 hat es große Aufregung gegeben - und im Jahr 2015 eine Entscheidung. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) verkündete, «dass das G36, so wie es heute konstruiert ist, keine Zukunft in der Bundeswehr hat». Die Beschaffung eines Nachfolgers hat nun die erste Hürde genommen.

Nach einer Verlängerung der Frist bis zum 15. Februar - die ersten Angebote waren unzureichend - sind Waffen des G36-Herstellers Heckler & Koch (Oberndorf a.N.) und des Thüringer Unternehmens Haenel, das dem Militär bereits ein Scharfschützengewehr liefert, im Rennen. Haenel (Suhl) ist Teil der Merkel Gruppe, die der Tawazun Holding (Vereinigte Arabische Emirate) angehört.

Die Affäre um das aus Gewichtsgründen teilweise aus Kunststoff bestehende G36 begann 2012 mit Hinweisen auf Probleme mit der Treffgenauigkeit, die späteren Untersuchungen zufolge nach langen Schussfolgen oder auch unter Hitzeeinwirkung auftreten. Es folgten Streit, politische Empörung über schlecht ausgerüstete Soldaten und eine Kakophonie der Expertenmeinungen, bei der Labortests und praktische Erfahrungen der Soldaten gegeneinander standen.

Heckler & Koch wehrte sich öffentlich und juristisch gegen einen Imageschaden und bekam vom Landgericht Koblenz bescheinigt, von 1996 an geliefert zu haben, was die Bundeswehr bestellt hatte: Ein Sturmgewehr zur Landesverteidigung im mitteleuropäischen Klima. Dass deutsche Soldaten unter der Hitze Afghanistans oder inzwischen auch Malis Patrouille fahren, hatte da niemand auf dem Zettel.

Bei Gewehren ist das Zusammenspiel von Gewicht, Lauflänge, Munition und Treffleistung komplex. Das Material der Waffe wirkt sich auf das Gewicht und die thermische Belastbarkeit aus. Das Kaliber der Munition bedingt Durchschlagskraft, aber begrenzt gewichtsmäßig auch, wieviel Schuss am Mann mitgeführt werden können.

Die Bundeswehr fordert nun ein Gewehr, das für alle Klimazonen geeignet ist. Von der Feuerkraft her muss es den Feind vorübergehend niederhalten können, also in die Deckung zwingen. In einer solchen Situation kann die Präzision hinter die Feuerkraft zurücktreten. Das Ziel muss aber bald darauf wieder mit hoher Wahrscheinlichkeit getroffen werden. Es gilt, sogenannte Kollateralschäden bei Einsätzen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung zu vermeiden - bei Auslandseinsätzen sollen nicht etwa Unbeteiligte wegen technisch bedingter Fehltreffer Opfer werden. Nicht zu vergessen die Forderung nach «Wirkungsüberlegenheit» gegenüber Waffen möglicher Gegner, die mit Feuerkraft und größerer Reichweite erreicht werden kann.

Aus zeitlichen Gründen hat sich die Bundeswehr gegen eine Neukonstruktion für die 120 000 zum Kauf anstehenden Waffen entschieden und setzt auf die Anpassung «marktverfügbarer Waffen». Auch ohne den Streit um die Präzision wäre das G36 inzwischen an das Ende der Nutzungszeit gekommen, hat von der Leyen bekräftigt.

Der Hersteller Sig Sauer hatte sich im November 2017 aus dem Vergabeverfahren zurückgezogen, kurz darauf auch Rheinmetall/Steyr-Mannlicher. Sig Sauer (Eckernförde) hat in den letzten Jahren seine Position als Lieferant von Dienstwaffen für deutsche Polizeibehörden und den Verfassungsschutz kräftig ausgebaut.

Als deutsch-amerikanische Bietergemeinschaft hatte es sich mit dem Gewehr MCX am vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb beteiligt, dann aber Ungleichbehandlung kritisiert: Zwar sei allen Herstellern für Erprobungen ein Kontingent von mehreren tausend Schuss Munition zugesagt. Bieter, die schon an die Bundeswehr liefern, hätten die Munition aber aus anderen Produktionen Jahre vorher und in größerem Umfang zur Verfügung. Sig Sauer hat ein Schwesterunternehmen in den USA und warf dem Verteidigungsministerium eine pauschale Diskriminierung von US-Bietern vor. Eine Bedingung war, dass das neue Gewehr nicht dem US-Regelwerk für Waffenhandel (ITAR) unterliegt. Dies und die Munitionsfrage sei als Vorentscheidung für Heckler & Koch zu verstehen, so Sig Sauer.

Die Waffenschmiede H&K aus Baden-Württemberg ist einer der bekanntesten Handfeuerwaffen-Hersteller der Welt und beliefert seit Jahrzehnten die Bundeswehr und andere Armeen. Zuletzt hatte das Unternehmen auch Kundenkritik bekommen. Die Berliner Polizei beklagte 2018 zum zweiten Mal mangelnde Treffgenauigkeit von Pistolen und mahnte Nachbesserung an. Die Firma wies die Vorwürfe aber zurück.

Heckler & Koch ist in schwerem Fahrwasser, in den ersten drei Quartalen 2018 fuhr das Unternehmen einen Verlust ein von vier Millionen Euro, wie aus einem Zwischenbericht der Firma hervorgeht. Für eine 800-Mitarbeiter-Firma mit einem Umsatz von rund 164 Millionen Euro in dem Zeitraum ist das kein Pappenstiel. Schulden drücken. Ein Niederlage bei der G36-Nachfolge wäre gefährlich. Doch kann nur ein Unternehmen zum Zug kommen.

«In der Rüstungsindustrie ist das Problem des Oligopols, der Marktbeherrschung durch wenige hochspezialisierte Fachunternehmen, immer präsent. Deswegen muss man umso akribischer vorweg prüfen und verhandeln, um einen guten Vertrag zu haben», sagt die Ministerin dazu der Deutschen Presse-Agentur. Ziel sei das bestmögliche Gewehr für die Soldaten zu einem vernünftigen Preis. «Solche Prozesse sind traditionell vor 20, 30 Jahren anders gelaufen, als die Rüstungsindustrie noch enger mit den staatlichen Stellen gekoppelt war. Die Probleme kamen dann meist hinterher. Heute muss der Staat seine Interessen genauso nachdrücklich wahrnehmen wie private Marktteilnehmer.»