Einsatzkräfte der militärischen Evakuierungsoperation in Kabul landen am 27. August mit dem Transportflugzeug Airbus A310 auf dem Fliegerhorst Wunstorf. Foto: Bundeswehr/Neumann

Einsatzkräfte der militärischen Evakuierungsoperation in Kabul landen am 27. August mit dem Transportflugzeug Airbus A310 auf dem Fliegerhorst Wunstorf. Foto: Bundeswehr/Neumann

10.10.2021
Von Christine Hepner und Gunnar Kruse

„Die Gefährdungslage vor Ort durch Taliban und andere Kräfte war nach wie vor gegeben“

An der Evakuierung aus Kabul waren auch Soldaten der Division Schnelle Kräfte der Bundeswehr beteiligt. Deren Kommandeur, Generalmajor Andreas Hannemann, spricht im Interview mit unserer Redaktion über den nicht ungefährlichen Einsatz.

Fallschirmjäger der Division Schnelle Kräfte haben die Evakuierung von in Afghanistan lebenden Deutschen und verbündeten Ortskräften abgesichert. Welche Situation haben Ihre Männer und Frauen in Kabul vorgefunden?

Generalmajor Andreas Hannemann: Die Situation vor Ort war sehr angespannt, und das auf allen Seiten. Es gab zum einen die zivile Lage: Die Menschen hatten Angst und wollten raus. Die humanitäre Situation, gerade rund um den Flughafen, war äußerst kritisch. Die Informationsweitergabe an die afghanischen Ortskräfte erwies sich als schwierig, hinzu kamen falsche Informationen, die die Situation noch anheizten. Militärisch hatten zum anderen die amerikanischen Streitkräfte die Führung am Flughafen. Hier hat man Absprachen getroffen und miteinander Hand in Hand zusammengearbeitet.

Für welche Aufgaben wurden die Kräfte der DSK genau eingesetzt?  

Unser Auftrag war es, deutsche Staatsbürger und weitere berechtigte Personen zu evakuieren. Dazu gehörte, den Flughafen in Kabul zusammen mit anderen Nationen zu sichern, die zu Evakuierenden zu identifizieren, ihre Berechtigungen zu überprüfen und sie dann schnell und sicher nach Usbekistan zu geleiten. Dazu gehörte auch die Versorgung vor Ort, mit Trinkwasser oder medizinischer Hilfe. Deshalb arbeiteten unsere Fallschirmjägerkräfte hier eng mit Feldjägern, Luftlandesanitätern und auch den Kommandosoldaten des Kommandos Spezialkräfte zusammen.

Die Verteidigungsministerin hatte die Mission als „gefährlichen Einsatz“ bezeichnet. Wie bewerten Sie im Rückblick die Gefährdungslage der eingesetzten Fallschirmjäger?

Hier kommen viele Faktoren zusammen. Es war vorher nicht klar, wie viel Zeit wir für die Evakuierungen haben und wann die USA ihre Truppen vollends abziehen würden. Außerdem war die Gefährdungslage vor Ort durch Taliban und andere Kräfte nach wie vor gegeben. Auch die große Anzahl der zu Evakuierenden war schon eine beachtliche Herausforderung. Durch Geheimdienstberichte wussten wir natürlich auch von der Bedrohung durch den Islamischen Staat. Wie gefährlich der Einsatz war, wurde durch den Schusswechsel unserer Soldaten mit einem Angreifer und durch die heimtückischen Anschläge auf Zivilisten und US-Soldaten deutlich.

Angesichts der Verzweiflung der Einheimischen, die Afghanistan verlassen wollen: Wie stark hat die Mission Ihre Soldaten belastet?

Viele Soldaten haben in Afghanistan gedient, körperliche und seelische Verwundungen davongetragen oder sogar Kameraden verloren. Hier stellen jetzt viele die Frage nach dem Sinn der vergangenen 20 Jahre. Während der Evakuierungsoperation wurden unsere Soldaten von einem Truppenpsychologen in Usbekistan begleitet. Dieser wurde zur psychologischen Prävention, Betreuung und fachlichen Beratung für alle Einsatzkräfte eingesetzt. Nach der Rückkehr erfolgt nun eine entsprechende Nachbetreuung. Die Fachdienste der psychosozialen Netzwerke stehen jedem Soldaten mit Rat und Tat zur Seite.

Wie lief die Zusammenarbeit mit den Partnernationen und den afghanischen Sicherheitskräften?

