Im Sparbuch stehen jetzt beispielsweise vier von zwölf geplanten Seefernaufklärern P-8-A Poseidon Graik: Boeing

Im Sparbuch stehen jetzt beispielsweise vier von zwölf geplanten Seefernaufklärern P-8-A Poseidon Graik: Boeing

02.11.2022
Von Frank Jungbluth

BMVg informiert über Rüstungsprojekte, die nicht mehr ins Sondervermögen passen

Berlin. Als bevölkerungsreichste Nation mit der größten Wirtschaftskraft und Land in der Mitte des Kontinents müsse unsere Armee zum Grundpfeiler der konventionellen Verteidigung in Europa werden, versprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der Bundeswehrtagung. Die Bundeswehr solle „zur am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa“ werden. Deutschland, so SPD-Chef Lars Klingbeil in seiner Zeitenwende-Rede, müsse „den Anspruch einer Führungsmacht haben.“ Finanzminister Christian Lindner (FDP) erklärte Ende April zur Einführung des Sondervermögens: Wir müssten erkennen, „dass die Bundeswehr nicht in dem Zustand ist, in dem sie sein muss“.

Doch bevor auch nur ein Waffensystem oder ein Kampfstiefel aus den Mitteln des Sondervermögens Bundeswehr beschafft ist, macht sich die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP daran, die Projekte zusammenzustreichen, die aus dem mit 100 Milliarden Euro gefüllten Extratopf bezahlt werden sollten. Im Sparbuch stehen jetzt beispielsweise vier von zwölf geplanten Seefernaufklärern P-8-A Poseidon. Für fünf der U-Bootjäger aus der Luft gibt es bereits Verträge, schreibt die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerin, Siemtje Möller (SPD), in einem Papier an die Obleute der Fraktionen im Haushaltsausschuss. Acht habe man der NATO zugesagt, die Marine hat allerdings einen Bedarf von zwölf Maschinen des Typs angemeldet.

Ähnlich ist es mit der Ersatzbeschaffung für die gut 1000 Transportpanzern „Fuchs“, die ihre besten Jahre lange hinter sich haben.  Die Konstruktion stammt aus den 1960er Jahren, in die Truppe wurde der TPz in den 1970er Jahren eingeführt. Ersatz für die Dinos aus Panzerstahl wird vom Heer lange gefordert, es soll der Transportpanzer Neue Generation (TPz NG) sein. Aber jetzt scheint klar, dass von den neuen Radpanzern erst einmal keiner finanziert werden kann. Das BMVg will stattdessen zuerst einen schweren Waffenträger für die Infanterie beschaffen und die Schützenpanzer vom Typ „Puma“ in ihrem Rüststand angleichen.  Dazu zählt vor allem, die Ausstattung mit Digitalmodulen für den Einsatz mit den Verbündeten in der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), denn die sind technisch besser ausgerüstet – die meisten „Puma“, das ist zum Beispiel bei der NATO Battlegroup in Litauen zu besichtigen, sind nicht geeignet für den Einsatz im digitalen vernetzten Gefechtsfeld.

Statt der neuen Generation des „Fuchs“ könnte auch das finnische Waffensystem „Patria“ beschafft werden. Es ist marktverfügbar und beim Heer hat man sich offenbar entschieden, den Finnen-Panzer 2023 zu testen. Dazu passt, dass Deutschland im Sonner eine Absichtserklärung zum Beitritt zum finnisch geführten CAVS-Programm für ein neues 6X6-Transportfahrzeug unterzeichnet hat. CAVS steht für Common Armoured Vehicle System. Wie der finnische Rüstungskonzern Patria mitgeteilt hat, soll die offizielle Beitrittsvereinbarung noch vor Jahresende geschlossen werden. Deutschland werde das fünfte Land sein, das sich an der ersten Stufe der multinationalen Zusammenarbeit beteilige. Finnland, Lettland und Estland nehmen seit 2019 an dem Programm teil, Schweden seit 2021.

An diesen Beispielen zeigt sich, wie schnell das zwar gigantisch erscheinenden aber gleichzeitig viel zu knapp kalkulierte Sondervermögen an seine Grenzen gelangt. Die Hoffnung ruht nun auf einem stetig steigenden Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14), der – so hat es Bundeskanzler Olaf Scholz zuletzt auf dem Truppenübungsplatz Bergen versprochen – mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) betragen soll. Genau das hat Oberst André Wüstner, DBwV-Bundesvorsitzender, angesichts des Zustands der Truppe und des russischen Überfalls auf die Ukraine immer wieder gefordert. Das BIP betrug 2021 3,6 Billionen Euro. Demnach hätte der Verteidigungshaushalt seinerzeit 71,2 Milliarden Euro betragen müssen, so haben es die NATO-Mitgliedsstaaten vereinbart. Tatsächlich hat Deutschland aber 2021 nur 46,9 Milliarden Euro im Einzelplan 14 aufgebracht.

Scholz‘ Versprechen bekommt noch mehr Gewicht, wenn man bedenkt, dass auch die Zahl der neuen Einheiten der Korvette K130 reduziert werden soll, wie das BMVg ankündigt. Zehn Korvetten sollten es werden, jetzt will man streichen respektive verschieben. „Die Reduzierung des 3. Loses liegt folglich in der verzögerten Auslieferung des 2. Loses und des gesteigerten Finanzbedarfs für das 3. Los sowie mögliche Fähigkeitsbeiträge Finnlands und Schwedens begründet. Derzeit wird darüber hinaus eine Finanzierungsmöglichkeit aus dem Einzelplan 14 geprüft.“

Einer Führungsmacht unwürdig, will sich Deutschland also auf zwei Staaten abstützen, die eigentlich den Schutz der NATO suchen – und nicht umgekehrt. Was das überfällige Anwachsen des Einzelplans 14 betrifft, müssen sich alle Koalitionsfraktionen bewegen, wenn sie ihren Kanzler nicht beschädigen wollen – und vor allem die Sicherheit des ganzen Kontinents nicht wieder riskieren wollen. SPD und Grüne müssen über ihren friedensbewegten Schatten springen. Und die FDP muss begreifen, dass ein ausgeglichener Aushalt, Russland nicht von einem Angriff auf das Bündnisgebiet abschreckt. Immerhin: Sparpotential gibt es an anderer Stelle genug.

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