Die Fregatte "Schleswig-Holstein" beim Eskort eines Frachtschiffes vor der Küste Somalias: Deutschland ist auf den freien Handel über See angewiesen. Foto: Bundeswehr/Knoll

Die Fregatte "Schleswig-Holstein" beim Eskort eines Frachtschiffes vor der Küste Somalias: Deutschland ist auf den freien Handel über See angewiesen. Foto: Bundeswehr/Knoll

11.10.2021
Von Flottillenadmiral Ralf Kuchler

Zwischen humanitärer Hilfe und hochintensivem Seegefecht

Ist die Einsatzflottille 2 für die Herausforderungen der nahen Zukunft gut aufgestellt? Wie können die Aufgaben des internationalen Krisenmanagements und der Landes- und Bündnisverteidigung effizient erfüllt werden? Flottillenadmiral Ralf Kuchler, von Juni 2018 bis September 2021 Kommandeur der Flottille, widmet sich in seinem Gastbeitrag diesen und weiteren Fragen.

Revolutionäre Technologien, aufsteigende Mächte, hybride Akteure, Demografie, Pandemien und Klimawandel – Begriffe die unser derzeitiges sicherheitspolitisches Umfeld schlagwortartig umschreiben. In einer hochdigitalisierten und globalisierten Welt lässt sich die Liste möglicher Einflussfaktoren auf das sicherheitspolitische Umfeld stetig erweitern. Für Streitkräfte und insbesondere für die Marine bedeuten diese volatilen Rahmenbedingungen hohe Anforderungen an strategischer Ausrichtung und Planung.

Die Meere verbinden und trennen die Kontinente gleichermaßen. Deutschland als extrem vernetzte, global agierende Wirtschaftsmacht ist vital abhängig vom reibungslosen Handelsfluss über die Seewege. Eine der weltweit größten Handelsflotten, leistungsfähige Häfen und eine innovationsfreudige maritime Industrie prägen die deutsche Seewirtschaft. Gerade deshalb ist Deutschland auf den freien Handel über See angewiesen. Schon lange beschränken sich unsere maritimen Sicherheitsinteressen dabei nicht mehr nur auf den Bereich vor unserer Haustür, der Nord- und Ostsee, sondern auch auf Seegebiete im Südchinesischen Meer, im Indischen Ozean und im Nordatlantik.

Neben dem Aufgabenbereich des Internationalen Krisenmanagements (IKM) rückt auch die massive maritime Aufrüstung neuer und alter Herausforderer wie China oder Russland und damit die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) in den Fokus der sicherheitspolitischen Betrachtung. Für die Deutsche Marine gilt es, den Spagat zu schaffen, die Teilaufgaben LV/BV und IKM gleichrangig zu erfüllen, wobei der Maßstab allen Handelns immer die Ausrüstung und Ausbildung für das hochintensive Seegefecht in der LV/BV sein muss. Für die Führung eines klassischen Seegefechts stehen der Einsatzflottille 2 die vier Fregatten der „Brandenburg“-Klasse (F123) sowie drei Fregatten der „Sachsen“-Klasse (F124) zur Verfügung. Diese Fregatten können das gesamte Spektrum maritimer Operationen abbilden, vom mehrdimensionalen Seegefecht über Embargooperationen bis hin zur humanitären Hilfeleistung – F123 konzipiert für die Verteidigung gegen generische U-Boote und F124 als Luftverteidigungsfregatte zur Abwehr von Luftbedrohungen im Verband.

Die vier Fregatten der „Brandenburg“-Klasse werden nach einer jüngst gebilligten Nutzungsdauerverlängerung mittelfristig durch vier Fregatten der Klasse F126 ersetzt. Die erste Einheit der Klasse soll ab 2028 der Einsatzflottille 2 zur Verfügung stehen. Im Kern wird die F126, neben der Modernisierung von schiffbaulichen Anlagen und Führungsmitteln, durch moderne Sensoren sowie zwei Bordhubschrauber vom Typ „Sea Tiger“ (NH-90) im Schwerpunkt die Fähigkeit zum Kampf gegen gegnerische U-Boote besitzen und so die F123 ersetzen. Ebenso zeichnet sich bereits langfristig die Obsoleszenzbeseitigung der „Sachsen“-Klasse sowie die Neubeschaffung der F127-Klasse ab, um auch in Zukunft im Bereich der maritimen Luftverteidigung Aufträge effektiv umsetzen zu können.

Aber nicht nur die Kampfschiffe der Einsatzflottille 2 werden modernisiert. Eine Grundlage jeder maritimen Operation ist der Faktor Durchhaltefähigkeit. Dazu stehen der Einsatzflottille 2 neben den Einsatzgruppenversorgern die zwei Betriebsstofftransporter der „Rhön“-Klasse zur Verfügung. Diese seit 1977 von der Marine genutzten Schiffe entsprechen längst nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik. Auch diese Klasse wird ab 2024 durch zwei neue Betriebsstoffversorger der Klasse 707 ersetzt. Mit diesem Portfolio an Einheiten ist die Einsatzflottille 2 materiell gut aufgestellt zur Wahrnehmung zukünftiger Aufgaben im Zuge von LV/BV.

