Oberst André Wüstner beschrieb bei der Diskussionsrunde im Paul-Löbe-Haus die wichtige Arbeit der Enquete-Kommission zu Afghanistan. Foto: Screenshot

Oberst André Wüstner beschrieb bei der Diskussionsrunde im Paul-Löbe-Haus die wichtige Arbeit der Enquete-Kommission zu Afghanistan. Foto: Screenshot

17.11.2023
Von Yann Bombeke

Afghanistan: Es geht darum, die richtigen Lehren zu ziehen

Gefühlt ist er schon sehr lange her, der Afghanistan-Einsatz – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung ist er angesichts der aktuellen Krisen und Konflikte fast vollständig verschwunden. Und dennoch läuft die wichtige politische Aufarbeitung des Einsatzes weiter. In Berlin wurde jetzt über die ersten Ergebnisse des Untersuchungsausschusses diskutiert, der sich mit den Umständen des Abzugs im Sommer 2021 befasst. Oberst André Wüstner war für den Deutschen BundeswehrVerband dabei.

Berlin. Gleich zu Beginn der Paneldiskussion mit dem Schwerpunkt der Kontrolle der Auslandseinsätze mit den Völkerrechtsexperten Carolyn Moser vom Max-Planck-Institut und Christian Marxsen von der Humboldt Universität sowie dem Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München wies der Bundesvorsitzende darauf hin, welch große Bedeutung die Evaluation des Afghanistan-Einsatzes für den Deutschen BundeswehrVerband hat. „Es ist wichtig, dass man aufarbeitet, dass man prüft: Was ist gut, was ist weniger gut gelaufen und was will man nie wieder so machen“, sagte Oberst Wüstner, der auch als Sachverständiger in der Enquete-Kommission des Bundestages aktiv ist, die den gesamten Afghanistan-Einsatz im Fokus hat.

Diskurs ist nicht von Parteipolitik geprägt

Wüstner beschrieb die Arbeit in der Enquete-Kommission, die im Sommer 2022 eingesetzt wurde. „Ich finde es sehr gut, dass sich die Abgeordneten in der Enquete sehr kritisch mit sich selbst beschäftigen“, sagte Wüstner. Dabei würden die Parlamentarier auch hinterfragen, welche Art von Verantwortung man für die Parlamentsarmee oder für die Umsetzung eines Engagements trage. Als sehr positiv empfindet es Wüstner, dass der Diskurs bislang nicht von Parteipolitik geprägt sei und sehr konstruktiv an den unterschiedlichen Themenfeldern gearbeitet werde.

Schon nach der ersten Phase der Aufarbeitung sei klar, dass viel gelernt werden müsse. Der Bundesvorsitzende blickt da schon auf den nächsten Abschnitt: „Mit der Phase 2, die praktisch im neuen Jahr beginnt, versuchen wir das zu abstrahieren und nach vorn zu denken: Was ist für das vernetzte Agieren künftig wichtig, für den integrierten Ansatz – was sollte man daraus lernen?“

Wüstner zeigte sich zuversichtlich, dass die richtigen Lehren gezogen werden, auch, „weil wir sehr junge Damen und Herren Abgeordnete da haben, die jetzt schon viel mitgenommen haben und das auch schon mit einbringen – etwa in der Mali-Debatte“.

In der Enquete habe man schon festgestellt, dass der vernetzte Ansatz zwischen den unterschiedlichen Ressorts nur unzureichend funktioniert habe. Auch die Fortschrittsberichte, die im Laufe der Jahre des Einsatzes erstellt wurden und später aufgrund mangelnder Fortschritte nur noch Zwischenberichte genannt wurden, betrachtete Wüstner kritisch. Diese seien so formuliert worden, dass die Fortsetzung des Einsatzes auch Sinn machte. Mit Punkten wie Bildung oder Frauen- oder Menschenrechten habe man geworben, aber die Einschätzung des BND zur Sicherheitslage habe man nicht beschrieben – um die notwendige Zustimmung für die Fortsetzung des Einsatzes zu erhalten. besser nicht genannt. Die Frage ist für Wüstner: „Wie geht ein kritischer Abgeordneter damit um?“

Andere Nationen binden die Wissenschaft stärker ein

In der Diskussionsrunde wurde auch die Frage aufgeworfen, inwiefern externe Expertise, etwa aus dem Bereich der Wissenschaften, für die politische Bewertung laufender Einsätze hilfreich sei. Wüstner wies darauf hin, dass in anderen Nationen die Einbindung der Wissenschaft viel deutlicher ausgeprägt sei als in Deutschland, wobei auch in Deutschland viel Forschung betrieben werde, auch, aber nicht nur, an den Universitäten der Bundeswehr in München und Hamburg. Aber: „Andere Länder in Europa nutzen Wissenschaft viel mehr und auch die Evaluation viel mehr“, so Wüstner. Seitens des Parlaments – egal aus welcher Fraktion – sei immer wieder das Thema Evaluation aufgeworfen worden, „aber es wurde seitens der Bundesregierung nie aufgegriffen“.

Zudem empfahl Wüstner, bei künftigen Einsätzen und Missionen stärker auf die Bedürfnisse und Wünsche des Gastlandes einzugehen. Diese Diskrepanz sei in Afghanistan besonders beim Einsatz der Polizei mit Blick auf den Aufbau der Sicherheitskräfte deutlich geworden.

Der Völkerrechtsexperte Marxsen trug die Idee vor, vor der Entsendung eines Bundeswehrkontingents in den Einsatz auch das Bundesverfassungsgericht zu befragen – dem widersprachen sowohl Masala als auch Moser. Masala warnte vor einer Einschränkung der Handlungsfähigkeit des Parlaments, während Moser die Befürchtung äußerte, dass das Bundesverfassungsgericht dadurch zu einem politischen Akteur würde.

Ein Kernproblem: Die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts

Zuvor hatten in einem ersten Panel die Obleute der Fraktionen über die ersten vorläufigen Erkenntnisse des Afghanistan-Untersuchungsausschusses diskutiert. Dabei lobte die Grünen-Abgeordnete Sara Nanni auch die in diesem Gremium „gute Zusammenarbeit der demokratischen Fraktionen“, den unterschiedlichen Schwerpunkten zum Trotz. Auch im Untersuchungsausschuss kristallisierte sich heraus, dass die unzureichende Zusammenarbeit der verschiedenen Ressorts zu Problemen geführt haben. Für Ann-Veruschka Jurisch (FDP) hat das Ressortsystem verhindert, „gemeinsame Lagebilder zu erstellen und gemeinsam zu handeln“. Nanni hob hervor, dass die Ministerien vor allem über den Umgang mit den afghanischen Ortskräften unterschiedliche Positionen vertreten hätten, erst sehr spät, im August 2021, habe man sich einigen können. Nanni weiter: „In Sachen Ortskräfte ist alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte.“

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