Soldaten der Panzerlehrbrigade 9 werden am Leopard 2 A7V ausgebildet. Foto: Bundeswehr/Sebastian Günther

Soldaten der Panzerlehrbrigade 9 werden am Leopard 2 A7V ausgebildet. Foto: Bundeswehr/Sebastian Günther

04.01.2024
Jan Meyer

„Der Kalte Krieg ist keine Blaupause für heute"

Von der Drehscheibe Deutschland zur NATO-Ostflanke: Wie sich die Bundeswehr auf das größte Manöver seit 30 Jahren vorbereitet – ein Einblick in die Strategie von Generalleutnant André Bodemann.

Die Bundeswehr: Das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr ist vor etwas mehr als einem Jahr aufgestellt worden. Die Übung Quadriga, die Teil von Steadfast Defender ist, kündigt sich an. Es wird die erste große Übung für das Territoriale Führungskommando und zugleich das größte NATO-Manöver seit 30 Jahren sein. Inwieweit sind Sie als für Deutschland zuständiges Kommando darauf vorbereitet?

Generalleutnant André Bodemann: Alle Angehörigen des Territorialen Führungskommandos haben die Übung bereits seit langem fest im Blick und sich darauf vorbereitet – mit Workshops, Planübungen und eigenen Übungen, welche die Aufgaben des Kommandos sowie die damit verbundenen Herausforderungen beinhalten. Die Teilnahme an derartigen Übungen, ob als aufmarschführendes oder übungsverantwortliches Kommando sowie in unserer gesamten territorialen Verantwortung in Deutschland, gehört zu unserem ständigen Aufgabenfeld. Im Übrigen üben wir damit genau das, was wir ohnehin täglich real verantworten. Unsere Operationszentrale führt bereits heute 24/7 das Lagebild in Deutschland. Das gilt während des gesamten Übungszeitraums von STEADFAST DEFENDER auch für QUADRIGA 2024. Um vorbereitet zu sein, werden wir den Einsatzstab für den gesamten Zeitraum aktivieren. Dafür werden Fachleute aus dem gesamten Kommando zusammengeführt, um in unserer Operationszentrale zu unterstützen. Damit können wir auf Lageänderungen schnell und flexibel reagieren. Also ja, ich bin davon überzeugt, dass wir gut vorbereitet sind.

Die Bundeswehr: Wie ergänzen sich die Aufgaben Ihres Kommandos mit denen des Einsatzführungskommandos, wie überschneiden sie sich?

Bodemann: Das Territoriale Führungskommando stellt die nationale Einsatzführung auf der operativen Ebene in den Phasen „mount“, „deploy“ und „redeploy“ sicher – sprich Aufmarsch und Verlegung. Das Einsatzführungskommando stellt die Phase „engage“ sicher – sprich Einsatz im Ausland. Zum nahtlosen Informationsaustausch und zur Sicherstellung des qualifizierten Meldewesens gegenüber dem Verteidigungsministerium wurde in Vorbereitung auf QUADRIGA 2024 das „gemeinsame operative Lagebild TFK-EFK“ entwickelt. Wir sind dabei verantwortlich für den reibungsfreien und sicheren Betrieb der „Drehscheibe Deutschland“. Dieser Begriff beschreibt Deutschlands Funktion als Durch- und Aufmarschgebiet für Alliierte. Dazu gehört neben der Logistik u.a. auch die Verantwortung für deren Schutz. Die Abstimmungen mit dem Einsatzführungskommando laufen erfolgreich. Während QUADRIGA 2024 üben wir das Zusammenspiel nun und passen an, wo es erforderlich ist.

Die Bundeswehr: Welches Signal soll die Übung senden – an die Verbündeten, den potenziellen Gegner?

Bodemann: Eine solche Übung richtet sich an mehrere Adressaten. Russland zeigen wir, dass das Bündnis innerhalb kürzester Zeit an die NATO-Ostflanke verlegen kann, um komplexe, militärische Verteidigungsoperationen multinational durchzuführen. Wir zeigen damit auch, dass wir in der Lage sind, das Bündnisgebiet gegen äußere Angriffe schnell und effizient zu verteidigen. Dies ist Teil der glaubhaften Abschreckung. Es ist auch ein starkes Zeichen für unsere Bündnispartner und nach innen. Bei der größten Übung der NATO seit Jahrzehnten präsentieren wir uns leistungsfähig und führungsstark in einem Bündnisgefüge, das Abschreckung und Verteidigung beherrscht. Schließlich wollen wir deutlich machen, dass wir auf die Herausforderungen und Bedrohungen gut vorbereitet sind und so abschrecken, dass das Geübte niemals zum Einsatz kommen muss.

Die Bundeswehr: Was wünschen Sie sich als Ergebnis der Übung?