Bei Aufträgen des IKM steht die Einsatzflottille 2 vor der Herausforderung, die Einsatzreife der Fregatten der „Baden-Württemberg“-Klasse (F125) schnellstmöglich zu erreichen, um Aufgaben mittlerer Intensität wie EUNAVFOR MED Operation IRINI zu übernehmen. Dieser Schritt ist für die Einsatzflottille 2 entscheidend, weil erst dann Einheiten der Klassen F123 und F124 sich auf ihren Hauptauftrag, die Fähigkeit zum Kampf im Rahmen LV/BV, konzentrieren können. Im Sinne der Intensivnutzung ist dabei die Stationierung einer Einheit der F125-Klasse über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren im Operationsgebiet geplant. Das wird über neuartige Wartungszyklen des Materials und Austausch der Besatzungen erreicht.

Mit der Aufstellung der Mehrbesatzungen für die Fregatten F125 hat die Einsatzflottille 2 in den vergangenen Jahren Neuland betreten. Mit der Einführung einer derartigen Besatzungsstruktur ergeben sich für die Besatzungsangehörigen und die Truppenführung neuartige Herausforderungen. Die Soldaten sind nicht mehr fest einer Plattform zugehörig. Die Identifikation einer Besatzung mit der Plattform wird damit erschwert bis unmöglich. Neben Herausforderungen im allgemeinen Bordleben hat das auch Auswirkungen auf die Anlagenkenntnis. Auf älteren Bestandseinheiten kennen erfahrene Kameraden sprichwörtlich jede Schraube; ob das mit Mehrbesatzungsmodellen noch möglich ist, muss auf Basis der noch kurzen Erfahrungen zumindest bezweifelt werden. Tiefe Anlagenkenntnis, Instandsetzungsfähigkeiten unter Gefechtsbedingungen und das Vertrauen in das Waffensystem sind aber Voraussetzung, wenn eine Fregatte im hochintensiven Seegefecht bestehen soll. Deshalb wird das Mehrbesatzungsmodell für die Fregatten der Klassen F126 und F127 derzeit am Maßstab des mehrdimensionalen Gefechts hinterfragt. Das Mehrbesatzungskonzept eignet sich für Operationen niedriger und mittlerer Intensität zum Beispiel im IKM und damit für Plattformen wie F125.

Unabhängig davon, welches Besatzungsmodell wir in der Zukunft für die Schiffe wählen, steht am Anfang die Gewinnung von motivierten und leistungsfähigen Soldaten. Das bleibt Daueraufgabe für die Einsatzflottille 2. Bislang erlebten wir zu oft, dass bei jungen Kamerad/innen eine falsche Erwartungshaltung oder ein falsches Berufsbild bei der Einstellung vorlag und der Soldat den Dienstposten nicht oder nur kurz besetzt hat. Entscheidende Faktoren, wie die Lebensbedingungen auf einem Kampfschiff, die Aufgaben und lange Abwesenheiten dürfen einen jungen Soldaten nicht Jahre nach der Einstellung überraschen. Auf einem immer härter umkämpften Arbeitsmarkt können und dürfen wir uns das nicht mehr leisten. Deshalb müssen wir in Zukunft auch prüfen, ob die Verpflichtungsmodelle, mit denen wir Soldaten einstellen, auftragsgerecht sind. Die Festschreibung auf eine lange Dienstzeit in einer hoch spezialisierten Mangelverwendung verspricht nur statistisch eine Lösung in der Personalplanung. Es hilft der Flotte allerdings nichts, wenn der Soldat/die Soldatin relevante Systemlehrgänge nicht besteht, vom Realitätsschock an Bord erstarrt und den Dienstposten nicht adäquat wahrnehmen kann oder will. Dazu kann es helfen, die Festsetzung der Verpflichtungszeit an das Bestehen einzelner Lehrgangsabschnitte und Dienstzeiten an Bord zu knüpfen, ähnlich wie wir es bei den Offizieren des Truppendienstes schon seit Jahren praktizieren.

Kriegsschiffe zählen zu den komplexesten Waffensystemen in der Bundeswehr. Und da Menschen kämpfen und nicht Schiffe, ist die zielgerichtete und qualitativ hochwertige Ausbildung unserer Besatzungen unser Kernauftrag. Dabei stellt der Anteil der lehrgangsgebundenen Ausbildung den ersten Schritt dar. Der komplexe Anteil der Einsatzausbildung findet an Bord der Einheiten auf See statt. Dort gehen wir seit zwei Jahren neue Wege. Zuvor stand stets die Einsatzausbildung durch die Royal Navy, das German Operational Sea Training (GOST), an der Spitze der Ausbildung eines deutschen Kriegsschiffes. Durch Kapazitätsengpässe kann diese Ausbildungseinrichtung jedoch seit einiger Zeit nicht mehr in der geforderten Quantität von ausländischen Einheiten genutzt werden. Dementsprechend haben wir ein nationales Pendant, den GOST German Authority (GeA) unter Führung des Kommandeurs Einsatzausbildung und mehrdimensionale Kriegsführung in der Einsatzflottille 2 aufgebaut. So sind wir in der Lage, unsere Einheiten in der Nordsee und in den Gewässern vor der südenglischen Küste durch deutsche Marinesoldaten auf dem gleichen Niveau wie die Royal Navy auszubilden. Nachdem sich das Konzept im nationalen Rahmen bewährt hat, sollte langfristig die Öffnung der Ausbildungseinrichtung GOST GeA für internationale Partner erwogen werden.

In den vergangenen Jahren wurde der Kurs für die Einsatzflottille 2 der Zukunft gelegt. Nun gilt es, die gesetzten Ziele und initiierten Maßnahmen immer wieder angepasst an das sicherheitspolitische Umfeld kritisch zu hinterfragen und Projekte eng zu begleiten. Wir dürfen auf keinen Fall müde werden, erkannte Mängel oder Fähigkeitslücken aufzuzeigen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

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