Dr. Bernhard Felmberg ist seit 2014 Evangelischer Militärbischof. Foto: Dieter Hollinde / EAS

Dr. Bernhard Felmberg ist seit 2014 Evangelischer Militärbischof. Foto: Dieter Hollinde / EAS

05.12.2023
Katja Gersemann

„Für Litauen brauchen wir eine pastorale Infrastruktur“

Der verbrecherische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine beeinflusst auch die Arbeit der Evangelischen Militärseelsorge. Mit welchen neuen Fragen sie dabei konfrontiert wird, darüber berichtet der Evangelische Militärbischof Dr. Bernhard Felmberg.

Die Zeitenwende beschäftigt auch die Militärseelsorge. Wie hat sich die Arbeit der evangelischen Militärseelsorge seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine verändert?

Dr. Bernhard Felmberg: Durch die NATO-Ostflanke sind wir als Militärseelsorge stärker gefordert. Wir werden von Soldatinnen und Soldaten mehr in Anspruch genommen. In den ersten Wochen war das massiv. Es stellte sich bei vielen die Frage, was bedeutet die neue Situation für mich persönlich? Aber natürlich auch: Was passiert mit unseren Familien? Wir haben schnell besondere Texte und Videos aufgelegt und diese den Menschen in der Bundeswehr als Hilfestellung an die Hand gegeben. Zum Beispiel Erklärungen zur Frage: Wie rede ich mit meinen Kindern über den Krieg?

Auch wenn Soldatenfamilien das zu Hause selbst gar nicht thematisieren, so wird es doch von außen an sie herangetragen. Wenn der Sohn eines Bundeswehrsoldaten etwa in der Schule von anderen Kindern angesprochen wird und ihm gesagt wird, sein Vater müsse in die Ukraine und werde dort sterben. Wenn ein Kind mit so einer Information nach Hause kommt, dann muss man richtig reagieren.

Mit der angekündigten Brigade in Litauen dürfte sich die Situation weiter verschärfen.

In Litauen werden wir mit der Stationierung von 6000 Soldaten und ihren Familien eine Situation haben, die bislang einmalig ist in der Bundeswehr. Da brauchen wir eine volle Infrastruktur – und zwar auch eine pastorale Infrastruktur. Wir brauchen dort ein Betreuungszentrum, das auch kirchliche und geistliche Belange berücksichtigt. Unser Anliegen ist es auch, dass wir stärker in Übungen eingebunden werden, denn in Übungen zur Landes- und Bündnisverteidigung übt man schließlich ganz andere Szenarien als im Auslandseinsatz.

Als Militärseelsorge sind wir bereit für diese Aufgabe: Wir haben eine Umfrage zur Bereitschaft unserer Pfarrer, an die NATO-Ostflanke zu gehen, gemacht und waren erstaunt, dass 20 bis 30 sofort in der Lage gewesen wären, mitzugehen.

Welche neuen Fragen und Situationen kommen auf Militärgeistlichen zu, wenn sie in Übungen zur Landes- und Bündnisverteidigung eingebunden sind?

Es stellen sich viele Fragen: Wo ist der Pfarrer, wie arbeitet er mit der Sanität zusammen, wie gehen wir um mit Verletzten, wie ritualisieren wir das, was mit Tod und Sterben zusammenhängt? Gibt es bei Soldaten noch Kompetenz, wie man damit umgeht? Ich befürchte, das hat sich in den letzten Jahrzehnten eher verflüchtigt. Früher waren Soldaten in der Lage, ein kurzes Gebet zu sprechen, wenn Menschen begraben wurden. Etwa das Vater Unser oder Psalm 23. Das ist bei Vielen verschwunden, da müssen wir als Militärseelsorge nicht nur selbst sprachfähig sein, wir müssen vor allem auch andere in der Bundeswehr sprachfähig machen. Darüber müssen wir sprechen.  Das macht keine Freude, aber es ist nötig.

Eine aktuelle Studie stellt der Militärseelsorge ein sehr gutes Zeugnis aus: Rund 95 Prozent der befragten Soldaten befürworten die Militärseelsorge im Einsatz. Überrascht Sie das?  

95 Prozent – das ist eine enorm hohe Zahl. Nach über 20 Jahren Einsatzbegleitung kann man sagen, dass die Militärseelsorge etabliert und breit anerkannt ist. Auch die anderen Ergebnisse der Studie sind erfreulich: Im Inland wird die Militärseelsorge von 91 Prozent als sinnvoll angesehen. Auch die nicht konfessionsgebundenen befragten Soldaten sehen Militärseelsorge als sinnvoll für sich und die Truppe an. Und immerhin gehören 51 Prozent der Soldaten der evangelischen oder katholischen Kirche an.