Bodemann: Insgesamt wünsche ich mir natürlich eine Bestätigung, dass unsere Planungen, Absichten und Vorgehensweisen einschließlich der Zusammenarbeit mit den anderen militärischen und zivilen Stellen funktionieren. Andernfalls wünsche ich mir eindeutige Hinweise, wie und wo wir etwas besser machen können. Mit unserer Beteiligung an QUADRIGA 2024 verfolge ich im Wesentlichen drei Zielsetzungen. Zum einen sind wir als Territoriales Führungskommando für den Aufmarsch der Streitkräfte unserer alliierten Partner und die Verlegung der deutschen Streitkräfte verantwortlich. Für meinen Stab und die Landeskommandos sind Aufmarsch und Verlegung bereits realer Einsatz. Seit Aufstellung des Kommandos sammeln wir diesbezüglich wichtige Erfahrungen, etwa im Zusammenhang mit der Ausbildungsunterstützung der ukrainischen Streitkräfte. Ich erwarte, dass wir diese mit QUADRIGA 2024 erfolgreich umsetzen können. Des Weiteren beabsichtige ich mit unserem eigenen Übungsanteil NATIONAL GUARDIAN, die Fähigkeiten, die Rolle und den Auftrag der Heimatschutzkräfte noch sichtbarer darzustellen. Wir werden mit allen Landeskommandos u.a. verteidigungswichtige Infrastruktur mit den Heimatschutzkräften sichern und schützen. Das ist eine Kernvoraussetzung für die Verlegung eigener und alliierter Streitkräfte. Wir tun dies im engen Schulterschluss mit den militärischen Organisationsbereichen und zivilen Partnern aus Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben.

Die Bundeswehr: Wo hat Deutschland noch Lücken, zum Beispiel beim Thema Bahntransport?

Bodemann: Die Drehscheibe Deutschland ist leistungsfähig. Uns stehen alle entscheidenden Verkehrsträger wie Straße, Schiene, Binnen- und Seeschifffahrt sowie Verlegung durch die Luft zur Verfügung. Allerdings sind Transporte bis zu 120 Tonnen Einzellast für uns keine Seltenheit und stellen immer wieder eine Herausforderung dar. Bei sogenannten Massentransporten kommt dem Schienen- und Wassertransport besondere Bedeutung zu. Die Deutsche Bahn ist ebenso leistungsfähig. Sie hat beispielsweise mit den autarken Begleitwagen für den Personentransport in Güterzügen eine Unikatfähigkeit in Europa. Das geht mit der Herausforderung einher, dass auch unsere Bündnispartner auf diese Alleinstellung zurückgreifen. Kurzum, der Wagenpark der Bahn sowie ihr Schienennetz sind ein militärischer Schlüsselfaktor für uns und die NATO. Im Rahmen der Drehscheibe Deutschland sprechen daher militärische Aspekte dafür, die Infrastruktur Straße, Schiene, Hafen und Flughafen noch leistungsfähiger zu machen und zu halten.

Die Bundeswehr: Ist die Bundeswehr, ist die NATO heute fähig, kritische Infrastruktur in Deutschland zu verteidigen?

Bodemann: Hier ist zunächst eine Unterscheidung in kritische und verteidigungswichtige Infrastruktur wichtig. Kritische Infrastruktur betrifft jene Einrichtungen, die für die Regierungsführung, die Gesamtverteidigung sowie die Versorgung der Bevölkerung nachhaltig wichtig sind. Verteidigungswichtige Infrastruktur betrifft zivile und militärische Einrichtungen, die zur Wahrnehmung der militärischen Aufgaben im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung essentiell sind. Streitkräfte können zum Schutz kritischer Infrastruktur nur einen Beitrag leisten, der ihren Hauptauftrag nicht gefährdet. Der Schutz dieser Infrastruktur ist also klar eine gesamtstaatliche Aufgabe, bei der Bund und Länder mit ihren Polizeien aber auch zivile Betreiber der Privatwirtschaft Resilienzpläne erstellen müssen.

Die Bundeswehr: Generalinspekteur Carsten Breuer hat gesagt, Deutschland müsse schnell kriegstüchtig und verteidigungsfähig werden. Was fehlt Ihnen als Territoriales Führungskommando dafür?

Bodemann: Viele sprechen in diesem Zusammenhang von der Rückbesinnung auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Das stimmt aber nur zum Teil. Der Kalte Krieg ist keine „Blaupause“. Die Rahmenbedingungen, Bedrohungen und Herausforderungen haben sich geändert. Im Kalten Krieg war Deutschland Frontstaat. Damals war die Bedrohung allgegenwärtig und die Rolle des Militärs klar. Heute ist Deutschland ein sogenannter „rückwärtiger Raum“. Die Bedrohungen sind asymmetrisch und hybrid, aber dennoch unmittelbar gegeben. Teilweise ist die Bedrohungslage für die Bevölkerung zumindest jetzt noch nicht spürbar. Wir brauchen das Verständnis, dass der Kalte Krieg in neuer Form zurück ist. Wir brauchen das Bewusstsein, dass ein kriegstüchtiges und verteidigungsfähiges Deutschland nur gesamtgesellschaftlich und in einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller Ressorts und Ebenen zu erreichen ist. Es geht letztlich um Wehrhaftigkeit und darum, dass unser Wertesystem und unsere Demokratie keine Selbstverständlichkeit sind, sondern ein schützenswertes Gut. Das geht uns alle an. Übungen belasten durch Lärm oder erhöhtes Verkehrsaufkommen zwar die Bevölkerung, sind aber notwendig zum Herstellen und Halten der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und der NATO sowie für glaubhafte Abschreckung. Frieden, Freiheit und Demokratie gibt es nicht zum „Nulltarif“.

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