Als eine der ersten Nationen vor Ort und einer der größten Truppensteller haben wir natürlich viel mit den anderen Nationen zusammengearbeitet. Die Koordinierung vor Ort war eine Herausforderung, aber das Ganze funktionierte nach dem Prinzip „Jeder hilft jedem“. So haben wir ja nicht nur deutsche Staatsbürger, sondern auch Bürger anderer Nationen ausgeflogen. Auch unsere amerikanischen Partner waren die Ersten, die deutsches Botschaftspersonal in Sicherheit gebracht haben. Als binationaler Verband ist die multinationale Zusammenarbeit aber schon in unserer DNA verankert. Deshalb waren unsere Soldaten auch so gut auf die Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten vor Ort vorbereitet.

Die Kräfte wurden innerhalb kürzester Zeit in Marsch gesetzt. Wie schnell können die Kräfte der DSK in solchen Fällen aktiviert werden und welche Vorbereitung war überhaupt möglich?

Die Division Schnelle Kräfte hat diese militärischen Evakuierungsoperationen als Daueraufgabe im Rahmen der nationalen Risiko- und Krisenvorsorge im Lastenheft stehen. Dazu steht in ständiger schneller Einsatzbereitschaft der Einsatzverband für militärische Evakuierungsoperationen, im Kern aus der Luftlandebrigade 1 der DSK, bereit, ergänzt aus allen Teilen der Division. Die rund 1400 Soldatinnen und Soldaten werden sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr in höchster Verfügbarkeit gehalten. Dies bedeutet nicht, dass bei jeder möglichen militärischen Evakuierungsoperation das volle Personalpotenzial abgerufen wird. Der Umfang der eingesetzten Kräfte ist konstant skalierbar und wird stets auf den jeweiligen Auftrag sowie die Sicherheitslage im Krisenland angepasst. So können die bei einer militärischen Evakuierung eingesetzten Kräfte etwa für eine schnelle Luftevakuierung mit Personal im zweistelligen Bereich liegen oder für eine robuste Evakuierung mit starkem Truppenaufgebot aus mehreren hundert Soldatinnen und Soldaten zusammengesetzt sein. Dazu stellt die Division das Leitkommando, das die Verlegung der Truppen in Deutschland und ihre Bereitstellung organisiert. Dies schließt entsprechend Kräfte an den diversen Flughäfen mit ein. Die Alarmierungszeit dieser Soldaten ist genau so kurz wie die der Einsatzkräfte, zum Teil sogar kürzer.

Wie trainieren Sie Ihre Männer und Frauen für einen solchen Fall?

Die Vorbereitung umfasst viele unterschiedliche Lehrgänge und Ausbildungen. Die Abläufe und nötigen Planungen für die militärischen Evakuierungsoperationen werden bei jährlich stattfindenden Übungen kontinuierlich beübt und vertieft. Als Beispiel führen wir alle zwei Jahre die Übung „Schneller Adler“ als Hochwertübung mit Volltruppe durch. Hier kommen dann neben unseren eigenen Kräften auch die der Luftwaffe und Marine zum Einsatz. Die Übung zeigt dann auf, wo wir nachsteuern müssen.

Welches Fazit ziehen Sie heute nach der Evakuierungsaktion? Welche Lehren haben Sie möglicherweise bereits gezogen?

Unsere Soldatinnen und Soldaten waren während der Operation für den Transport der zu Evakuierenden, deren Schutz und das Umfeld der Transportmittel verantwortlich. Wir haben insgesamt über 5000 Menschen aus 45 Nationen ausfliegen können. Das war natürlich eine beträchtliche Leistung. Wir befinden uns aber noch in der Aufarbeitung und Analyse der Operation und werden aus den gewonnenen Erfahrungen natürlich Schlussfolgerungen für die Zukunft ziehen.

Wie stolz sind Sie als Divisionskommandeur auf die Leistung Ihrer Soldaten?

Die Soldatinnen und Soldaten der Division Schnelle Kräfte haben unter schwierigsten Bedingungen das Äußerste geleistet. Viele tausend Menschen konnten Dank des unermüdlichen Einsatzes unserer Männer und Frauen aus Afghanistan evakuiert werden. Die Division Schnelle Kräfte hat durch die Leistung ihrer Soldatinnen und Soldaten vollumfänglich bewiesen, dass sie ihrem Motto „Einsatzbereit. Jederzeit. Weltweit“ vollkommen gerecht wird. Darauf bin ich in der Tat stolz.

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