Das „Eisenschwein“ geht in die Ukraine

Lange wurde diskutiert, nun liegt die Entscheidung auf dem Tisch: Die Ukraine erhält den Schützenpanzer Marder. Bis zu 40 Exemplare sollen an die ukrainischen Streitkräfte übergeben werden. Es ist eine Zäsur.

Von Yann Bombeke

Das „Eisenschwein“ – so wird der Schützenpanzer Marder gerne von den Soldaten genannt. Schon vor Monaten hätten die Ukrainer den Marder, das Arbeitspferd der Panzergrenadiertruppe der Bundeswehr, gerne in ihren Beständen gehabt. Doch die Bundesregierung zögerte, obwohl die Appelle längst nicht mehr nur aus der von Russland angegriffenen Ukraine oder aus der oppositionellen Union kamen. Politikerinnen und Politiker aus der Ampel-Koalition, vor allem der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen, forderten die Lieferung von Schützenpanzern Marder und Kampfpanzern Leopard in die Ukraine.

Beim Leopard ist es (noch) nicht so weit – trotz einer Social-Media- Kampagne unter dem Hashtag „#FreeTheLeopards“. „Frei“ sind aber jetzt die Marder – zusammen mit rund 50 Schützenpanzern Bradley, die von den Vereinigten Staaten geliefert werden. Darauf haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und US-Präsident Joe Biden in dieser Woche geeinigt. Die Initialzündung in dieser neuen Runde der Waffenlieferungen gab zuvor Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, als er dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj schwer bewaffnete Spähpanzer AMX-10 RC versprach.

Auch die USA liefern Schützenpanzer: Bis zu 50 Bradley sollen an die Ukraine abgegeben werden. Foto: Sgt. 1st Class Johancharles Van Boers - U.S. Army photo

Damit wurde innerhalb weniger Tage ein völlig neues Kapitel bei den Unterstützungsleistungen für die Ukraine, die seit dem 24. Februar 2022 völkerrechtswidrig von Russland angegriffen wird, aufgeschlagen. Artilleriesysteme, geschützte Fahrzeuge, Flakpanzer, Bergepanzer – das alles und noch viel mehr wurde der Ukraine zur Verfügung gestellt, um sich gegen den Aggressor zu verteidigen – doch die Schützenpanzer waren bislang tabu. Mal hieß es, man wolle keine roten Linien überschreiten, mal wurde argumentiert, dass Deutschland keine Alleingänge unternehme. Nun haben Scholz, Macron und Biden die neue Linie festgelegt. Es ist nicht auszuschließen, dass sich weitere NATO-Partner in den kommenden Tagen zu vergleichbaren Waffenlieferungen entschließen.

Doch bringen die Bradleys und die Marder den ukrainischen Streitkräften einen Vorteil auf den Schlachtfeldern? Auf pro-russischen Accounts wird in den sozialen Medien bereits gespottet, dass die NATO-Staaten ihren altersschwachen Metallschrott aus den Zeiten des Kalten Krieges im Donbass entsorgen wollen.

Betagt, aber immer noch gut geschützt, hochmobil und kampfstark: der Schützenpanzer Marder. Foto: Bundeswehr/Kazda

Tatsächlich wurden Bradley und Marder in einer Zeit entwickelt, in der noch VW Käfer das Straßenbild in Deutschland dominierten. Die Bundeswehr suchte damals nach einem Nachfolger für den unzuverlässigen Schützenpanzer HS 30. Bereits eingeführt in der Truppe war der Kampfpanzer Leopard 1. Ihm sollte ein beweglicher, zuverlässiger und kampfstarker Schützenpanzer zur Seite gestellt werden. Das Ergebnis war der Marder, von dem 1971 die ersten Exemplare an die Panzergrenadierverbände ausgeliefert wurden.

Neben der Besatzung, bestehend aus Kommandant, Fahrer und Richtschütze, kann der Marder in den neueren Versionen sechs Infanteristen aufnehmen. Das über 33 Tonnen schwere Fahrzeug ist mit einer 20mm-Maschinenkanone als Hauptbewaffnung ausgestattet und auf der Straße bis zu 65 km/h schnell – so viel zu den Eckdaten, die sich in mehr als 50 Jahren kaum geändert haben. Und doch bildet der Marder bis heute das Rückgrat der Panzergrenadiertruppe.

Der Marder wurde im Laufe der Zeit immer wieder modernisiert und kampfwertgesteigert. Mit MILAN- und MELLS-systemen ist er auch in der Lage, feindliche Kampfpanzer zu bekämpfen. Die Maschinenkanone kann Munition gegen gepanzerte und gegen „weiche“ Ziele abfeuern – ist allerdings nicht stabilisiert und kann daher im Gegensatz zum neuen Schützenpanzer Puma nicht mit hoher Präzision aus der Fahrt heraus wirken.

Dennoch ist davon auszugehen, dass sich der Marder vor allem gegen gepanzerte Fahrzeuge älterer sowjetischer Bauart, Russland setzt zahlreiche solcher Fahrzeuge wie BMP- und BTR-Schützenpanzer in der Ukraine ein, im Gefecht durchsetzen kann, zumal auch seine Panzerung im Laufe der Zeit verbessert wurde. Ebenso der Minenschutz ab der Version 1A5, wodurch sich das Gewicht jedoch auf über 37 Tonnen erhöhte. Im Einsatz ist der Marder ebenfalls erprobt. Die Bundeswehr setzte den Schützenpanzer zum Beispiel im Kosovo, aber auch in Afghanistan ein.

Einsatzerprobt: Der Marder im Sommer 1999 in Prizren im Kosovo. Auch in Afghanistan leistete der Marder wertvolle Dienste. Foto: DBwV/Yann Bombeke

Man kann also davon ausgehen, dass der Marder ebenso wie der noch etwas jüngere Bradley den Ukrainern wertvolle Dienste im Kampf gegen die Invasoren leisten kann – vor allem, wenn man bedenkt, dass sich die ukrainischen Soldaten im Gefecht mangels Alternativen mitunter noch immer auf ungepanzerten Pickups bewegen.

Bis zu 40 Marder wird Deutschland abgeben. Wie am Freitag (6. Januar) bekannt wurde, sollen sie sowohl aus Industrie- als auch aus Bundeswehrbeständen kommen. Rund 100 Marder sollen noch bei der Industrie sein, von denen aber bereits 40 Griechenland im Rahmen des Ringtauschs versprochen wurden. Blieben also noch bis zu 60 Stück, die von der Industrie geliefert werden könnten, ohne die Bestände der Bundeswehr anzutasten. Denn insbesondere durch die jetzt aufgetretenen Probleme beim Schützenpanzer Puma ist die Bundeswehr weiterhin auf die treuen Dienste des Marders angewiesen. Die Liste der Bundesregierung der militärischen Unterstützungsleistungen für die Ukraine wurde noch nicht aktualisiert, der Marder ist dort noch nicht bei den geplanten Vorhaben aufgeführt.

Zum Altmetall gehört das zuverlässige, robuste und kampfstarke Waffensystem Marder also noch lange nicht. Ebenso wenig übrigens wie der Flugabwehrkanonenpanzer Gepard, der seit mehreren Monaten in der Ukraine im Einsatz ist und auch anfangs von vielen Kritikern belächelt wurde. Wie wichtig er ist, beweist er aber täglich im Kampf gegen Kamikazedrohnen und sogar Marschflugkörper. Die Ukrainer sind dankbar und zuversichtlich, dass auch das „Eisenschwein“ wertvolle Hilfe im Kampf gegen die Aggressoren in ihrem Land leisten kann.