Ein GTK Boxer auf einem Tieflader. Foto: Bundeswehr/Michael Mandt

Ein GTK Boxer auf einem Tieflader. Foto: Bundeswehr/Michael Mandt

12.03.2023
Von David McAllister

Warum Straße und Schiene genauso wichtig sind wie Panzer

Mit der Entscheidung, schwere Panzer an die Ukraine zu liefern, treten neue Probleme zutage: Die zivile Infrastruktur ist für militärische Schwertransporte oftmals nicht ausgelegt – doch das ist mit entscheidend für die europäische Sicherheit.

In jüngster Vergangenheit wäre die Idee, finanzielle Ressourcen in die Reparatur von Brücken und Autobahnen zu stecken, um die Durchfahrt eines 62 Tonnen schweren Leopard-Panzers zu ermöglichen, manchen als Rückfall in den Kalten Krieg erschienen. Nach 1991 sind Abwägungen über die für Streitkräfte erforderten Transportkapazitäten und Nachschublinien in Europa mit festen Routen durch die NATO-Mitgliedstaaten in Vergessenheit geraten. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat das Thema „militärische Mobilität“ – also die Geschwindigkeit, mit der sich Truppen und Gerät aufstellen lassen, wieder allgegenwärtig gemacht.

Mit der Entscheidung, schwere Panzer in die Ukraine zu liefern, treten auf internationaler als auch auf nationaler Ebene neue Probleme zutage: Die mehr als 60 Tonnen schweren Kolosse müssen weite Wege zurücklegen, bevor sie ihr Ziel erreichen – sei es direkt über den Kontinent aus den Niederlanden oder Frankreich oder über den Atlantik und die Nordsee aus Kanada, den USA und dem Vereinigten Königreich. Dabei werden sowohl die „Entsendenationen“ als auch die jeweiligen Transportunternehmen mit einer bitteren Realität konfrontiert. Zwar zeichnet sich das moderne Europa durch den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital aus. Doch will ein Soldat in Uniform eine Landesgrenze übertreten, geht das nur mit offizieller Erlaubnis. Es müssen Anträge auf Schwertransporte gestellt, eine stabile Route durch das Autobahnnetz gesucht oder Slots im überfüllten Schienennetz beantragt werden.

Deutschland fungiert als Drehscheibe

Durch seine Lage in der geografischen Mitte Europas ist Deutschland logistische Drehscheibe und in nahezu allen denkbaren Konflikt- und Bündnisverteidigungsszenarien Transitland. Bei uns entscheidet derweil jedes Bundesland für sich über die Aufhebung von Transportverboten an Sonn- und Feiertagen. Genehmigungen für Großraum- und Schwertransporte erfolgen teils sogar auf kommunaler Ebene. Sollten Streitkräfte mehrere Grenzen überqueren müssen, um an das angewiesene Ziel zu gelangen, multipliziert sich der Verwaltungsaufwand. Im – äußerst seltenen – Idealfall dauert der grenzüberschreitende Transport von militärischen Kapazitäten von einem Land in ein anderes immer noch mindestens fünf Tage. Das ist zu lang.

Ein viel gravierenderes Problem als die Zollformalitäten stellt allerdings die physische Verkehrsinfrastruktur dar. Ein Großteil dieser ist für militärische Transporte nicht geschaffen. Tunnel sind oftmals nicht für die Durchfahrt von Panzern ausgelegt, Brücken verfügen nicht über die nötige Tragkraft. Allein in Deutschland hat der Bund 4000 Brücken als kritisch identifiziert, darunter auch die an den Seehafenstandorten und entlang des Nord-Ostsee-Kanals. Muss erst eine stabile Route durch das Autobahnnetz mit manchen maroden Brücken gesucht werden, verzögert sich die Bewegung von Truppen und Gerät weiter.

Vor diesem Hintergrund war es äußerst bedauerlich, dass die EU-Mitgliedstaaten im November 2021 bei Verhandlungen für den EU-Haushalt 2022 die für militärische Mobilität bestimmten Mittel von 6,5 Milliarden Euro auf 1,7 Milliarden Euro gekürzt haben. Denn soll von einer echten europäischen Verteidigungsunion die Rede sein, bedarf es insgesamt einer finanziellen Injektion in die Verkehrsadern des Kontinents.

