Tornado im engen Formationsflug. Welche Tradition hälft die Luftwaffe zusammen? Foto: Bundeswehr/Piz Luftwaffe

Tornado im engen Formationsflug. Welche Tradition hälft die Luftwaffe zusammen? Foto: Bundeswehr/Piz Luftwaffe

14.03.2018
fh

Was die Luftwaffe zusammenhält

Wie aktuell das Thema der 6. militärhistorischen Tagung der Luftwaffe sein würde, konnten die Organisatoren nicht ahnen: Die Tradition der Teilstreitkraft stand im Mittelpunkt. Vor dem Hintergrund des viel diskutierten neuen Traditionserlasses für die gesamte Bundeswehr war diese Themenwahl ein Volltreffer. Die mehr als 300 Teilnehmer der 6. Auflage der Tagung hörten in Berlin aber auch allerhand Fachhistorisches, vom Einsatz der Luftwaffe im Ersten Weltkrieg bis zur Feuertaufe beim Kampfeinsatz „Allied Force“ 1999.

Der Tenor war schließlich eindeutig: Der neue Erlass, der derzeit im Entwurf vorliegt und bald in Kraft treten soll, könne nur ein Referenzrahmen sein. Die Teilstreitkräfte müssten ihre Traditionen darüber hinaus selbst festlegen. Diese Flexibilität wurde ganz bewusst geschaffen, betonte Oberst i.G. Sven Lange, Referatsleiter im Führungsstab der Streitkräfte und maßgeblich an der Erarbeitung des Erlasses beteiligt.

 Innere Stabilität und Zusammenhalt militärischer Organisationen beruhten auf Tradition, d.h. einer „sinnstiftenden Auswahl von historischen Begebenheiten“. Der Abholpunkt für eine Identifikation mit den Streitkräften müsse für Soldaten natürlich verständlich und belastbar sein. Zudem sei der Wertekanon unserer demokratischen Grundordnung bestimmend für das, was traditionsstiftend sein dürfe. Dies bedeute aber nicht, dass alles Historische vor 1949 ausgeschlossen sei. Die Werte, die als Leitlinie für sinnstiftende Tradition dienten, seien wesentlich älter als die Geschichte der jüngeren deutschen Streitkräfte. „Der Erlass soll Freiräume öffnen, um aus allen Epochen Traditionen übernehmen zu können“, sagte Lange. Also könne etwa die Marine entscheiden, ob sie die erste deutsche Marine von 1848 für traditionswürdig erachte oder nicht.

Zur Wehrmacht und zur Nationalen Volksarmee enthalte der Erlass hingegen klare Aussagen. Sie seien nicht gleichrangig, aber als Organisationen gleichermaßen nicht traditionswürdig. Wertebindung bedeute zudem, dass „beispielgebend“ und „traditionsstiftend“ zwei unterschiedliche Dinge seien. Militärische Leistungen allein könnten beispielgebend sein, aber nicht traditionsstiftend.

Der renommierte Militärhistoriker Sönke Neitzel sieht die Traditionspflege als Austausch zwischen der Gesellschaft und der Bundeswehr. Problematisch werde es, wenn Politik der Truppe sagen wolle, was Tradition sei und die Truppe diese Vorgaben nur teilweise umsetze. Der Professor plädierte dafür, die besondere Militärkultur zu respektieren.

Neitzel fordert mehr Entscheidungsfreiheit


Dass die Wehrmacht Einfluss auf die Bundeswehr gehabt habe, sei nicht zu leugnen: „Die Wehrmacht war natürlich Teil der DNA der Bundeswehr. Die bestand noch bis in die 70er Jahre teilweise aus Soldaten der Wehrmacht“, sagte Neitzel. Aber in den Streitkräften habe es auch völlig neue Ansätze zum Selbstverständnis deutscher Streitkräfte gegeben.

In Sachen Tradition stelle sich die Frage, ob der neue Erlass eine radikale Zäsur oder nur eine Fortentwicklung des Vorgängers sein solle. Neitzel will der Truppe vor Ort mehr Entscheidungsfreiheit etwa über die mitunter heikle Wahl von Traditionsnamen geben. „Wichtig ist: Bedeutet der jeweilige Name den Soldaten etwas?“ Wenn ja, müsse eine Demokratie unter Umständen auch aushalten, wenn Wehrmachtssoldaten Namensgeber seien.

Der Ansatz, die Betroffenen vor Ort einzubinden, gefällt auch dem Inspekteur. „Tradition kann nicht von oben befohlen, sondern muss von unten gelebt werden“, sagte Generalleutnant Karl Müllner. Historiker und andere Wissenschaftler seien natürlich aufgerufen, die Bundeswehr zu beraten und Hinweise zu geben. Aber „Man sollte sich mit dem Thema Tradition nicht nur intellektuell beschäftigen“. Wie die Tradition vor Ort gelebt würde, sei entscheidend für den Zusammenhalt und die Identifikation.

