Das Leid der Menschen in der Ukraine sehen wir jeden Tag – wenn wir uns der medialen Flut der Bilder aussetzen. Das macht auch mit uns etwas und verunsichert oder beängstigt. Foto: picture alliance/Wolfgang Schwan

17.04.2022
Franziska Kelch

Wie umgehen mit der Angst vor dem Krieg?

Die russische Invasion in die Ukraine hat einen Schock ausgelöst. Der hat nicht nur die Politik aufgeschreckt, er erschüttert auch viele Menschen in Deutschland und Europa. Dabei ist klar: Es sind zuallererst die Menschen in der Ukraine, die unter dem Krieg leiden. Aber auch mit uns macht dieser Krieg etwas. Und die Angst verschwindet nicht, wenn man sie kleinredet. Wie gehen wir also mit ihr um?

Ein Angriffskrieg in Europa? Eine Sache der Vergangenheit! Überhaupt : Krieg, der ist für viele Menschen lange so weit weg gewesen, dass man sich erfolgreich einreden konnte, das habe mit einem selbst wenig zu tun. Im Januar 2014, kurz vor der russischen Annexion der Krim, sahen laut einer Umfrage des Forsa-Instituts über die Hälfte der Befragten keinen Anlass dafür, einen Krieg in Europa zu befürchten. Kurz vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine in diesem Jahr kommt eine Studie des Think Tanks „European Council on Foreign Relations“ zu anderen Ergebnissen. 52 Prozent der deutschen Befragten sind der Ansicht, es werde in diesem Jahr zu einer russischen Invasion der Ukraine kommen. Kurze Zeit später wird die Befürchtung wahr. Der Krieg kommt uns wieder näher und damit auch die Angst. 69 Prozent der Deutschen fürchten sich laut einer Forsa-Umfrage von Anfang März davor, dass Deutschland und die NATO in den Konflikt hineingeraten. Und 59 Prozent befürchten nach einer Studie des Digitalverbandes Bitkom, dass sie indirekt betroffen sein könnten – über Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen etwa. Täglich erreichen uns neue Hiobsbotschaften aus der Ukraine. In den Nachrichten oder in den sozialen Netzwerken sehen wir Videos von Luftangriffen, zerstörten Gebäuden und fliehenden, verletzten oder toten Menschen. Auch wenn einzelne Bilder, Berichte und Zahlen nur schwer zu verifizieren sind : Ihrer Wirkung können wir uns schwer entziehen. Sie tragen den Krieg in unseren Alltag.

Es kann uns alle erwischen

Zunächst einmal ist es wichtig, die Angst ernst zu nehmen, eigene Unsicherheit nicht wegzuschieben und die anderer nicht kleinzureden. Denn es kann viele Gründe dafür geben, dass sie uns überkommt. In einigen Menschen rufen die Bilder aus der Ukraine eigene Kriegserinnerungen wach. Sei es, weil sie der Großelterngeneration angehören, weil sie selbst vor einem Krieg nach Deutschland geflüchtet sind oder weil sie Soldatinnen und Soldaten sind, die im Einsatz Kriegsgewalt erlebt haben. Auch Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen sind besonders anfällig. Aber Angst muss sich nicht aus eigenem Erleben speisen, um real zu sein. Gerade das Unbekannte verunsichert uns oft besonders stark, sagen Experten wie der Psychologieprofessor Jürgen Margraf. Und für viele Menschen in Deutschland ist der Krieg fremd – zum Glück. Umso größer können Ängste werden, wenn das Unbekannte nicht nur medial präsent ist, sondern uns plötzlich räumlich so nahekommt wie der Krieg in der Ukraine. Und, so der Professor für Behaviorale Psychotherapie, Jürgen Hoyer, wenn eine abstrakte Größe wie Freiheit oder Sicherheit bedroht ist, dann hat die Angst eine andere Qualität. Es gibt nicht den einen konkreten Moment der Gefahr, sondern sie ist unterschwellig immer da und erzeugt damit ein konstantes Stresslevel.

Alles nur im Kopf?

Angst oder Stress beginnen im Kopf. Das macht sie aber nicht zu bloßer Einbildung oder Spinnerei. Negative Gefühle drücken sich in körperlichen Reaktionen aus. Wenn wir Reize erleben, die das Gehirn als stressig oder beängstigend bewertet, dann reagiert die Amygdala, der Mandelkern. Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt. Der Körper schüttet Adrenalin und das Stresshormon Kortisol aus. Dadurch können Blutzucker und Fettwerte steigen. Wenn dieser Alarmmodus anhält, kann das für schlaflose Nächte sorgen. Andauernde Angst kann uns sogar krank machen.
 
Wie bekomme ich die Angst in den Griff?

In Zeiten, in denen wir Zugang zu Informationen und damit auch schlechten Nachrichten in unserer Hosentasche mit uns herumtragen, kann ein erster Schritt sein, den eigenen Medienkonsum zu begrenzen. Hören Sie auf mit dem „Doomscrolling“. Gemeint ist mit dem Begriff der exzessive Konsum schlechter Nachrichten im Netz. Der Psychiater Matthias Nagel rät dazu, genau zu hinterfragen, wie viel schlechte Nachrichten man erträgt. Gleichzeitig kann es helfen, sich bewusst zu machen, was im eigenen Leben positiv ist und nach guten Nachrichten zu suchen.

Aktiv zu werden sei wichtig, so Professor Hoyer. Dabei gibt es nicht den einen Tipp, der für alle funktioniert. Entscheidend sei, dass es sich bei der Aktivität um etwas handelt, das ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erfordert. Denn so lenken wir uns ab, ohne uns zu betäuben. Eine Beschäftigung, die einen hohen persönlichen Nutzen hat oder Sinn stiftet, hilft auch. So erlebt man sich selbst als handelndes Wesen, hat das Gefühl von Kontrolle. Laut dem Vorsitzenden des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sei es außerdem hilfreich, sich über Ängste mit anderen auszutauschen. Dabei geht nicht darum, anderen die Unsicherheit mit rationalen Argumenten scheinbar auszutreiben, sondern um das Teilen von negativen Emotionen, um nicht in Isolation zu geraten. Wenn die Angst nicht mehr in den Griff zu bekommen ist, sollte man jedoch ärztliche Unterstützung suchen – vom Hausarzt oder von speziellen Angst-Ambulanzen.

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