In seinem Buch bietet Gerhard Conrad spannende Einblicke in die oft mystifizierte Welt der Nachrichtendienste. Foto: Ullstein Verlag/Econ

14.01.2023
Von Oliver Krause

„James Bond findet im Bundesnachrichtendienst nicht statt”

Gerhard Conrad war einst Agent des BND. Mittlerweise pensioniert, hat er ein Buch geschrieben, in dem er mit so manch einem Mythos rund um die Geheimdienstwelt aufräumt. Darüber und über weitere aktuelle Fragen spricht er im Interview mit unserer Redaktion.

Herr Conrad, der Titel Ihres Buches ist eine Klarstellung. Der BND tötet keine Menschen, seine Mitarbeiter sind nicht wie James Bond. Warum ist Ihnen diese Botschaft so wichtig?

Gerhard Conrad: Das Bild der Nachrichtendienste ist vielfach von Fehlperzeptionen geprägt, insbesondere in Deutschland. Heroischen Mystifikationen im angloamerikanischen Raum stehen bei uns häufig Dämonisierungen gegenüber. Beidem wollte ich mit diesem Titel entgegenwirken: Die Aufgaben und Befugnisse des BND sind klar gesetzlich geregelt und exekutive Maßnahmen stehen hier in keiner Weise zur Debatte. Angehörige des Dienstes würden sich strafbar machen, wenn sie in derartige Taten verwickelt wären. James Bond findet im BND nicht statt.
 
In Ihrem Buch beschreiben Sie mit Blick auf Afghanistan, welche hohen rechtlichen Hürden für die Weitergabe von Aufklärungsergebnissen selbst an Verbündete beim BND gelten. Hätte er den Aufenthaltsort von Osama bin Laden an die Amerikaner weitergeben dürfen, wenn er davon erfahren hätte?

Nach aktueller Bewertung wäre dies wohl nicht möglich gewesen, da es sich hier ja um eine „capture or kill“-Operation handelte und dies nicht im Rahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr stattgefunden hätte, wie dies bei BND-Force Protection für Kräfte der Bundeswehr im Auslandseinsatz der Fall wäre. Der BND muss bei „actionable intelligence“ stets darauf hinweisen, dass weitergegebene Informationen nicht zu Handlungen gegen Leib und Leben der in Frage stehenden Person verwendet werden dürfen. Spätestens nach dem Urteil des BVerfG vom 19. Mai 2020 steht zudem die Grundrechtsbindung des Dienstes auch im Ausland und im Informationsaustausch mit Partnern außer Frage. Die Konsequenzen für die internationale Handlungsfähigkeit des Dienstes in der Wahrnehmung seiner Kernaufgaben werden in einer Zeit massiv eskalierender Risiken und Gefährdungsmomente abzuwarten und zu bewerten sein. Auch hier gilt das britische Sprichwort „There is no such thing like a free lunch“.

Glauben Sie, dass im Zuge der „Zeitenwende“ die Befugnisse des Dienstes wieder erweitert werden?
 

Ich hoffe, dass die Zeitenwende nicht nur zu einer Neubewertung der Bundeswehr, ihrer Aufgaben und Befähigungen führt, sondern ein vergleichbarer Prozess auch für die Dienste eingeleitet wird. Hier wird eine Risikogesamtrechnung vorzunehmen sein, gefolgt von einer Befähigungsgesamtrechnung, mit der festzustellen sein wird, ob und in welchem Umfang die Nachrichtendienste des Bundes den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft gewachsen sind. Dies kann auch zu einer erneuten Betrachtung rechtlicher Rahmenbedingungen führen. Wir werden auch im Bereich der Dienste dem Umstand Rechnung tragen müssen, dass „wir in einer anderen Welt aufgewacht sind“.

Dass Russland den Westen als Gegner betrachtet, war auch schon vor dem 24. Februar 2022 noffensichtlich. Wahrhaben wollte das die Mehrheit in Politik und Gesellschaft aber nicht. Kann ein Nachrichtendienst in so einem Umfeld einen Beitrag leisten?

