Aus der Not geboren, im Kalten Krieg bestanden, international bewährt und für die Zukunft bereit – 70 Jahre Bundeswehr

Von Frank Jungbluth

„Jeder Bürger eines Staates ist der geborene Verteidiger desselben“: Weise Worte, die Gerhard Johann David von Scharnhorst in den Jahren der vernichtenden Niederlage der preußischen Armee 1806 bei Jena und Auerstedt sprach. Der Offizier, der eigentlich ein Hannoveraner war, wurde der große preußische Heeresreformer nach dem Frieden von Tilsit 1807. Er war einer der Gründer im Geiste der Bundeswehr am 12. November 1955.

Sein mutiges Anpacken, gemeinsam mit dem Kameraden August Neidhardt von Gneisenau, und schuf die Voraussetzungen dafür, dass Preußens Revanche gegen Napoleons Invasionstruppen in den Befreiungskriegen ab 1813 zum Triumph wurde. Scharnhorsts 200. Geburtstag am 12. November 1955 ist die Geburtsstunde der Bundeswehr – acht Monate später, am 14. Juli 1956 wurde der Deutsche BundeswehrVerband gegründet.

Scharnhorst und seine Mitstreiter schufen ein Volksheer, führten die Wehrpflicht ein und modernisierten Ausbildung und Ausrüstung – ein Vordenker der Inneren Führung, deren Väter fünf Jahre vor der Gründung der Bundeswehr mit der „Himmeroder Denkschrift“ die theoretischen Grundlagen für die Parlamentsarmee Bundeswehr schufen.

Es war der kalte Krieg, der die Alliierten Siegermächte des 2. Weltkrieges kurz nach der Kapitulation Deutschlands am 8. und 9. November 1945 wieder entzweite. Die Gemeinschaft von Ost und Westen gegen das verbrecherische Hitler-Regime war eine Zweckgemeinschaft – Josef Stalin und seine Wiedergänger versuchten erst halb und später auch ganz Europa zu unterjochen. Der erste Stellvertreterkrieg zwischen den verfeindeten Blöcken wurde vom 25. Juni 1950 bis 27. Juli 1953 in Korea ausgefochten. Er endete nach unglaublicher Verwüstung und Millionen Toten mit einem Patt zwischen den von der UdSSR und China unterstützen Kommunisten im Norden und dem demokratischen Süden, den die USA und die UN vor der Vernichtung bewahrt hatten.

Danach war klar: Deutschland mit der kommunistischen DDR und der demokratischen Bundesrepublik konnte der nächste Schauplatz für den Ost-West-Konflikt sein. Deshalb musste Westdeutschland wiederbewaffnet werden und im NATO-Bündnis Schutz suchen. Sehr schnell waren die Vorbereitungen geschaffen, noch schneller wuchs die Truppe auf, die der erste Verteidigungsminister Theodor Blank (CDU) am 12. November 1955 in Bonn eingeschworen hatte: „Meine Herren, wenn wir uns heute hier in dieser einfachen Halle versammelt haben […], so geschieht es gewiss nicht aus einem Bedürfnis nach Repräsentation und Festlichkeit. Wir sind uns des Ernstes dieser Stunde bewusst, in der durch die Ernennung der ersten neuen deutschen Soldaten der Öffentlichkeit gegenüber die Verwirklichung unseres Verteidigungsbeitrages sichtbar wird. Wir wollen diesen Augenblick zu seiner Stunde der Besinnung machen […]“.

101 Freiwillige waren in der Ausbildungshalle der Bonner Ermekeilkaserne angetreten, die meisten in Zivil, man hatte nicht genug Uniformen.

Blanks Worte hallen bis heute nach, was er auch sagte, ist noch wichtiger: „Im entscheidenden Maße wird es auf die Menschen ankommen und auf den Geist, mit dem diese Menschen an ihre Aufgabe herangehen.“ Genau dieser Satz ist zum 70. Geburtstag unserer Bundeswehr ein Leitmotiv, das auch die Arbeit unseres BundeswehrVerbandes seit fast 70 Jahren prägt, wie der Bundesvorsitzende, Oberst André Wüstner, in seinem Geleitwort für die Ausgabe des Magazins „Die Bundeswehr“, Ausgabe November, zum 70. Geburtstag der Streitkräfte geschrieben hat.