Budget wurde verdoppelt

Anhand eines neuen Aktionsplans, von der Europäischen Kommission vorgestellt, sollen die Verkehrskorridore der EU so angepasst werden, dass sie auch für schwere und große Militärtransporte geeignet sind. Wie aufgetragen hat die Kommission dazu bereits ermittelt, dass das vom Militär benötigte Verkehrsnetz sich zu 93 Prozent mit den Verkehrskorridoren überschneidet, die für das transeuropäische Verkehrsnetz ausgebaut werden sollen. Dazu gehören Straßen, Schienen- und Wasserwege, wobei die meisten davon durch Deutschland führen. Für den militärgerechten Ausbau von Autobahnen und Bahntrassen hat die EU-Kommission das Budget im Dezember von 330 Millionen Euro auf 616 Millionen Euro verdoppelt.

Vertiefte Partnerschaft

Die ersten 35 Projekte in 17 europäischen Ländern werden bereits finanziert. Dazu gehören die Modernisierung von sechs Eisenbahnbrücken für schwere Züge in Deutschland auf dem Nord-Ostsee-Kanal oder die Anschaffung eines Mehrzweck-Eisbrechers mit Hybridantrieb für den Hafen von Riga. Da zu einer effektiven militärischen Mobilität aber auch eine vertiefte Zusammenarbeit mit Partnern wie der Ukraine oder der Republik Moldau gehört, ist eines der finanzierten Projekte der Bau einer neuen Brücke, die Rumänien und die Republik Moldau über den Fluss Prut verbindet.

Auch der bürokratische Aufwand, der den grenzüberschreitenden Transport behindert, soll mit dem Aktionsplan verringert werden. Wofür oft noch 30 Tage nötig sind, sollen künftig drei Tage reichen. Gemessen an den Herausforderungen, die die dafür benötigte Digitalisierung europäischer Verbringungsgenehmigungen bisher nehmen musste, ist das ein hehres Ziel. Bei der Umsetzung bedarf es konkreter Projekte mit realistischen Zielen und definierten Fristen.

Das Stichwort hierbei lautet: die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit der EU – kurz PESCO. Das in dessen Rahmen von den Niederlanden geleitete Projekt zur militärischen Mobilität zielt genau darauf ab, die grenzüberschreitende militärische Transportlogistik zu standardisieren, sei es auf der Schiene, der Straße, in der Luft oder auf See. Von den 60 Kooperationsprojekten der PESCO gehört das Programm zur militärischen Mobilität mit 24 EU-Mitgliedstaaten und bald vier Partnerstaaten insgesamt zu den beteiligungsreichsten Initiativen. Nachdem Kanada, die USA und Norwegen dem Projekt 2021 beigetreten sind, wird sich nun auch das Vereinigte Königreich anschließen.

EU finanziert digitales System

Die militärische Mobilität kann somit zu einem echten Flaggschiff der Zusammenarbeit zwischen EU und NATO werden. Es wäre in der Tat eine der Disziplinen, in denen sich die Kompetenzen der EU und NATO gegenseitig sinnvoll ergänzen. Während nämlich das Logistik-Komitee der NATO in der Lage ist, den Bedarf des Militärs für Transportmittel in ganz Europa zu planen und zu berechnen, verfügt die EU über das regulatorische Gewicht, um bürokratische Auflagen zu minimieren. Dazu wird von der EU nun ein digitales System finanziert, das einen schnellen und sicheren Informationsaustausch ermöglichen soll. Insgesamt steht dafür ein Budget von neun Millionen Euro zur Verfügung.

Militärische Mobilität ist kein Thema, das die Gesellschaft bewegt. Und dennoch ist es wichtig. Nur wenn Truppen und Gerät schnell verlegt werden können und einsatzbereit sind, haben sie abschreckende Wirkung auf potenzielle Gegner. Bürokratische Auflagen oder mangelnde Infrastruktur dürfen dem schnellen Einsatz der vorhandenen Streitkräfte im Notfall nicht zum Verhängnis werden.

Angesichts des russischen Angriffskriegs hat die NATO im Oktober 2022 deshalb klare Vorgaben formuliert. Demnach soll allein Deutschland im „new force model“ bis 2025 in der Lage sein, rund 30.000 Soldaten und 85 Flugzeuge und Schiffe in den ersten 30 Tagen eines Konflikts zu mobilisieren.

Während also die latente Dauerdebatte über die sogenannte EU Rapid Deployment Capacity – zu deutsch: die schnelle Eingreiftruppe der Europäischen Union – fortgeführt wird, sollte erst einmal sichergestellt sein, dass auch die nötige Transportinfrastruktur besteht, die die geplante 5000 Soldaten starke Einheit von einer Eingreiftruppe zu einer schnellen Eingreiftruppe befähigt. ­­


Der Autor

David McAllister (CDU) ist Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament.

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