Die Verdrängung unliebsamer Nachrichten und insbesondere die Verweigerung adäquater Vorsorge oder Reaktion ist verbreitet. Sie ist kein Spezifikum politischer Entscheidungsprozesse. Dort sollte sie jedoch besonders vermieden werden, da es hier oft um essenzielle Fragen des Allgemeinwohls, der Daseinsvorsorge, der Sicherheitsgewährleistung geht. Die Verantwortung der Dienste ist es, auf allen Ebenen des Entscheidungsprozesses zeitgerecht, nachhaltig und qualitätsvoll auf erkannte Risiken und Gefahren hinzuweisen und diese in ihrer Qualität und Imminenz zu bewerten. Es bleibt die vornehmste Pflicht und Verantwortung der Entscheidungsträger, unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse im Sinne ihres Amtseides zu handeln. Zweifel, ob dies so auch geschieht, enthebt die Dienste jedoch nicht davon, ihre Pflicht zur Information der Entscheidungsträger zu tun. Durch die politische Aufarbeitung von Nicht- oder Fehlentscheidungen sollte es zu einer Weiterentwicklung der politischen Kultur im Umgang mit Nachrichtendiensten und ihrem Beitrag zur Entscheidungsfindung kommen.

Im Buch geht es unter anderem um Ihre Rolle als Geheimdiplomat zur Freilassung israelischer Gefangener oder Gefallener aus den Händen von Hizballah oder Hamas. Warum vermittelt in solchen Situationen der BND und nicht das Auswärtige Amt?

Die Wahl der Vermittler obliegt den Konfliktparteien. Ungewöhnliche Projekte erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Israel beauftragt traditionell seine Dienste mit der Wahrnehmung derartiger Fälle. Eine Aufwertung des Feindes durch internationale diplomatische Kontakte kommt in diesem Rahmen für Israel nicht in Betracht. Dies gilt unter umgekehrten Vorzeichen aber auch für Hizballah und Hamas, die Israel in seiner Existenzberechtigung ablehnen. Zugleich schützt die Geheimhaltung der Dienste beide Seiten vor Aufdeckung der Diskussionen zur Unzeit, zumindest sollte sie das. Zu guter Letzt spielt auch die Kompetenz- und Relevanzvermutung gegenüber Geheimdiensten, zumindest in autoritären Staaten und Gesellschaften, eine Rolle bei der Bevorzugung der Dienste als Akteure, deren unmittelbare Nähe zu politischen und militärischen Entscheidungsträgern angenommen wird.

Sie haben damals mit den richtig bösen Jungs verhandelt. Bei der Mission zur Freilassung des von der palästinensischen Hamas entführten Wehrpflichtigen Gilad Schalit sind sie nur mit einem Fahrer nach Gaza gefahren. Befürchtet man dabei, auch als Geisel und Faustpfand zu enden?

Als akzeptierter Vermittler sind Sie Gast und es ist eine ernst genommene Ehrenpflicht des Gastgebers, für Ihre Sicherheit und Ihr Wohlergehen zu sorgen. Hamas (wie auch Hizballah) hat es hier zu keinem Zeitpunkt an irgendetwas fehlen lassen. Nur wenn durch multiples Fehlverhalten dieses „Band der Treue“ zerstört würde, käme eine solche Entwicklung in Frage.

Gefährdungsmomente können natürlich von dritter Seite entstehen, wenn Gegner des Vermittlungsprozesses oder von Hamas die Möglichkeit suchten, den Vermittler aus dem Wege zu räumen, um den Prozess scheitern zu lassen. In Gaza hätten dies zum Beispiel konkurrierende, seinerzeit der Qaeda zuzuordnende Jihadgruppen sein können. Einige Male wirkten meine Gastgeber unter diesem Aspekt besorgt und verdoppelten ihre Sicherheitsvorkehrungen.

Zu guter Letzt: Sie sind 2019 regulär aus dem Dienst ausgeschieden. Raten Sie jungen Menschen zu einer Karriere beim BND?

Wer eine verantwortungsvolle, intellektuell wie persönlich fordernde, häufig dynamische Tätigkeit für Staat und Gesellschaft nicht scheut und für fremde Lebenswelten und Kulturen oder aber auch Spitzentechnologie offen ist, findet im Dienst vielfältige sinnstiftende, erfüllende Aufgaben. Das ist es, was in erster Linie zählt, nicht die „Karriere“. Die Verengung des Blicks auf Karriere führt bekanntlich nur zu oft zu einem Übermaß an Opportunismus. Wer sollte dann aber noch den „Mut vor Königsthronen“ aufbringen wollen, getreu der Devise des US Directors of National Intelligence zu folgen: „Speaking Truth to Power“?

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