Nach zwei Jahren waren schon knapp 120.000 Mann unter Waffen, 1959 – vier Jahre nach Gründung der Bundeswehr am 12. November 1955 – sind es schon fast 250.000. Der Aufwuchs ist rasant, nachdem Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) schon 1950 mit den Vorbereitungen für eine neue (west-)deutsche Armee begonnen hatte. Adenauer formulierte schon 1949 Überlegungen, welchen Verteidigungsbeitrag ein souveräner Westdeutscher Staat leisten kann. 1950 kommen ehemalige Offiziere von Wehrmacht, Luftwaffe und Marine im Kloster Himmerod zusammen, um ein Papier zu schreiben, wie eine neue deutsche Armee aufgebaut werden kann.

Das „Amt Blank“, anfangs in der Bonner Ermekeilkaserne im Einsatz, wurde 1955 das Bundesministerium für Verteidigung und im Juli 1955 schuf der Bundestag die Grundlagen für die neue Armee mit dem so genannten Freiwilligengesetz. Das sah vor, dass bis zu 6.000 Freiwillige in die Truppe der Bundesrepublik eingestellt werden sollten, zu den neuen Streitkräften wollten aber viel mehr: 150.000 Bürger meldeten sich bis zum 1. August als Freiwillige, viel mehr, als man aufnehmen konnte.

Auch im Juli 1955 entsandte die Regierung die ersten künftigen Offiziere zur Einarbeitung ins NATO-Hauptquartier ins Palais des Chaillots in Paris. Dort war die Behörde bis 1967. Nachdem Frankreich sich aus den militärischen Strukturen der NATO gelöst hatte, zog das Hauptquartier des Nordatlantischen Bündnisses nach Brüssel um. Am 21. September 1955 gab die Bundesregierung den Aufstellungsplan für die Bundeswehr bekannt – 51 Milliarden Mark sollten dafür verwendet werden, 12 Heeresdivisionen sollten bis Ende 1959 aufgestellt werden, dazu Luftwaffe und Marine als weitere Teilstreitkräfte bis Januar 1960 aufgebaut sein.

Auch das Parlament und die deutsche Gesellschaft tragen den Aufbau der neuen Armee auf breiten Schultern: Der Bundestag hatte am 16. Juli 1955 das Freiwilligengesetz verabschiedet – bis zum 1. August 1955 melden sich 150.000 Interessenten. Das Gesetz wurde am 1. April 1956 mit Inkrafttreten des Soldatengesetzes außer Kraft gesetzt.

Zwei Jahre später, Ende 1957 hat die Bundeswehr schon 120.000 Soldaten. Am 21. Juni 1956 wird das Wehrpflichtgesetz für alle jungen Männer vom 18. Bis 45. Lebensjahr beschlossen. Am 1. November 1957 wird General Adolf Heusinger erster Generalinspekteur. Die Wiederaufrüstung war am 1. Oktober 1973 am Ziel: Die Streitkräfte haben da 483.000 Mann, allein das Heer, 340.000, gegliedert in 12 Divisionen. Zu den Zeit- und Berufssoldaten kommen viele Wehrpflichtige, im Bündnis- und Verteidigungsfall kann die Bundeswehr zu ihren Hochzeiten schnell mehr als eine Million Soldaten aufstellen.

Die Bundeswehr integriert nach dem Ende des Kalten Krieges und der deutschen Wiedervereinigung Teile der Nationalen Volksarmee der DDR – die Ära der Auslandseinsätze beginnt. Darauf folgt die Zeitenwende am 24. Februar 2022 nach der russischen Großinvasion in der Ukraine. Plötzlich ist wieder Geld für Ausrüstung und personellen Aufwuchs bereit. Denn: Seit 2014 schon kämpfte Russland gegen das europäische Land an der Grenze zur NATO-Ostflanke, annektierte die Krim und beanspruchte damals wie heute große Gebiete im Osten und Südosten der Ukraine. Für die Bundeswehr heißt das, Roll Back, die Rückkehr zur Landes- und Bündnisverteidigung, die 2027 ihren Höhepunkt erreichen dürfte, wenn die Panzer-Brigade 45 „Litauen“ als dauerhaft stationierte Kampfbrigade mit 5000 Soldaten und modernstem Gerät die Wacht an der Ostflanke steht.

Eine „neue“ Bundeswehr mit 260.000 Zeit- und Berufssoldaten und 200.000 Reservisten bis zum Ende der Dekade, voll ausgestattet, gefechtsfähig und kriegstüchtig: Das hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius als Ziel bis zum Ende der Dekade ausgegeben. 70 Bundeswehr – die Herausforderungen heute sind beinahe so groß wie zu ihrer Gründung 1955.