Ein GTK Boxer in Fahrt bei einer Vorführung des Heeres in Hammelburg. Deutlich mehr Tempo wäre indes bei der Zeitenwende erforderlich. Foto: DBwV/Yann Bombeke

Ein GTK Boxer in Fahrt bei einer Vorführung des Heeres in Hammelburg. Deutlich mehr Tempo wäre indes bei der Zeitenwende erforderlich. Foto: DBwV/Yann Bombeke

03.02.2024
Jan Meyer

Bei der Zeitenwende geht es nicht nur um Geld und Waffen

In diesem Monat jähren sich der brutale Überfall Russlands auf die Ukraine – und die entschlossene Reaktion von Bundeskanzler Olaf Scholz, seine vielbeachtete Zeitenwende-Rede im Bundestag. Wie ist die Lage jetzt, zwei Jahre später? Zeit für eine Zwischenbilanz.

An diese Tage im Februar 2022 erinnert sich wahrscheinlich jeder: Erst atemloses Erstaunen, dann wütendes Entsetzen über die Fernsehbilder von russischen Panzern in der Ukraine, von Luftalarm in Kiew und Kolonnen flüchtender Zivilisten. Dann grimmige Genugtuung, als der Kanzler im Bundestag die Zeitenwende ausrief. Erklärte, der Ukraine nun Waffen zur Verteidigung zu überlassen.

Den NATO-Alliierten in Mittel- und Osteuropa den Beistand des Bündnisses versprach. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ankündigte und sagte: „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“ Letzteres hatten viele so verstanden, als gebe es die Erhöhung zusätzlich, aber nun. Allen Betrachtern war klar: Das ist eine Riesenchance für die Bundeswehr, endlich zu Vollausstattung und Einsatzbereitschaft zu kommen. Eine Chance, die nicht wiederkommen würde.

Kampfflugzeug F-35 und Flakpanzer „Gepard“

Zügig wurde eine Einkaufsliste erstellt und fielen lange aufgeschobene Entscheidungen – beispielsweise für das Kampfflugzeug F-35 als Tornado-Nachfolger für den schweren Transporthubschrauber Chinook. Parallel dazu begann die Abgabe von Waffen an die Ukraine: erst Panzerabwehr-Waffen und Stinger-Raketen, dann Flakpanzer „Gepard“, Panzerhaubitzen und MARS-Mehrfachraketenwerfer. Hilfe, die begleitet wurde von teils unglücklichen Aktionen der damaligen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (die kurz vor Kriegsbeginn noch die Lieferung von 5.000 Gefechtshelmen als „substanzielle Hilfe“ bezeichnet hatte) und den immer weiter gehenden und penetrant vorgetragenen Forderungen des damaligen ukrainischen Botschafters.

Und die natürlich aus Waffen und Gerät bestand, das zu großen Teilen aus Beständen der Bundeswehr kam – und nicht ausreichend nachbestellt wurde. Der Bundesvorsitzende Oberst Wüstner warnte daher frühzeitig vor einem Scheitern der Zeitenwende und verlangte öffentlich mehr Tempo und eine spürbare Verbesserung bei Material, Personal und Infrastruktur. Schon zum ersten Jahrestag der Kanzler-Rede war klar: 100 Milliarden werden nicht ausreichen.

Geradezu befreiend wirkte dann im Januar 2023 der Wechsel an der Spitze des BMVg: Boris Pistorius ist ein Verteidigungsminister, der auf Anhieb den richtigen Ton traf und Hoffnung verbreitete. In diese Zeit fiel auch die Entscheidung, der Ukraine Schützenpanzer Marder und später auch die so dringend gewünschten Kampfpanzer Leopard 2 zur Verfügung zu stellen. Bei allem Optimismus und Aufbruchsgeist liefen die Dinge nicht ideal.

