In der schönen Rotunde des früheren Gästehauses der Bundesregierung analysierten die Fachleute die derzeitige Sicherheitslage. Foto: DBwV/ Frank Henning

In der schönen Rotunde des früheren Gästehauses der Bundesregierung analysierten die Fachleute die derzeitige Sicherheitslage. Foto: DBwV/ Frank Henning

17.10.2018
fh

„Gas geben bei den Trendwenden“

Bundesvorsitzender fordert mehr Tempo – und mehr Personal. Wehrbeauftragter regt höhere Mittel im mittelfristigen Finanzplan an.

Das Thema war weit gesteckt – und konnte allenfalls angerissen werden: Bei den diesjährigen Petersberger Gesprächen ging es um aktuelle Herausforderungen und Perspektiven der deutschen und europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Doch die vom Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, vom DBwV-Bildungswerk (Karl-Theodor-Molinari-Stiftung/KTMS) und von der Gesellschaft für Sicherheitspolitik ausgerichtete Veranstaltung in Königswinter bei Bonn wurde ihrem guten Ruf gerecht. In ihren Forderungen waren sich Spitzenmilitärs, Wissenschaftler und Politiker schließlich weitgehend einig: Mehr Europa wagen – und Gas geben bei den Trendwenden in der Bundeswehr.

Keine zwei Meinungen gab es in der Frage der Lagebewertung. Moderator Oberst a.D. Hans-Joachim Schaprian skizzierte kurz die immer komplexer werdende Situation: die Konflikte an allen Ecken und Enden der Welt. 1,5 Milliarden Menschen in sogenannten fragilen Staaten. Die vielen Millionen Flüchtlinge. Die Bedrohungen durch Netzangriffe, Stichwort Cyber. Die brüchiger werdende Sicherheitsarchitektur, etwa durch das Vorgehen Russlands und den Brexit.

Schnell landete die Diskussion bei den Möglichkeiten, die eine konzertierte europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik bieten könnte. „Wir müssen europäische Antworten geben“, sagte etwa Wolfgang Hellmich, SPD-Parlamentarier und Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Und auch Botschafterin Antje Leendertse, Politische Direktorin im Auswärtigen Amt, will die europäische Integration in der Außenpolitik vorantreiben. „Ziel ist die Schaffung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion“. In diesem Sinne sei der Schritt zur Einrichtung der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (Pesco) eben kein Beharren auf überholten Vorstellungen, sondern „knallharte deutsche Sicherheitspolitik“. Natürlich seien bis dahin noch einige Probleme zu lösen. Welche Rolle könnte etwa ein europäischer Sicherheitsrat spielen, den die Bundeskanzlerin als Idee in die Diskussion geworfen hatte? Leendertse lobte die deutschen Beiträge zur europäischen Sicherheit, etwa das Air Policing im Baltikum und die Rolle der Bundeswehr bei enhanced Forward Presence in Litauen. Die Diplomatin betonte zudem, dass mehr EU nicht notwendigerweise weniger Nato bedeute. Ihr Fazit: „Die Stärkung der europäischen Integration auf diesem Gebiet wird viel Zeit und Energie kosten, ist aber notwendig“. Deutschland und Frankreich müssten die Motoren sein.

Stichwort Frankreich: Johannes Varwick, Professor an der Universität Halle-Wittenberg, sieht in dem Nachbarland einen wertvollen Impulsgeber. „Wir sollten französischer denken.“ Das gelte auch für Entscheidungswege in den sicherheitspolitischen Abläufen. Der Umgang mit den Arbeitsergebnissen der sogenannten Rühe-Kommission zum Parlamentsvorbehalt etwa sei eine vertane Chance. Denn die umständlichen parlamentarischen Verfahren stünden der Schaffung einer wirksamen europäischen Verteidigungsunion entgegen. Der Wissenschaftler betonte zudem, dass die Zeit der völligen Zurückhaltung für Deutschland vorbei sei. „Viele sehen Deutschland so ein wenig als große Schweiz“. Das könne Deutschland aber nicht sein, wenn es Außenpolitik gestalten wolle. Varwick sieht noch große Probleme mit Blick auf eine effektive europäische Sicherheitspolitik: „Der Konsens zwischen europäischen Staaten in der Außen- und Sicherheitspolitik ist leider nicht groß genug, um wirklich etwas zu bewegen.“

Die Sichtweise des Entwicklungspolitikers brachte Christoph Rauh in die Diskussion, Unterabteilungsleiter Afrika im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Entwicklungs- und Verteidigungspolitik würden oft als konkurrierende Dinge gesehen, seien aber untrennbar miteinander verbunden. Rauh zitierte noch einmal die Kardinalregel der vernetzten Zusammenarbeit: „Kein Frieden ohne Entwicklung und keine Entwicklung ohne Frieden.“ Diese Vernetzung diene ganz konkret der Sicherheit der Menschen. Der Spitzenbeamte beschönigte die Probleme in Afrika nicht. 60 Prozent der Menschen zwischen 18 und 25 Jahren seien dort arbeitslos. Zudem sei die Bevölkerungsentwicklung besorgniserregend. Es gebe gute Ansätze, etwa durch das Engagement der Afrikanischen Union. Aber es sei noch mehr Engagement notwendig, auch durch die deutsche Wirtschaft, sagte Rauh. Mit Blick auf den Haushalt strebe man einen Etat von 0,7 Prozent des Inlandsprodukts an.

