Dieses vom aserbaidschanischen Verteidigungsministerium veröffentlichte Bild soll zeigen, wie ein armenischer Panzer von einer Drohne zersört wird.

Dieses vom aserbaidschanischen Verteidigungsministerium veröffentlichte Bild soll zeigen, wie ein armenischer Panzer von einer Drohne zersört wird.

10.10.2020
Von Yann Bombeke/mit Material von dpa

Waffenruhe in Berg-Karabach in Kraft

Im blutigen Konflikt im Südkaukasus um die Region Berg-Karabach ruhen zumindest vorerst die Waffen: Armenien und Aserbaidschan haben nach russischer Vermittlung eine Feuerpause vereinbart. Zuvor war der Konflikt eskaliert: Die Konfliktparteien warfen sich gegenseitig vor, zivile Ziele zu unter Beschuss genommen zu haben – auch mit international geächteter Streumunition.

Am Samstagmittag ist nach knapp zweiwöchigen schweren Gefechten mit Hunderten Toten in Berg-Karabach eine Waffenruhe in Kraft getreten. Die Feuerpause war am Vortag nach Verhandlungen unter russischer Vermittlung in Moskau ausgehandelt worden. Die Waffenruhe solle dazu genutzt werden, um Gefangene auszutauschen und die Körper toter Soldaten in ihre Heimat zu übergeben, hieß es in der Moskauer Erklärung. Details sollen zusätzlich vereinbart werden. Grundlegende Friedensverhandlungen soll es dann unter Führung der sogenannten Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geben. Die Gruppe wird von Russland, den USA und Frankreich angeführt. Unsicher ist, ob die Waffenruhe auch anhält. Nach Angaben aus Armenien sei die Feuerpause bereits wieder gebrochen worden, wofür es bislang aber keine Bestätigung gibt.

In den Tagen zuvor war der Konflikt immer weiter eskaliert, wobei zunehmend auch Zivilisten unter Beschuss gerieten. Dabei soll auch international geächtete Streumunition zum Einsatz gekommen sein, im Internet sind dazu verschiedene Videos zu sehen. Ein Video zeigt eine Straße in einer typischen innerstädtischen Wohngegend, die Aufnahme könnte auch aus Köln, München oder Berlin stammen. Zunächst sind Sirenen zu hören. Es folgt ein dumpfer Knall, bei dem die Kamera kurz erzittert. Wenige Sekunden später sind in der Straße dutzende kleine Explosionen zu sehen, Äste fallen von den Bäumen, parkende Autos werden beschädigt. Zwei weitere Male wiederholt sich die Szene in dem knapp anderthalbminütigen Video.

Die Bilder, die seit einigen Tagen im Internet kursieren, sollen aus der Stadt Stepanakert stammen, der Hauptstadt der zwischen Armenien und Aserbaidschan umkämpften Provinz Berg-Karabach. Bei solchen Videos ist üblicherweise Vorsicht geboten, denn längst ist der Ende September ausgebrochene Konflikt auch ein Krieg der Worte und der Bilder geworden. Propaganda wird von allen Konfliktparteien insbesondere im Internet gestreut. Doch in diesem Fall wird die Echtheit der Aufnahmen von Amnesty International bestätigt. Mitglieder des Krisenreaktionsteams von Amnesty International hätten den Standort des Filmmaterials bis zu den Wohngebieten Stepanakerts zurückverfolgen können, heißt es auf der Homepage der Nichtregierungsorganisation. Sogar die Herkunft der Streumunition will Amnesty herausgefunden haben: Es handele sich um Munition des Typs „M95 DPICM“ aus israelischer Produktion.

Auch Armenien wird vorgeworfen, Zivilisten unter Beschuss genommen zu haben: Nach Berichten aus Aserbaidschan seien zivile Ziele in Ganja, der zweitgrößten Stadt des Landes, sowie weitere Städte angegriffen worden. Amnesty International bestätigte zwar, dass die armenischen Streitkräfte offenbar 300mm-Raketenartilleriesysteme vom Typ „Smerch“ eingesetzt hätten, allerdings sei bislang keine schlüssige Analyse ihrer spezifischen Ziele möglich gewesen. Auch sei nicht belegbar, ob die Raketensprengköpfe Streumunition enthielten.

