Lagebeurteilung in der Operationszentrale bei einer Übung in Munster. In der deutschen Sicherheitspolitik fehlt es an klaren Strategien Foto: Bundeswehr/Trotzki

Lagebeurteilung in der Operationszentrale bei einer Übung in Munster. In der deutschen Sicherheitspolitik fehlt es an klaren Strategien Foto: Bundeswehr/Trotzki

08.02.2018
mkl

MSC-Chef Ischinger bemängelt fehlende deutsche Strategie

Berlin. In der kommenden Woche, genau genommen am 16. Februar, startet die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Auf Einladung von Botschafter Wolfgang Ischinger werden rund 100 Staats- und Regierungschefs über aktuelle Themen aus dem Bereich Sicherheitspolitik diskutieren.
Anlässlich der Kick-off-Veranstaltung, an der am Donnerstag (8. Februar) auch der DBwV-Bundesvorsitzende Oberstleutnant André Wüstner teilnimmt, beklagt Ischinger im Gespräch mit der „Welt“ eine fehlende Strategie Deutschlands – was sich fast wortgleich deckt mit der andauernden Kritik des Deutschen BundeswehrVerbands.

Ischinger führt dies auch auf die schleppenden, wenngleich nun endlich abgeschlossenen Verhandlungen zwischen Union und SPD zurück: „Die schwierige Koalitionsbildung hat bisher zu einer gewissen Abstinenz der Verhandler geführt, sich mit den komplexen Themen deutscher und europäischer Antworten auf internationale Risiken, Krisen und Konflikte näher zu beschäftigen, insbesondere soweit militärische Fragen betroffen sind“, sagte er. Das ist auch aus Sicht des DBwV angesichts einer Welt voller neuer Bedrohungen ein Riesenproblem! Dem Koalitionsvertrag fehlen zentrale weltpolitische Aussagen!

Ischinger fordert in dem Interview eine stärkere Einbindung der Bundeswehr in internationale Aufgaben. Auch innerhalb der Nato müsse sich Deutschland  mehr einbringen. „Dass wir uns an der Bekämpfung des IS nur mit Luftaufklärung beteiligen, ist für so ein großes europäisches Land wie Deutschland zu wenig. Es darf nicht der Eindruck entstehen, die militärischen Kernaufgaben überlassen wir gerne anderen, zumeist kleineren, Partnern“, so der Ausrichter der MSC.

Dafür müsse die Bundeswehr aber gestärkt werden. Ischinger plädiert deshalb auch dafür, die Verteidigungsausgaben gemessen am BIP in dieser Legislatur auf 1,5 Prozent anzuheben. Das ist der gleicht Wert, den übrigens auch der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) für realistisch hält. Vor dem Hintergrund, in der Nato glaubwürdig zu bleiben, müsse langfristig das versprochene Zwei-Prozent-Ziel auch eingehalten werden.

Für Europa wünscht sich Ischinger ein „echtes Strategiedokument“ und die regelmäßige Verfassung eines Weißbuchs in Deutschland. Auch müsste das Beschaffungswesen reformiert werden: „ Auch bei uns erfolgt die Anschaffung von Fregatten oder Flugzeugen oft eher nach Kassenlage als auf der Basis umfassender strategischer Überlegungen. Wir müssen uns fragen: Was braucht Deutschland, um sich, seine Menschen, seine Grenzen, zu schützen? Was brauchen wir, um unseren Zusagen gegenüber der Nato nachzukommen? Und was brauchen wir, um uns darüber hinaus im Rahmen der EU oder der UN adäquat zu engagieren?“

USA und Russland müssen sich erst annähern


In den aktuellen Konflikten sieht Ischinger nicht viel Spielraum. In der Ukraine sieht er Fehlverhalten auf beiden Seiten und plädiert für einen Neustart der Verhandlungen – unter voller Einbeziehung der USA und der EU nach dem Modell der Iran-Verhandlungen. Aber Ischinger glaubt, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist. „Ehrlich gesagt glaube ich, dass wir zunächst die russischen
Präsidentschaftswahlen in einigen Wochen abwarten müssen. Dann verfügt Wladimir Putin vielleicht über größere Freiheit, auch innenpolitisch unbequeme Zugeständnisse zu machen“, sagt Ischinger. Die Wahl findet am 18. März statt.

Auch für eine baldige Abrüstung sieht er kaum Chancen. Dafür müssten sich die USA und Russland zunächst annähern, wonach es aber nicht aussehe: „Wir haben im Augenblick zwischen Moskau und Washington ein sehr hohes Maß an gegenseitigem Misstrauen. Es gibt kaum Kontakte zwischen den Militärs. Das führt zu erheblichen Risiken von militärischen Missverständnissen und ungewollten Eskalationen.“

Einem einseitigen Abzug der in Deutschland stationierten US-Atomwaffen ohne Kontrollvereinbarung mit Russland – von der Linken immer wieder gefordert – erteilt Ischinger eine klare Absage. Das „wäre die freiwillige Erhöhung der eigenen Erpressbarkeit. Die Nato hat mit großer Klugheit vor Jahrzehnten im Kalten Krieg den Harmel-Bericht verfasst. Dessen Essenz lautet: Wir brauchen so viel Verteidigung wie nötig und so viel Dialog und Kooperation wie möglich. Das ist auch heute eine angemessene Richtschnur“, so Ischinger in der „Welt“.