Sooft es geht, nimmt Oberst Ralph Malzahn (l.) aktiv auf die Ausbildung der Heeresaufklärer Einfluss, so wie hier bei jungen Feldwebelanwärtern, die auf dem „Fennek” geschult werden. Foto: DBwV/Gunnar Kruse

Sooft es geht, nimmt Oberst Ralph Malzahn (l.) aktiv auf die Ausbildung der Heeresaufklärer Einfluss, so wie hier bei jungen Feldwebelanwärtern, die auf dem „Fennek” geschult werden. Foto: DBwV/Gunnar Kruse

06.10.2020
Von Gunnar Kruse

Als ehemaliger NVA-Offizier in der Bundeswehr: „Einen Plan B hatte ich eigentlich gar nicht“

Oberst Ralph Malzahn ist einer der wenigen ehemaligen NVA-Offiziere, die in der Bundeswehr einen Spitzendienstgrad erreicht haben. Im Gespräch mit unserem Magazin „Die Bundeswehr“ blickt er auf die Wendezeit und seinen Weg in der Bundeswehr zurück.

Am 2. Oktober wartet ein junger Oberleutnant der NVA in der Hagenower Kaserne im Regimentsstab auf seine Ablösung. Sein Nachfolger für die nächsten 24 Stunden als Offizier vom Dienst kommt pünktlich um 18 Uhr – doch etwas ist an diesem Tag völlig anders: Der Kamerad trägt bereits die Uniform der Bundeswehr. Denn in der Nacht zum 3. Oktober ist Punkt 0:00 Uhr nicht nur die DDR mit ihrem Beitritt zur Bundesrepublik Geschichte. Auch ihre Armee gibt es plötzlich nicht mehr. Wohl aber viele ihrer Soldaten, für die nach den Monaten der politischen Umwälzungen in der DDR jetzt eine weitere schwer vorauszusagende Zeit beginnt.

30 Jahre später sitzt der Oberleutnant von einst in seinem Dienstzimmer in Munster. Er heißt Ralph Malzahn und ist heute Oberst, General der Heeresaufklärungstruppe, und führt seit September 2017 den Ausbildungsbereich der Truppengattung. Nicht nur die damalige Dienstübergabe fällt ihm spontan ein, wenn er an die Veränderungen vor drei Jahrzehnten zurückdenkt. „Es stand eine große Unsicherheit, ja schon Ahnungslosigkeit im Raum, was nun kommt.“ Jeden Morgen habe er quasi nachschauen müssen, wer noch zum Dienst erschien – und wer einfach nicht mehr kam. In der Führung des Regimentsstabes gab es lange kaum Informationen: „Man hatte den Eindruck, dort wusste man bis zum Oktober 1990 nicht, wie es weitergeht. Nur diskutiert wurde viel.“

Bei allen Unwägbarkeiten und grundsätzlichen gesellschaftlichen Veränderungen sei ihm eines wichtig gewesen: Mit dem Soldatenberuf konnte er sich identifizieren und für ihn konnte er sich motivieren – und diesen Beruf wollte er auch von Anfang an ein Leben lang ausüben. Deshalb hieß es erst einmal: „Mal schauen, wie es in der Bundeswehr ist – und ob ich dort überhaupt eine Chance habe“, blickt der gebürtige Mecklenburger zurück. Und die bekam er. In der Hagenower Kaserne war auch das Aufklärungsbataillon stationiert, in dem er bis 1989 bereits als Kompaniechef eingesetzt gewesen war. „Und da mein Nachfolger aufgehört hatte, bot sich für mich die Möglichkeit, den Posten ab Anfang November 1990 wieder zu übernehmen.“
 
Ernsthaft betriebene Integration erlebt

Schon wenig später kam Malzahn zum ersten Mal nach Munster. Ein Lehrgang zur Umschulung auf den Spähpanzer „Luchs“ stand an, weitere Lehrgänge folgten für ihn wie auch viele andere ehemalige Offiziere und Feldwebel der NVA. „Damals hat man schon gemerkt, dass sich die Schule große Mühe bei einer sorgfältigen Vorbereitung dieser Sonderlehrgänge gegeben hat. Extra aus der Truppe herangezogene Ausbilder haben sich mit sehr viel Herzblut engagiert. Da hatte ich schon den Eindruck, dass die Bundeswehr die Übernahme ehemaliger NVA-Soldaten wirklich ernsthaft will.“ Das habe ihn zusätzlich sehr motiviert.

Zurück in Hagenow war dann für Ralph Malzahn wieder alles anders. Zwischenzeitlich war die Auflösung seines Aufklärungsbataillons beschlossen worden – und das bereits zum 1. April 1990. Aber – und wieder spricht er von einer Chance – alle Offiziere, die einen Antrag auf Weiterbeschäftigung gestellt hatten, sollten in einem neu aufzustellenden Aufklärungsbataillon in Beelitz zusammengefasst werden. Als Zugführer ging es in dem brandenburgischen Ort für den Oberleutnant weiter. War das nicht ein Rückschritt für ihn? „Nein, das war insofern in Ordnung, als dass ich das Fachliche, das Handwerkliche der Aufklärung in der Bundeswehr von der Ebene Zug an komplett neu lernen konnte“, sagt er. Positiver Effekt: In allen seinen weiteren Verwendungen habe er von diesem Basiswissen profitieren können.

