Rund 350 Teilnehmer füllten die malerische Rotunde auf dem Petersberg. Foto: DBwV/Henning

Rund 350 Teilnehmer füllten die malerische Rotunde auf dem Petersberg. Foto: DBwV/Henning

26.10.2015

Petersberger Gespräche im Zeichen des Weißbuchprozesses

Am Ende stand eine große Hoffnung: „Das Weißbuch muss ein klares Lagebild zeichnen und Handlungsanweisungen geben“, sagte der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Hellmich. In den Stunden zuvor hatten rund 350 Teilnehmer bei den 11. Petersberger Gesprächen zur Sicherheit über die Frage gesprochen, was beim Weißbuchprozess herauskommen soll und wie viel sicherheitspolitische Verantwortung Deutschland künftig übernehmen soll oder kann.

Die große Rotunde des früheren Gästehauses der Bundesregierung auf dem Petersberg bei Bonn bot die stilvolle Kulisse für die vom DBwV-Bildungswerk, der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) und dem SPD-Parlamentarier Hellmich ausgerichteten Veranstaltung. Hellmich, der Vorsitzender des Verteidigungsausschusses ist, sieht in der sicherheitspolitischen Entwicklung der jüngeren Vergangenheit einen Rückschritt. „Krisenbewältigung passiert nicht mehr in internationalen Verhandlungen, sondern in bilateralen Gesprächen der Großmächte. Ich dachte, wir seien ein Stück weiter.“ Mit Blick auf die Situation in Afghanistan sagte der Parlamentarier, dass die US-Amerikaner ein gutes Signal ausgesendet hätten. Die Verzögerung der Rückverlegung biete auch Deutschland die Möglichkeit, über den Zeitplan des Abzugs nachzudenken.

Hellmich möchte auch die Fraktionen in den Weißbuchprozess eingebunden sehen. „Sicherheitspolitik liegt in der gesamtstaatlichen Verantwortung. Deswegen muss das Parlament einbezogen werden, auch wenn es sich zunächst um ein Regierungsdokument handelt.“ Der Bundestag entscheide schließlich über die Umsetzung der sicherheitspolitischen Maßnahmen. Das Weißbuch müsse am Ende auch die Antwort auf die Frage geben, ob Deutschland häufiger die Führungsrolle übernehmen wolle oder könne.

Hans-Dieter Lucas ist Ständiger Vertreter Deutschlands im Nordatlantikrat und für den erkrankten Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Markus Ederer, auf den Petersberg gekommen. Auch er warf einen besorgten Blick auf die Weltlage. „Man kann von einem ,Ring of Fire’ der Krisenregionen sprechen.“ An der Flüchtlingsbewegung zeige sich, dass in einer globalisierten Welt die Probleme nach Deutschland kämen, wenn sie nicht vor Ort gelöst würden. Vorsichtig optimistisch zeigte sich der Diplomat mit Blick auf die Ukraine-Krise. „Die Zeichen der Stabilisierung mehren sich. Aber von dauerhafter Lösung sind wir noch ein ganzes Stück entfernt.“ Eine solche Lösung könne nur mit und nicht gegen Russland erreicht werden: „Russland ist Teil des Problems und zugleich Teil der Lösung.“

Der Abschluss des Atom-Abkommens mit dem Iran habe gezeigt, dass Diplomatie auch schwierige Probleme bewältigen könne. Doch Europa brauche klare außen- und sicherheitspolitische Ziele und müsse sich über die Instrumente klarwerden, die nötig sind, um diese Ziele zu erreichen. Für die Nato bleibe die kooperative Sicherheit eine der wichtigsten Aufgaben neben der kollektiven Verteidigung und dem globalen Krisenmanagement. Der Diplomat mahnte abschließend, dass Außen- und Sicherheitspolitik Konjunktur habe, die Verantwortlichen aber auch die notwendigen Mittel bereitstellen müssten.

DBwV-Chef Oberstleutnant André Wüstner kritisierte, dass die Bundeswehr zu sehr im Mittelpunkt der sicherheitspolitischen Diskussion stehe. Der Sicherheitsbegriff habe eine weit größere Dimension. Er appellierte an die Verantwortlichen für den Weißbuchprozess, die Menschen und die Gesellschaft mitzunehmen. Die Chancen dafür seien gut: „Sogar mein Nachbar, der sich sonst eher nicht für solche Dinge interessiert, hat mich gefragt, wie viele Kampfpanzer wir noch haben.“ Da müsse die Politik nachsetzen. Vor allem die sonst nicht mit sicherheitspolitischen Fragen befassten Abgeordneten seien hier in der Pflicht. „Der Prozess läuft sehr gut. Er darf mit der Herausgabe des Weißbuchs aber nicht enden.“

Auch die Bündnispartner hätten ein großes Interesse an den Ergebnissen. Die Attachés seien gut in die Expertenrunden eingebunden. „Unsere Partner wollen einen klaren Rahmen“, sagte der Bundesvorsitzende. Was sollte am Ende des Prozesses stehen? Geht es nach Wüstner, sorgt das Weißbuch für ein „gemeinsames Verständnis deutscher Außen- und Sicherheitspolitik“. Die Bundeswehr sollte nicht im Mittelpunkt stehen, aber schließlich müssten im zweiten Teil, der sich mit der Zukunft der Bundeswehr befasst, Ausrüstung und Ausstattung klar beschrieben werden.

