Einflottenlösung: Der NH90 löst in zwei Versionen die Veteranen "Sea King" und "Sea Lynx" ab. Foto: Marineflieger

17.10.2021
von Korvettenkapitän Alexander Bodzog

Das Material kommt – der Mensch muss Schritt halten

Für die Marineflieger der Zukunft sind nicht nur fliegende Waffensysteme auf der Höhe der Zeit von Bedeutung. Die Ausbildung des technischen und fliegenden Personals muss auch bereits Jahre vor der Indienststellung geplant und zum Teil bereits durchgeführt werden.

Die Trendwenden und Reformen der vergangenen Jahre haben dafür gesorgt, dass die Streitkräfte nicht weiter schrumpfen und von den radikalen Sparkursen abgewichen wird.

Für sämtliche fliegende Waffensysteme der Marineflieger sind Nachfolgemuster bestimmt und befinden sich teilweise schon in der Einführung und im Anfangsflugbetrieb. Der seit Anfang der 1970er Jahre im Such- und Rettungsdienst eingesetzte Hubschrauber Mk41 „Sea King“ sowie der Bordhubschrauber Mk88A „Sea Lynx“ werden durch zwei Versionen des NH90 ersetzt – die angestrebte Einflottenlösung. Der Seefernaufklärer P-3C „Orion“ wird nun interimsmäßig durch die strahlgetriebene P-8A „Poseidon“ ersetzt, bis 2035 der endgültige europäische Nachfolger „Maritime Airborne Warfare System“ (MAWS) erwartet wird. Hinzu kommen unbemannte Luftfahrzeuge wie die Drohne Skeldar V-200 „Sea Falcon“ als Aufklärungsgerät für Korvetten. Und dies alles geschieht mehr oder weniger gleichzeitig. „Die Marineflieger tauschen einmal ihr Gerät komplett durch“, wie Fregattenkapitän Marco Thiele einst in dieser Publikation bemerkte. Bei dem einen oder anderen könnten Erinnerungen an die 70er Jahre wach werden.

Das Material kommt also – der Mensch muss Schritt halten. Die Waffensysteme müssen von Menschen gewartet, instandgesetzt und operativ eingesetzt werden. Dafür muss im Vorfeld bereits die Infrastruktur, die Logistik und die Ausbildung des Personals gesichert sein. Um Fähigkeitsverluste zu vermeiden, muss der Mensch somit genau genommen nicht nur Schritt halten, sondern dem Prozess immer einen Schritt voraus sein – vor allem im Bereich der Ausbildung. Die notwendigen Strukturen und Kooperationen für die Ausbildung des technischen und fliegenden Personals müssen bereits Jahre vor der tatsächlichen Indienststellung konzipiert, mit allen Beteiligten abgestimmt und bei einem Teil des Personals die Ausbildung auch schon durchgeführt sein – der Erfolg dieser konzeptionellen Ideen basiert auf Erfahrungswerten, Kreativität und akribischer Zielorientierung und ist erst Jahre nach der Indienststellung messbar.

Zunächst gilt es zwischen zwei grundsätzlichen Arten der Ausbildung auf neue Waffensysteme zu unterscheiden: Der Umschulung des Bestandpersonals und der Regenerationsausbildung neuen Personals. Gerade bei der Umschulung muss es individuell passende Lösungen für alle Erfahrungsstufen geben, um am Ende der verschiedenen Ausbildungsstränge vergleich- und messbare Wissens- und Fähigkeitsstände untereinander sowie zur Regenerationsausbildung gewährleisten zu können. Wenn zudem und unter Beachtung der gesetzten Zeitlinien die grundlegenden Ansätze und der Aufbau der Ausbildung reformiert werden, wird das Ausmaß der Aufgabe Ausbildung hinreichend komplex. Das ist sowohl in der technischen als auch in der fliegerischen Ausbildung der Fall.

Im Bereich der technischen Ausbildung verspricht sich der Dienstherr durch die Umstellung auf den international genutzten Reglungsraum DEMAR einen geringeren Personalbedarf im Zielbetrieb aufgrund der breiteren Qualifikation des Einzelnen, sowie eine deutlich erhöhte Flexibilität beim Einsatz des Personals aufgrund der musterübergreifend standardisierten Verfahren. Hierbei wird man sich jedoch wesentlich mehr als bisher auf die zivile Industrie abstützen müssen. Für den einzelnen Luftfahrzeugtechniker bedeutet dies mehr Inhalt erlernen zu müssen, dafür aber eine international und zivil anerkannte Qualifikation vorweisen zu können.