Die Studie ist eine Bestätigung der Arbeit der vielen Pfarrerinnen und Pfarrer, die jeden Tag tolle Arbeit machen. Und sie zeigt, dass die Säkularisierungstendenzen in der Bw längst nicht so ausgeprägt sind wie in der Gesellschaft.

Bundeswehrangehörige fühlen sich also dem Glauben mitunter stärker verbunden als die Zivilgesellschaft - worauf führen Sie das zurück?

In der Bundeswehr haben wir mit den Soldaten Menschen, die sich häufig existentielle Fragen stellen. Der Glaube an Jesus Christus gibt Antworten auf existentielle Fragen. Damit ist der Glaube etwas, was Soldaten in ihrem Beruf Kraft und Zuversicht geben kann. Dafür stehen wir. Wir wollen Menschen befähigen, ein gelingendes Leben zu führen - und das ist mit Vertrauen in Gott leichter als ohne.

Die Militärgeistlichen bieten zudem etwas, was keine andere Gruppe in der Bundeswehr bietet: Sie sind unabhängig, nicht in Hierarchien eingebunden, es gibt ein Beichtgeheimnis. Das alles sind Assets, die die Soldaten klar sehen und schätzen. Nur mit Militärgeistlichen sind Gespräche in diesem geschützten Rahmen möglich.

Und bei den Programmen, die die Militärseelsorge bietet – wie etwa der Lebenskundliche Unterricht, Seelsorge, Gottesdienst, Rüstzeit – besteht der Wert darin, dass Soldaten im Arbeitskontext andere Ideen und eine andere Sprache begegnen. Diese Angebote sind nicht nur bekannt, sondern werden auch von 50 bis 60 Prozent der Soldaten immer wieder wahrgenommen. Hier merken sie, dass sie mit ihren Fragestellungen nicht allein sind. Gerade auf Rüstzeiten lernen wir zudem unsere Kameraden kennen. Im Alltag wird schließlich kaum noch gemeinsame Freizeit miteinander verbracht.

Im Frühjahr, rund ein Jahr nach Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine wurde ein von Ihnen initiiertes, viel beachtetes Positionspapier zur Friedensethik veröffentlicht. Haben Sie den Eindruck, dass das Papier in der evangelischen Kirche etwas ausgelöst hat?

Mit dem Papier haben wir eine gewisse Neujustierung des friedensethischen Denkens in der evangelischen Kirche Deutschlands anschieben wollen. Die Schrift ist in der Evangelischen Kirche wahrgenommen worden und an ihr wird man künftig auch nicht mehr vorbeikommen.

Seit dem Russland-Ukraine-Konflikt werden das Denken und Sprechen über militärische Gewalt und das Recht, sich zu verteidigen, auch in der evangelischen Kirche ohnehin sehr viel differenzierter wahrgenommen. Viele Menschen in der evangelischen Kirche haben eine jahrzehntelange friedensethische Biografie in bestimmten Mustern. Sie mussten nachdenken, ob die eigenen Paradigmen jetzt noch stimmen.

Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf, wo kann die Militärseelsorge besser werden? In der Truppe heißt es zum Beispiel oft, dass Lebenskundlicher Unterricht kaum stattfinden würde.

Wir strengen uns an, in unseren Handlungsfeldern noch besser zu werden. Im Lebenskundlichen Unterricht haben wir enorme Möglichkeiten, ethische Bildung durchzuführen. Soldaten finden das wichtig, haben interessanterweise aber gleichzeitig die Einschätzung, dass das von Kameraden nicht geteilt wird und schon gar nicht von Dienstvorgesetzten. Wenn man diese aber wiederum fragt, halten sie genauso viel davon. Dadurch wird deutlich, dass wir an Wahrnehmung und Wertschätzung des Lebenskundlichen Unterrichts arbeiten müssen. Das darf nicht nur ein Abfallprodukt sein, das nur dann wahrgenommen wird, wenn gerade einmal Zeit ist. Wir müssen noch stärker darauf drängen, dass dieser Unterricht in dem Maße erteilt wird, wie er in den Richtlinien auch vorgesehen ist.  Das ist wichtig für die Seelenhygiene, den Bildungsstand und die Diskursfähigkeit von Soldaten.

Vorgesetzte klagen immer wieder, sie hätten im Dienstalltag kaum Luft, um z.B. Politische Bildung unterzubringen.

Wir bauen natürlich keinen Druck auf, der nicht angemessen ist. Aber es ist wichtig, dass Vorgesetzte ein Gefühl dafür bekommen, dass der Lebenskundliche Unterricht quantitativ und qualitativ der beste Unterricht in der Bundeswehr ist. Deswegen ist es uns ein Anliegen, das Angebot über alle Ebenen weiter bekannt zu machen. Wer meint, dass seine Soldaten nicht ganzheitlich geschult werden müssen, der geht an den Erkenntnissen der Inneren Führung und dem Selbstverständnis der Bundeswehr vorbei.

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