Die modernen westlichen Waffen haben sich auf Dauer nicht als die erhofften Game Changer erwiesen, die Vorräte der Unterstützer werden langsam knapp. Und beim Sondervermögen zeigt sich nicht nur, dass Beschaffung nach wie vor dauert, sondern auch, dass Zinsen und Preisentwicklung die Möglichkeiten verringern. Zudem erweitert die Bundesregierung den ursprünglichen Zweck: Sie verlagert zunehmend Investitionen aus dem Einzelplan 14 in das Sondervermögen. Neuerdings sollen auch Abgaben an die Ukraine aus dem eigenen Bestand damit ersetzt werden.

Trotz aller Unterstützung ist es der Ukraine auch im zweiten Jahr des Krieges nicht gelungen, die Russen aus ihrem Land zu vertreiben, sie hat sich in einem verlustreichen Stellungskrieg festgefahren.

Wüstner: Deutschland solle in eine Art Kriegswirtschaft übergehen

Schon früh hatte der Bundesvorsitzende Oberst Wüstner öffentlich den Finger in die Wunde gelegt und gefordert, Deutschland solle in eine Art Kriegswirtschaft übergehen. Mit der Rüstungsindustrie sprechen, Verträge aushandeln, die Kapazitäten hochfahren. So hätte man die Lücken in den Beständen wieder schließen können und sich langsam wieder den NATO-Standards annähern können. Passiert ist das leider nicht, viel Zeit wurde verloren.

Zeit, die der russische Präsident Putin genutzt hat, seine Gesellschaft und seine Wirtschaft konsequent auf Krieg umzustellen. In diesem Jahr will er nach Medienberichten umgerechnet rund 109 Milliarden Euro ins Militär investieren, die Zahl der bewaffneten Kräfte soll auf 1,32 Millionen Menschen erhöht werden.

Die russische Bedrohung betrifft nicht nur die Ukraine. Deshalb hat Deutschland die dauerhafte Stationierung einer Panzerbrigade in Litauen beschlossen, ein ausgesprochener Kraftakt. Experten halten eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Russland an der NATO-Außengrenze innerhalb der nächsten zehn Jahre durchaus für möglich. Verteidigungsminister Pistorius folgerte im vergangenen Dezember daraus, Deutschland habe noch fünf bis acht Jahre Zeit aufzuholen – bei den Streitkräften, der Industrie und der Gesellschaft.

Denn auch das ist klar: Wehrhaftigkeit – oder wie Boris Pistorius es nannte: Kriegstüchtigkeit – ist eine Aufgabe für das ganze Land. Oberst Wüstner formulierte es so: „Bei der Zeitenwende geht es nicht nur um Geld und Waffen“. Vielmehr gehe es um „ein neues gesellschaftliches Selbstverständnis. Um Resilienz, diese Mischung aus Bewusstsein, Widerstandsfähigkeit und Wehrhaftigkeit.“

Zeitenwende in Zeitlupe

Nüchtern gesagt: Davon sind wir noch weit entfernt. Im Herbst stellte Wüstner fest: Die Zeitenwende vollziehe sich in Zeitlupe, die qualitative Einsatzbereitschaft der Bundeswehr fiele immer weiter. Das vom Kanzler ausgegebene Ziel, bald die größte konventionelle Armee im Rahmen der NATO einzuhalten sei in weiter Ferne, ebenso die Einhaltung der NATO-Verpflichtungen ab 2025.

Angesichts einer zunehmend weniger friedlichen Welt ist das nicht gut. Dazu kommt: Ende des Jahres wählen die Amerikaner möglicherweise Donald Trump wieder zum Präsidenten. Dass er kein Freund der Ukraine-Unterstützung ist und auch die NATO sehr kritisch sieht, ist bekannt. Außerdem beginnt spätestens Anfang 2025 hierzulande der Wahlkampf. Was bis dahin nicht entschieden ist, bleibt bis zum Ende der Legislaturperiode liegen. Viel Zeit bleibt also nicht mehr.

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