Auch in den Reihen des fliegenden Personals muss die Renovierung der Ausbildung dazu genutzt werden, die jeweiligen Ausbildungsgänge zukunftsfähig zu gestalten und für die maximale Ausnutzung vorhandener Ressourcen anzupassen. Im Fokus bei den Hubschraubern steht hierbei die Maximierung der Synergieeffekte der sogenannten Einflottenlösung – so der eingeführte Begriff für die Beschaffung eines einzigen Basismusters, dem NH90, für die beiden abgelösten Veteranen „Sea King“ und „Sea Lynx“ mit ihren grundlegend unterschiedlichen Einsatzgebieten.

Mangels eigener Ressourcen ist es hierbei unumgänglich, Kompetenzen an zivile Unternehmen abzugeben und beispielsweise einen großen Teil der Ausbildung zukünftiger Hubschrauberführer und Hubschrauberbordmeister im Rahmen „umfassender Dienstleistungen“ zivilen Unternehmen zu überlassen. Dieser Teil der Marinefliegerausbildung – das Basic Flight Training – soll auf einem noch zu beschaffenden Schulungshubschrauber als Übergang zwischen der elementaren Hubschrauberführergrundausbildung (Elementary Flight Training) und der hoch komplexen Einsatzausbildung (Advanced Flight Training) auf dem Einsatzmuster NH90 neu eingefügt werden. Dies resultiert aus der zunehmenden Komplexität moderner Waffensysteme und hat das Ziel, einen fließenderen Lernprozess als bisher zu gewährleisten, welcher durch die geringere Komplexität des Schulungshubschraubers und der daraus resultierenden abgeflachten Lernkurve für eine geringere Durchfallquote sorgen soll.

Durch diesen Zwischenschritt sollen aber auch die Ausbildungskosten und der Personalbedarf erheblich reduziert und die Verfügbarkeit des Einsatzmusters erhöht werden. Also mehr Output unter gleichzeitiger Einsparung von Flugstunden auf einem komplexen und damit vergleichsweise extrem kostspieligen Waffensystem. Hinzu kommt ein weiterer Synergieeffekt: Entsprechend dieses neuen, modularen Ausbildungskonzepts wird das gemeinsame Basic Flight Training der fliegenden Besatzungen beider NH90-Versionen es ermöglichen, eine spätere Interoperabilität des Personals für die geplanten flexiblen Besatzungskonzepte sicherzustellen.

Große Herausforderung hierbei sind die Zeitlinien: Der NH90 „Sea Lion“ ist bereits in Dienst gestellt und die entsprechenden Ausbildungsgänge laufen teilweise schon. Mit Zulauf des „Sea Tiger“ in 2025 erhöht sich der Ausbildungsbedarf erheblich, so dass der hierfür notwendige Schulungshubschrauber zwingend in 2024 verfügbar sein muss, da die zur Ausbildung notwendigen Flugstunden auf dem Einsatzmuster nicht in hinreichendem Maße zur Verfügung gestellt werden können.

Eine kleine Entlastung der Fluggeräte kann hierbei die angestrebte breite digitale Ausbildungslandschaft schaffen. Sowohl in der technischen als auch in der fliegerischen Ausbildung wird ein deutlicher Shift hin zu digitalen Ausbildungsmedien in Form von mobilen Endgeräten, Virtual- und Augmented-Reality-Lösungen, computergestützten Missionstrainern und State-of-the-Art-Simulatoren vollzogen. Ein konsequenter, aber auch notwendiger und überfälliger Schritt in Zeiten hochkomplexer Luftfahrzeuge, bei denen Fluggerätemechaniker und Besatzungen eher die Rollen von Systemüberwachern und Missionsmanagern einnehmen. Bei weitem wurden noch nicht alle Facetten der zukünftigen Möglichkeiten mit dem modernisierten Flugpark vollumfänglich erfasst und alle Möglichkeiten der Digitalisierung in der Ausbildung betrachtet. Operative Szenarien beispielsweise, bei denen der Einsatz von bemannten und unbemannten Waffensystemen kombiniert werden können (Manned-Unmanned-Teaming), sind zwar perspektivisch vorgesehen, bisher jedoch noch nicht mit entsprechenden Ausbildungskonzepten und -modulen ausgeplant. Hierzu wird die aktuell laufende Einsatzprüfung des NH90 noch viele Denkanstöße und Impulse liefern.

Die bestimmende Herausforderung in der Ausbildung bleibt: Jahre im Voraus das zu erkennen, wofür die Menschen gestern hätten vorbereitet sein müssen.

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