Eine „seltsam-männerbündlerische Welt mit kuriosem Vokabular, mit Waffen und Uniformen“ (Foto: action press)

Eine „seltsam-männerbündlerische Welt mit kuriosem Vokabular, mit Waffen und Uniformen“ (Foto: action press)

29.06.2017
Christian Thiels

Der Soldat, das unbekannte Wesen

Vorurteile und Klischees sind weitverbreitet und auch die Bundeswehrführung selbst trägt dazu bei, dass sie nicht verschwinden

Ob Pfullendorf, Bad Reichenhall oder Franco A. – immer, wenn es schlechte Nachrichten aus der Bundeswehr gibt, dann sind auch sie wieder da: all die „Hab-ich-doch-schon-immer-gewusst“-Kolumnisten und die „Typisch-Bundeswehr“-Kommentatoren. Misshandlungen, Sexismus, Rechtsradikalismus – typisch Streitkräfte? Das Image der Truppe ist nicht sonderlich berauschend – das gilt vor allem für die mediale Wahrnehmung. In repräsentativen Umfragen unter den Bürgern wird die Bundeswehr regelmäßig besser bewertet als es die Berichterstattung in Fernsehen, Radio und Netz glauben macht. Doch warum ist das so?

Erst einmal liegt es am grundsätzlichen Auftrag von Medien. Sie sollen eben keine Jubelbotschaften verbreiten, sondern den Finger in die Wunde legen. Das gehört zum Wesenskern der freien Presse – und zur Professionalität von Journalisten. Doch das erklärt nicht die Zurückhaltung, die bei vielen Medienschaffenden mitschwingt, wenn es um sicherheitspolitische Themen ganz allgemein und die Bundeswehr im Besonderen geht. Da wäre erst einmal die Tatsache, dass nur wenige Redakteure und Reporter eigene Erfahrungen mit den Streitkräften haben – etwa als Wehrpflichtige. Es herrscht weitverbreitete Unkenntnis und die gehört für manche Medienschaffende gar zum guten Ton. Es schickt sich schlicht nicht, sich intensiv mit dem Militär zu beschäftigen. Die Bundeswehr – immer noch oft ein „Igitt“-Thema. Wer zur seltenen Spezies derjenigen Journalisten gehört, die einen „Fuchs“ von einem „Luchs“ unterscheiden können und sich gar mit Uniformen, Kampfjets und Fregatten auskennen, wird von den Kollegen als skurril, manchmal gar als suspekt betrachtet.

Für alle anderen ist der Soldat allzu oft ein unbekanntes Wesen und die Bundeswehr eine seltsammännerbündlerische Welt mit kuriosem Vokabular, mit Waffen und Uniformen, mit stumpfem Befehl und Gehorsam, eine Organisation, in der der eigene Wille und der mündige Bürger wenig zählen und in der Menschen zu Killern ausgebildet werden. Solche Vorurteile und Klischees sind weitverbreitet und manchmal tut auch die Bundeswehrführung selbst ihren Teil dazu, dass sie nicht verschwinden und dass das Verständnis für die Streitkräfte und ihre Soldatinnen und Soldaten eher unterent­wickelt bleibt. Etwa, indem Pressesprecher eher wie Presseschweiger handeln und miserabel mit der Öffentlichkeit kommunizieren. Oder indem die Bundeswehr häufig diejenigen fördert, die lieber bequeme Befehlsempfänger als kritisch-selbstbewusste Staatsbürger in Uniform sind. Oder indem das Ministerium versucht, per Maulkorberlass den Dialog zwischen Streitkräften, Politik sowie Medien und damit letztlich auch der Gesellschaft zu beschränken, manche sagen zu unterbinden. Oder indem die Bundeswehr vor allem in den Dienst der persönlichen Karriere-Ambitionen der jeweiligen politischen Spitze gestellt wird.

Das alles ist wenig hilfreich, wenn man das gesellschaftliche Gesamtklima betrachtet. Auch wenn die Bundeswehr von großen Teilen der Deutschen zwar überwiegend desinteressiert, aber im Grunde eher wohlwollend betrachtet wird, so herrscht hierzulande doch ein tief verwurzelter struktureller Pazifismus. Die Jahrhundertverbrechen der Nazis wirken bis heute nach. Das hat zu einer gewissen Skepsis gegenüber Militär generell und natürlich auch militärischen Interventionen geführt. Dass Deutschland bei solchen Einsätzen heute nicht als erster den Finger hebt, ist nichts, was man beklagen sollte. Im Gegenteil – es ist auch im Sinne der Soldaten, wenn Politiker und Bürger das Militär nur als äußerstes Mittel zur Lösung internationaler Konflikte begreifen.

Doch um eine realistische Vorstellung davon zu haben, was Militär dabei leisten kann, muss man es kennen. Nur wer beurteilen kann, welche Mission mit welcher Ausrüstung Sinn macht, kann auch differenziert und sachgerecht darüber berichten. Das erfordert von den Journalisten eine intensivere Beschäftigung auch mit dieser fremden, militärischen Welt und ihren Bewohnern, den Soldaten. Aber auch die Bundeswehr selbst ist gefordert. Sie muss offener, transparenter werden, besser kommunizieren und erklären. Und sie muss lernen, auch selbstbewusst und kritisch auf die Grenzen ihrer Möglichkeiten hinzuweisen – selbst wenn man sich bei manchen Politikern mit dieser Form der Ehrlichkeit unbeliebt macht.


Christian Thiels ist Verteidigungsexperte
bei der „Tagesschau“.