Welche Auswirkungen muss nun all das auf die Bundeswehr haben? Hier war naturgemäß Generalinspekteur Eberhard Zorn für die Lagefeststellung zuständig. Der Vier-Sterne-General zeichnete ein realistisches Bild vom Zustand der Streitkräfte. So sei etwa die Ersatzteilversorgung ein Problem in der Truppe. Und auch in der persönlichen Ausrüstung gebe es Engpässe. Hier sieht Zorn aber Licht am Ende des Tunnels. Die Beschaffung von Bekleidung und Ausrüstung werde in den kommenden beiden Jahren signifikant verbessert werden. Ganz gut aufgestellt sieht der General die Bundeswehr beim Personal. Es gebe unverändert viele Bewerbungen, sodass eine Auswahl möglich sei – unterschiedlich stark ausgeprägt in den Statusgruppen. Im Schnitt seien derzeit 13 bis 14 Prozent der Dienstposten unbesetzt. Einen Schritt nach vorne machen werde das Personalwesen, wenn das Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz komme. Dort seien etwa bessere Möglichkeiten für Seiteneinsteiger verankert.

Die verstärkte europäische Zusammenarbeit sei begrüßenswert, bringe jedoch auch Verpflichtungen durch konkrete Zusagen mit sich. In Sachen Einsätze blickt der General nicht ohne Sorge nach Afghanistan: „Dort stellen wir ein strategisches Patt fest. Die Mission wird uns noch viele Jahre beschäftigen.“ Auch in Mali gebe es Verbesserungsbedarf. Es werde beispielsweise nicht erfasst, wo das von der Trainingsmission EUTM ausgebildete Personal anschließend eingesetzt werde.

Die Herausforderungen für die Bundeswehr würden in jedem Fall nicht weniger. Inzwischen seien etwa pro Tag 500 Angriffe auf die Netze im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums zu verzeichnen. Aber die für die Anforderungen durch die Digitalisierung und den Cyber- und Informationsraum notwendigen Investitionen seien im Haushalt abgebildet.

Womit Zorn bei den Trendwenden war. Das eine oder andere benötige noch Zeit, aber insgesamt sei man auf einem guten Weg. Wichtig zudem: „Von der Motivation der Truppe her habe ich gar keine Sorgen und von der Ausbildung her auch nicht“, sagte Zorn. Seine Aufgabe sei es, die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte voranbringen. Die dafür nötigen Konzepte und theoretischen Grundlagen seien alle vorhanden. So setze das Fähigkeitsprofil klare Zielmarken bei Rüstungsprojekten und Geld.

Damit fand der General die Zustimmung des Bundesvorsitzenden, Oberstleutnant André Wüstner. „Die Konzepte sind tatsächlich alle da“. Doch es gelte auch, die richtigen Schlüsse zu ziehen. „Wenn man das Fähigkeitsprofil ansieht, muss man etwa noch einmal über die Personalstärke nachdenken.“ Der DBwV-Chef forderte die Politiker zudem auf, „mehr Gas zu geben“. Die Umsetzung der Papiere müsse glaubhaft angegangen werden. Es fehle an vielen Stellen, so bei den Nachtkampffähigkeiten und Transportkapazitäten. Um die Beschaffungen zu beschleunigen, müssten die Vergabeverfahren vereinfacht werden. Die Industrie brauche zudem verlässliche Zusagen in der Geschäftspartnerschaft mit dem Verteidigungswesen. „Es reicht nicht, nur zu beschreiben, was alles nicht geht“, mahnte der Verbandschef. Er pflichtete dem Generalinspekteur bei, was die Leistungsfähigkeit der Bundeswehrangehörigen angeht. „Ausbildung und Ansehen der Bundeswehr sind gut. Wir haben auch eine gute Führungskultur im internationalen Vergleich.“ Wüstner appellierte noch einmal an die Haushaltspolitiker, den Bedarf der Bundeswehr richtig zu bewerten und die Mittel dementsprechend zur Verfügung zu stellen.

Hier machte der Wehrbeauftragte Hoffnung. Hans-Peter Bartels zeigte sich zuversichtlich, zumindest das 1,5-Prozent-Ziel bis 2024 erreichen zu können, dass so im Finanzplan derzeit noch nicht abgebildet ist. Das hieße, dass dann rund 60 Milliarden zur Verfügung stünden. Bartels lobte zudem eine geänderte Fehlerkultur der Bundeswehr. „Das Bewusstsein für die Probleme ist vorhanden.“ Das sei nicht immer so gewesen. Aber auch ihm gehen die Dinge zu langsam voran. „Man muss Dinge vorantreiben und Probleme lösen.“ Schwierigkeiten erwartet Bartels besonders beim Personal. Überall werbe der öffentliche Dienst um Nachwuchs. Und da sei eine Verpflichtung auf Zeit eben nicht attraktiv im Vergleich zur Polizei, die eine Lebensanstellung biete. Der Wehrbeauftragte sieht aber auch internen Verbesserungsbedarf. Vergleichbare Einrichtungen wie Truppenküchen und Unterkünfte bauten etwa Studierendenwerke auch (Wohnheime und Mensen). Doch da gehe es viel schneller. Die hinderliche Vorschriftenlage in der Bundeswehr sei in Teilen hausgemacht. Hier pflichtete ihm der Generalsinspekteur bei – gerade für die örtliche Ebene: „Die Regelungsdichte ist zu hoch in der Truppe. Wir versuchen, das zu ändern. Ziel ist es, den Handlungsspielraum de Kommandeure wieder zu erweitern.“

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