Armenien hatte der Gegenseite auch vorgeworfen, die Kathedrale der Stadt Schuscha beschossen zu haben. Dabei seien zwei russische Journalisten schwer verletzt worden. Auch Stepanakert sei mehrfach mit Raketen beschossen worden. Tausende Menschen waren Mitte der Woche auf der Flucht.

Aserbaidschan setzt türkische Kampfdrohnen ein

Neben dem Einsatz von Artillerie auf beiden Seiten ist der wiederaufgeflammte Krieg um Berg-Karabach auch durch Drohnen geprägt: Insbesondere das aserbaidschanische Verteidigungsministerium veröffentlichte zahlreiche Bilder von Präzisionsschlägen mit bewaffneten Drohnen auf armenische Ziele. Dutzende Panzer, Luftabwehr- oder Artilleriesysteme wurden offenbar zerstört. Die Drohnen wurden von der Türkei an Aserbaidschan verkauft, es handelt um sich das Modell „Bayraktar TB2“, das von den türkischen Streitkräften bereits in Syrien und Libyen eingesetzt wurde. Laut der bulgarischen Webseite bulgarianmilitary.com bestätigte das aserbaidschanische Verteidigungsministerium im Sommer, dass es über die Beschaffung der Drohnen aus türkischer Produktion verhandele.

So hat es offensichtlich nur wenige Monate gedauert, bis die neuen Waffensysteme zum Einsatz kamen und man fragt sich, wie Aserbaidschan so schnell seine Drohnenpiloten auf einem derart komplexen System hat ausbilden können. Armenien wirft der Türkei vor, zumindest mit Militärberatern auf aserbaidschanischer Seite am Konflikt beteiligt zu sein. Auch der Abschuss einer Suchoi-25 der armenischen Luftstreitkräfte soll auf das Konto eines türkischen F-16-Kampfjets gehen. Zudem gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass mehrere Hundert syrische Söldner im Auftrag der Türkei in Aserbaidschan kämpfen. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte seien mehr als 800 Syrer über türkische Sicherheitsfirmen nach Aserbaidschan geschickt worden. Andere Quellen sprechen von einem Kontingent von 1000 Kämpfern, die zuvor im syrischen Bürgerkrieg für pro-türkische Rebellengruppen aktiv waren.

So scheint das Nato-Mitglied Türkei tief in die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Aserbaidschan und Armenien verstrickt zu sein. An einer Deseskalation hat die Regierung in Ankara jedenfalls kein Interesse – das wurde auch an den Äußerungen von Präsident Erdogan deutlich: Grundbedingung für eine Beendigung der Kampfhandlungen sei ein vollständiger Abzug der armenischen Truppen aus der Region Berg-Karabach.

Die Friedensappelle aus dem Westen und aus Moskau, das Truppen in Armenien stationiert hat, aber auch gute Kontakte zur Regierung in Baku pflegt, verhallten bis zur jetzt vermittelten Waffenruhe folgenlos. Nach armenischen Angaben stieg die Zahl der Toten auf 400. Aserbaidschan hat noch keine Angaben zu Verlusten unter seinen Soldaten gemacht, seit Beginn des Konflikts seien aber mehr als 30 Zivilisten ums leben gekommen. Die Behörden der nicht anerkannten Republik Berg-Karabach sprechen von bislang 22 zivilen Opfern.

Hintergrund:
Die von Armenien kontrollierte Region Berg-Karabach mit geschätzt 145.000 Einwohnern gehört völkerrechtlich zum islamisch geprägten Aserbaidschan. In einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlor Aserbaidschan die Kontrolle über das Gebiet. Es wird heute von christlichen Karabach-Armeniern bewohnt. Armenien setzt auf Russland als Schutzmacht, die dort Tausende Soldaten sowie viele Waffen stationiert hat. Das öl- und gasreiche sowie militärisch hochgerüstete Aserbaidschan hat das Nato-Mitglied Türkei als Verbündeten.

Armenien sieht es bis heute als historisches Unrecht an, dass das seit Jahrhunderten von Christen besiedelte Berg-Karabach unter Sowjetdiktator Josef Stalin dem muslimisch geprägten Aserbaidschan zugeschlagen worden war. Aserbaidschan wiederum beruft sich auf das Völkerrecht, nach dem Berg-Karabach zu seinem Gebiet gehört.

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