Der Inspekteur sieht über Traditionsbezüge hinaus andere Aspekte als besondere Kennzeichen für die Luftwaffe. Dazu zählten die multinationale Einbindung, das Leitmotiv des „Teams Luftwaffe“ und das gemeinsame Verständnis über alle Dienstgradebenen hinweg. Müllner bedankte sich ausdrücklich beim Deutschen BundeswehrVerband, der die Veranstaltung finanziell unterstützt hat und sich mit einem Stand im Foyer präsentierte. DBwV-Bundesvorstandsmitglied Oberstleutnant i.G. Detlef Buch war es zudem vorbehalten, die Struktur und die Ziele der Soldaten und Veteranen Stiftung vorzustellen. Die Teilnehmer hörten aufmerksam zu, als Buch schilderte, wie unbürokratisch und effektiv die Stiftung bedürftigen Soldaten und ihren Angehörigen hilft.

Mit Militärhistoriker Oberstleutnant Harald Potempa wurde es dann fachhistorisch. Er beschäftigte sich mit dem „Mythos Richthofen“. Viele Dinge, etwa der Tod in jungen Jahren und sein auffälliges Fluggerät – der rote Fokker-Dreidecker – hätten zur Herausbildung des Mythos Manfred von Richthofen beigetragen. Doch maßgeblich sei auch, dass die Deutungshoheit über die historische Figur vor allem bei den Weggefährten gelegen habe, etwa bei der späteren NS-Größe Hermann Göring. Diese Interpretation sei jedoch in im Laufe der Zeit und vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung einem ständigen Wandel unterlegen.

Vorträge am zweiten Tag der Veranstaltung ergänzten die wissenschaftliche Sicht auf die Geschichte der Luftwaffe. Oberregierungsrat Martin Brehl sprach über die Entwicklung im Ersten Weltkrieg. Zunächst sei nur die Aufklärung als Einsatzzweck von Luftstreitkräften vorgesehen gewesen. Die hätten aus Ballons, Luftschiffen und Flugzeugen bestanden. Doch die Operationen aus der Luft entwickelten sich im Laufe des Kriegs zu komplexen Luftkriegsoperationen, mit „nahezu allen Einsatzarten, die es auch heute noch gibt.“

Die „Operation Bodenplatte“ im Zweiten Weltkrieg stand im Mittelpunkt des Vortrags von Oberstleutnant John Zimmermann. Unter diesem Namen startete die deutsche Luftwaffe im Januar 1945 einen letzten Versuch, die gegnerischen Luftstreitkräfte auf deren Flugplätzen empfindlich zu treffen. Die Operation mit beinahe 1000 Flugzeugen endete verlustreich und vermochte nicht, den Alliierten nachhaltigen Schaden zuzufügen, sagte Zimmermann. Bemerkenswert an dem Einsatz sei, dass er nicht von Hitler ersonnen und befohlen wurde, sondern von jüngeren Generälen.

In die jüngste Vergangenheit blickte Oberstleutnant Hans-Peter Kriemann, der sich mit „Allied Force“ befasste, der Luftoperation gegen Jugoslawien 1999. Ergänzt wurde seine Ereignischronologie durch die Schilderungen von Oberst Oliver Eckstein, der als Waffensystemoffizier im Cockpit eines ECR-„Tornados“ an der Mission beteiligt war. Sein persönliches Fazit: „Bundeskanzler Gerhard Schröder hat gesagt: Wir führen keinen Krieg. Für mich und meine Kameraden war das aber sehr wohl ein Krieg.“ Der Einsatz habe ihn als Luftwaffenoffizier bis heute nachhaltig geprägt.

 Was Luftwaffensoldaten ganz konkret unter Tradition verstehen, haben Hauptmann Matthias Müller und Hauptfeldwebel Aron Lux untersucht. Sie erhielten dazu von nahezu 1000 Soldaten Antworten auf ihre Fragen zur Traditionsbildung und -pflege. Dabei bezogen sich die Äußerungen der Umfrageteilnehmer häufig auf Gebräuche, Gepflogenheiten und Rituale. Sehr oft wurde auch das Motto vom „Team Luftwaffe“ als identifikationsstiftend genannt. Das Fazit der beiden jungen Soldaten: Tradition sollte erlebbar sein und nicht nur intellektuell erschlossen werden. So sei eine Veranstaltung wie der traditionelle Immelmann-Lauf etwa aus Sicht der Soldaten ein ganz konkreter Akt der Traditionspflege.

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