Stalingrad: Sterbende Geister in der Eishölle

Vor 80 Jahren, im Februar 1943, endete die Schlacht um Stalingrad. 200.000 deutsche Soldaten fielen, erfroren, verhungerten.

Von Frank Jungbluth

Berlin/Wolgograd. Am 31. Januar 1943 um 07.35 Uhr funkten deutsche Soldaten aus ihrem Stützpunkt im Kaufhaus Univermag inmitten der Eis- und Trümmerhölle von Stalingrad: „Russe steht vor der Tür. Wir bereiten Zerstörung vor.“ Das war der vorletzte Funkspruch der 6. Armee aus der Stadt an der Wolga, die zu erobern gut 250.000 Mann der 6. Armee als Teil der Heeresgruppe B im Sommer 1942 angetreten waren. Vor 80 Jahren legten die letzten deutschen Soldaten an der Front nahe der Wolga die Waffen nieder. Die letzten Kampfhandlungen sind für den 5. März 1943 verbrieft, das Gros der Reste der 6. Armee, die als Elitetruppe galt, ergab sich Ende Januar und Anfang Februar 1943.

Angriff in der total zerstörten Stadt: deutsche Sturmtruppen im Herbst 1942 in Stalingrad. Bis auf einen kleinen Streifen am Ufer der Wolga hatte bis dahin die Wehrmacht die Stadt erobert. Im November 1942 schlug die Rote Armee zurück. Foto: picture-alliance

Die Soldaten waren ausgezehrt, dem Hungertod nahe, bei minus 30 Grad durchgefroren, fast ohne Munition und Lebensmittel, denn der Nachschub aus der Luft bliebt ein leeres Versprechen des großmäuligen Reichsmarschalls Hermann Göring. Er hatte den größenwahnsinnigen Diktator und Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Adolf Hitler, bestärkt, der 6. Armee den Ausbruch aus dem Kessel in Stalingrad zu verbieten. Die Rote Armee hatte die deutschen, spanischen und rumänischen Truppen mit der Operation Uranus Ende November 1942 eingekesselt.

Sowjetische Truppen in Stalingrad. Im Winter 1942/43 gingen die Temperaturen auf bis zu minus 30 Grad zurück. Foto: Archiv Ria Novosti

Die Niederlage in dem von Augenzeugen als furchtbarste Schlacht des Zweiten Weltkrieges bezeichneten Kampf hatte eine enorme psychologische Wirkung auf die Deutschen in der Heimat. Aber sie war nicht entscheidend für Deutschlands Scheitern im Russlandkrieg. Nach dem Fiasko der Schlacht vor Moskau ein Jahr zuvor war – so Militärexperten unisono – der Feldzug Hitlers nach Russland bereits gescheitert. Nach der Niederlage von Stalingrad aber war klar, dass der Krieg insgesamt verloren war. Im Sommer 1944 zerschlug die Rote Armee die deutsche Heeresgruppe Mitte. Dann begann der Vormarsch von Stalins Truppen an die Grenzen des Deutschen Reiches. Im Winter 1944 erreichten sowjetische Soldaten Ostpreußen. Sechs Monate später musste das Deutsche Reich am 8. Mai 1945 kapitulieren.

Generalfeldmarschall Friedrich Paulus, Befehlshaber der 6. Armee, begab sich Ende Januar 1943 in Stalingrad mit seinem Stab in Gefangenschaft. Knapp 100.000 deutsche Soldaten marschierten im Schneesturm im Februar 1943 ins Ungewisse, nur 6000 kehrten in den 1950er-Jahren nach Deutschland zurück. Paulus schloss sich später dem „Nationalkomitee Freies Deutschland“ an, der Anti-Hitler-Organisation deutscher Soldaten und Offiziere in Russland, gesteuert von sowjetischen sowie deutschen Kommunisten wie Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck. Auch Heinz Keßler, später Armeegeneral der NVA und Minister für nationale Verteidigung der DDR, war dabei.

Paulus, den Hitler am 30. Januar 1943 noch zum Generalfeldmarschall befördert hatte, lebte nach der Niederlage von Stalingrad auf einer Datsche nahe Moskau, war Kronzeuge Moskaus bei den Nürnberger Prozessen 1946 gegen die Kriegsverbrecher des NS-Staates und kehrte 1953 nach Deutschland zurück. Er lebte bis zu seinem Tod 1957 in einer Villa in Dresden, abgeschottet von der Öffentlichkeit mit Dienstwagen, Chauffeur, Adjutant und Dienstpistole. Als sei er immer noch ein Generalfeldmarschall.