Mehr Weitsicht: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) will Deutschland strategiefähiger machen. Wissenschaftler und Praktiker hatten einen Nationalen Sicherheitsrat im Kanzleramt lange gefordert, jetzt soll er endlich eingerichtet werden

Mehr Weitsicht: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) will Deutschland strategiefähiger machen. Wissenschaftler und Praktiker hatten einen Nationalen Sicherheitsrat im Kanzleramt lange gefordert, jetzt soll er endlich eingerichtet werden. Foto: picture alliance/dpa/Marcus Brandt

12.07.2025
Von Holger Janusch und Thomas Dörfler

Adaptiv oder abgehängt?

„Form folgt Funktion“ als Leitprinzip für den Nationalen Sicherheitsrat.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine offenbart eindrucksvoll, wie rasant technologische Innovationen die Lage verändern. Drohnen, aber auch andere Waffensysteme, werden günstiger, präziser und autonomer. Diese Entwicklungen leiten das Zeitalter der „battles of precise mass“ – dem massenhaften Einsatz von Präzisionswaffen durch alle Kriegsbeteiligten – ein. Aber nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch in anderen Bereichen wie Bedrohungen im Cyberraum und Angriffe auf kritische Infrastruktur ändert sich die Lage fortlaufend. Die Polarisierung von Gesellschaft und Politik erhöht die Volatilität in der Außenpolitik vieler Staaten, insbesondere Deutschlands Verbündeter. All dies bedingt einen steten Bedarf an Anpassung von Deutschlands Sicherheitsstrategie.

Die erste Nationale Sicherheitsstrategie wird dieser sich rapide ändernden strategischen Situation bisher nicht gerecht. Der Grund hierfür könnte in dem grundlegenden Verständnis von Strategie zu finden sein. Nach gängiger Definition beschreibt eine Strategie, auf welche Art Mittel eingesetzt werden, um Ziele effizient zu erreichen. Verkürzt steht hierfür die Formel: „ends + ways + means = strategy“. Dabei wird jedoch vernachlässigt, dass eine effektive Strategie eine „theory of success“ braucht. Hiermit ist eine Ursache-Wirkung-Beziehung gemeint, wie ein Akteur seine Ziele unter Einsatz von Mitteln ohne übermäßige Kosten und Risiken erreichen kann. Das Verständnis von Strategie als „theory of success“ zwingt dazu, kreativ über Wege zum Erfolg nachzudenken, aber gleichzeitig die zugrunde liegende Argumentation gut zu begründen. Die Nationale Sicherheitsstrategie lässt dagegen eine klare „theory of success“ vermissen, sie ist eher eine Liste von Zielen und Mitteln.

Eine Strategie ist kein starrer Plan

Eine Strategie basiert im Kern auf zahlreichen Annahmen und Hypothesen über die Zukunft. Annahmen betreffen zum Beispiel die Intentionen von Akteuren. Hypothesen beschreiben eine Kausalität über die Ursachen von Bedrohungen oder die Wirksamkeit von Mitteln. Die aktuelle Sicherheitsstrategie Deutschlands basiert zum Beispiel auf der Annahme der Bündnistreue der Vereinigten Staaten innerhalb der NATO und der Hypothese, dass militärische Aufrüstung eine abschreckende Wirkung auf die russische Führung hat. Allerdings können diese in der Wirklichkeit falsch sein, wie die Infragestellung der Bündnistreue durch die Trump-Administration eindrücklich zeigt.

Eine Strategie sollte daher nicht mit einem starren Plan verwechselt werden. Ein Plan beschreibt einen Prozess mit Handlungsschritten, die vorgeben, wer wann was macht. Eine Strategie basiert hingegen auf einer Logik, die Wahloptionen gibt. Anpassung, wie eingangs veranschaulicht, sollte somit nicht nur als verteidigungspolitisches Ziel in der Sicherheitsstrategie festgelegt werden, sondern die Strategie selbst sollte adaptiv sein und auf die sich rasch ändernde strategische Situation reagieren. Eine Strategie ist kein Dokument, das alle paar Jahre neu verfasst wird, sondern ein dauerhafter Prozess, in dem sich Strategieentwicklung und -umsetzung gegenseitig bedingen.

Politische Führung muss offen für neue Ideen sein

Für die Gestaltung eines Nationalen Sicherheitsrates empfiehlt sich deshalb ein strategisches Bauhaus, getreu dem Prinzip: Form folgt Funktion. Eine zentrale Funktion ist eine lernfähige Strategieentwicklung, ergänzt durch ein paralleles Monitoring der Umsetzung und eine regelmäßige Anpassung der zugrunde liegenden „theory of success“. Hierfür bedarf es eines Personalstabs, der nicht nur über analytische Perspektiven, technische Expertise und kritisches Denken verfügt, sondern auch über die notwendigen Informationszugänge und Technologien, um datenbasiert und zeitnah auf strategische Veränderungen zu reagieren. Damit diese Sicherheitsarchitektur wirksam sein kann, bedarf es jedoch vor allem einer lernwilligen politischen Führung, die bereit sein muss, ihre eigenen Weltbilder und Denkweisen kritisch zu hinterfragen und offen für neue Ideen zu sein. Ohne dies wird auch ein adaptiver, innovativer Nationaler Sicherheitsrat nicht das Versprechen notwendiger Veränderungen im strategischen Denken deutscher Sicherheitspolitik einlösen können.

Prof. Dr. Holger Janusch ist Professor für Internationale Politik mit dem Schwerpunkt Außen- und Sicherheitspolitik der USA am Fachbereich Nachrichtendienste der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung.

Prof. Dr. Thomas Dörfler ist Juniorprofessor für Internationale Politik mit dem Schwerpunkt russische Außen- und Sicherheitspolitik am Fachbereich Nachrichtendienste. Der Fachbereich bietet den praxisnahen Studiengang „Master of Intelligence and Security Studies“ (MISS) für zukünftige Mitarbeiter der Nachrichtendienste des Bundes und der Bundeswehr an. Die Autoren des Beitrags sind Herausgeber des Sonderbandes „Integrierte Sicherheit für Deutschland? Die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik Deutschland“ der Zeitschrift für Politik. Der Sonderband wurde vom Bildungswerk des DBwV gefördert.

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