Ulrike Merten, GSP-Präsidentin und frühere Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, sieht den größten Unterschied zu den bisherigen Weißbüchern in der weitaus größeren Beteiligung der anderen Ressorts der Bundesregierung und der Öffentlichkeit. Allerdings sieht sie Probleme, wenn in der heutigen Zeit Dokumente angelegt werden, die länger als ein halbes Jahr oder ein Jahr gültig sein sollen. „Das Weißbuch darf keine in Stein gemeißelten Wahrheiten verkünden wollen. Die Welt ist im Umbruch.“ Eigentlich müsse es ein Grundsatzdokument pro Legislaturperiode geben. Insgesamt sei die Politik aufgerufen, die Gründe für Einsätze der Bundeswehr besser zu erklären.

Vizeadmiral Joachim Rühle, Abteilungsleiter Personal im BMVg, skizzierte die personalpolitischen Herausforderungen für die Bundeswehr. Hier spiele die Demografie natürlich eine große Rolle, aber auch der Wunsch vieler junger Leute nach einem ausgewogenen Dienst-Freizeit-Verhältnis. Dennoch gelinge es derzeit sehr gut, den Personalbedarf zu decken, mit einer Erfolgsquote von 96 Prozent. Nur in einigen Verwendungen, etwa bei IT-Feldwebeln und EloKa-Soldaten, gebe es Defizite. Was die Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr angehe, seien mit dem Programm des Ministeriums die Weichen in die richtige Richtung gestellt.

Der Abteilungsleiter Planung, Generalleutnant Erhard Bühler, sagte, dass die Bundeswehr derzeit so gut aufgestellt sei wie vielleicht niemals zuvor. Es gebe aber auch noch viel zu tun. In der Nato liege das Augenmerk derzeit auf der kollektiven Verteidigung. Das führe etwa dazu, dass die Streitkräfte die Fähigkeit zur Führung des intensiven Gefechts stärken müssten. Zudem sei eine 100-Prozent-Ausstattung notwendig. Damit Aufgaben und Fähigkeiten im Gleichgewicht sind, müsse unter anderem die multinationale Zusammenarbeit weiter ausgebaut werden. Voraussetzung für diese Verbesserungen sei eine verlässliche Finanzierung. Der Rüstungsbereich müsse neu geordnet, die ressortgemeinsame Zusammenarbeit verstärkt und das Cyber-Kommando aufgebaut werden. Schließlich seien Personal und Infrastruktur an diesen Zielen auszurichten. Das Fazit Bühlers: „Die Bundeswehr kann ihren Aufgaben nachkommen, benötigt aber laufende Anpassungen.“

Oberst i.G. Marcus Ellermann skizzierte den bisherigen Verlauf des Weißbuchprozesses: „Wir gehen jetzt von der Prozess- in die Redaktionsphase.“ Der Partizipationsprozess habe im Grunde gut funktioniert. An den Workshops hätten rund 1.800 Experten teilgenommen und viele Anregungen gegeben, die durchaus kontrovers seien. Auch Friedensorganisationen hätten ihren willkommenen Beitrag geleistet. Aber: „Wir haben es noch nicht geschafft, den Bürger zu erreichen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das noch gelingt. Aber wir arbeiten dran.“

Was die Ergebnisse angeht, wollte sich Ellermann naturgemäß noch nicht allzu sehr in die Karten schauen lassen. Er gewährte dennoch Einblicke: „Wir haben den Wunsch nach mehr internationaler Verantwortung Deutschlands in allen Workshops aufgenommen.“ Die Fähigkeit zur Krisenfrüherkennung müsse ausgebaut werden. Krisenbewältigung funktioniere nur im vernetzten, d.h. ressortübergreifenden Ansatz. Deswegen sei die Bundeswehr nur ein Instrument unter vielen. Ein Augenmerk müsse auf der Prävention liegen. Zugleich müsse die Widerstandsfähigkeit gestärkt werden. Das Agieren in kollektiven Systemen stehe im Vordergrund. „Aber wir müssen auch die Bereitschaft und Fähigkeit entwickeln, ad-hoc-Koalitionen zu bilden“, sagte Ellermann.

Ines-Jacqueline Werkner von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft betonte, dass immer der Frieden im Mittelpunkt stehen müsse. „Der Einsatz von Militär verschafft nur Zeit“, sagte sie. Die Lösung könne nur eine politische sein. Zudem setze der Frieden immer eine nachhaltige Entwicklung voraus. Werkner rief dazu auf, die bisher angewandten Strategien sorgfältig zu bewerten und die notwendigen Schlüsse daraus zu ziehen.

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