Die gleichen Chancen

In Beelitz war es der Kommandeur, der Malzahn besonders beeindruckte: „Nie wurden Menschen in zwei Kategorien, nach Ost- oder West-Herkunft eingeteilt.“ Jeder bekam die gleiche Chance, von jedem wurde aber auch das Gleiche verlangt. „Da fühlte man sich ernst- und kameradschaftlich aufgenommen.“ Ein weiteres wichtiges Zeichen für ihn, dass es der Bundeswehr von Anfang an ernst war mit der Einheit, waren die „Luchse“, mit denen das Bataillon im Herbst 1991 ausgerüstet wurde. Die stammten nämlich von einem aufgelösten Bundeswehrbataillon. „Und in der ‚alten‘ Bundesrepublik Verbände mit 30, 40 Jahre langer Tradition aufzulösen und in den neuen Bundesländern neue Verbände aufzustellen, war damals gewiss keine leichte Entscheidung“, sagt der Offizier.

In die alten Bundesländer ging es für ihn im Herbst ’92. Als Kompaniechef wurde er ins Panzeraufklärungsbataillon 1 nach Braunschweig versetzt. Mit dieser Versetzung war ihm klar, dass aus dem anfänglichen Umschauen in der Bundeswehr eine echte Zukunftsoption geworden war. Auf eine weitere Zeit als Soldat hatte er aber auch immer hingearbeitet: „Einen richtigen Plan B für die Zeit nach den zwei Jahren als SaZ, die für alle übernommenen NVA-Soldaten als Erstes anstanden, hatte ich gar nicht.“
 
Dass die Bundeswehr recht schnell viele Soldaten aus den neuen in die alten Bundesländer holte – und auch umgekehrt –, ist für Malzahn rückblickend eine kluge und richtige Entscheidung gewesen. „Dieser konsequente Austausch war gerade in den ersten Monaten und Jahren ungeheuer wertvoll für beide Seiten.“ Viele Soldaten aus dem Westen seien hoch motiviert in den Osten gekommen. Sie hätten die Chance gern wahrgenommen, am Aufbau von etwas Neuem teilzuhaben. Und das war für viele durchaus mit Entbehrungen verbunden. „Vernünftigen Wohnraum gab es kaum, die Familie konnte also oftmals nicht mit umziehen.“ Und wer zum Beispiel aus dem Kölner Raum nach Eggesin im Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns versetzt wurde, für den war schon aufgrund der damals schlechten Verkehrsanbindung ein Wochenend-Pendeln nahezu unmöglich.

Traumverwendung erreicht

Fast zeitgleich mit seiner ersten Beförderung in Braunschweig begann dann eine fast klassische Bundeswehrkarriere, die Malzahn bis zu seiner Traumverwendung als Leiter der Ausbildungseinrichtung und General seiner Truppengattung führte. „Da bin ich schon stolz drauf. Das zu schaffen, hat gerade aber auch damit zu tun, dass die Bundeswehr keine Unterschiede zwischen Ost und West gemacht hat und macht. Das Beurteilungssystem ist für alle gleich“, betont er. Gleichzeitig sei der Zeitpunkt der Wiedervereinigung für ihn ein Glücksfall gewesen: „Wäre ich zehn Jahre älter gewesen, hätten sich meine Chancen so nicht ergeben.“ Geholfen habe ihm mit Sicherheit aber auch die exakte und intensive Ausbildung und das Führungsverständnis in der NVA. Dieses Wissen mit den Erfahrungen in der Bundeswehr zu kombinieren, sei schon ein Vorteil gewesen.

Dass recht wenige ehemalige NVA-Soldaten mit einem ähnlich hohen Dienstgrad in der Bundeswehr vertreten sind, kann sich Malzahn nicht nur mit der relativ kleinen Anzahl von überhaupt dauerhaft übernommenen Offizieren erklären. Viele von denen, die älter sind als er, sind schlicht schon pensioniert, so der 56-Jährige. Und nach ihm habe es in der NVA nur noch zwei Leutnantsjahrgänge gegeben. Alle danach hätten ihre Laufbahn gleich bei der Bundeswehr begonnen. Doch zumindest zwei aus seinem damaligen Jahrgang an der Offizierschule haben es ebenfalls bis zum Oberst geschafft, wie er erzählt.

Ausbildung steht im Zentrum

Auch wenn er weiß, dass das Erreichen dieses Dienstgrads schon etwas Besonderes ist, wirkliche Berufszufriedenheit ist für Malzahn mit etwas anderem verknüpft: „Am liebsten bin ich draußen bei meinen Auszubildenden.“ Denn zur Gestaltung der Ausbildung sei ein klares Lagebild unabdingbar, sagt Oberst Malzahn. Ebenso gehört für ihn dazu, die eigenen Erfahrungen in die Ausbildung – auch die der Ausbilder – einzubringen. Zudem erfüllt es ihn, den Geist der Truppengattung mitprägen zu können: „Vom einfachen Soldaten bis zum Bataillonskommandeur – alle gehen hier sozusagen durch meine Hände. Diese enorme Gestaltungsmöglichkeit schafft eine sehr große Zufriedenheit mit dem Beruf.“

Und noch etwas ist Malzahn wichtig. Gerade mit seinen Erfahrungen aus der NVA nimmt der DBwV aus seiner Sicht eine sehr wichtige Stellung für die Soldaten ein. Der Verband, dem er seit Jahrzehnten angehört, habe als Interessenvertretung einen sehr hohen Stellenwert, wenn es um die berechtigten sozialen Belange der Soldaten geht. „Besonders wichtig finde ich, dass sich der DBwV in den vergangenen Jahren deutlich für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr stark macht. Da hat der Verband unter Führung von Oberstleutnant André Wüstner, dessen Wort gegenüber der Politik Gewicht hat, enorme Fortschritte gemacht und seinen Stellenwert für die Bundeswehr gesteigert“, sagt Malzahn.

Die Vita von Oberst Ralph Malzahn finden Sie HIER.

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