Mitte März fand die Auftaktveranstaltung zur Entwicklung einer Nationalen Sicherheitsstrategie mit Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) in Berlin statt. Foto: picture alliance/photothek/Thomas Trutschel

14.11.2022
Von Frederik Koch

Der Tiger ist gesprungen, doch wie wird er landen?

Was hat es auf sich mit der Nationalen Sicherheitsstrategie? Diese Frage ist spannend, aber auch sehr komplex – und deshalb nicht leicht zu beantworten.

Nahezu alle Interessierten, die sich mit Sicherheitspolitik beschäftigen, haben sich gespannt diese eine Frage gestellt als es im Koalitionsvertrag hieß, es werde eine Nationale Sicherheitsstrategie geben: Ob es denn nun vorbei sei mit der fragmentierten, ressortgeleiteten Ausprägung des Themenfeldes? Wenn es um die Zukunft der deutschen Sicherheitspolitik geht, mischen das Kanzleramt und mehrere Ministerien mit, da wäre eine gemeinsame Strategie mehr als willkommen. Nun verschwindet die Ressortlogik nicht so einfach von einem Tag auf den nächsten und auch eine Strategie mit Tiefgang schreibt sich nicht von selbst. Also wurde aus dem Versprechen des Koalitionsvertrags, erstmalig eine einheitliche Nationale Sicherheitsstrategie zu erarbeiten, in der Umsetzung ein einjähriger Entwicklungsprozess gestartet – unter der Federführung des Auswärtigen Amtes. Herauskommen soll ein sogenanntes Dachdokument, unter dem sich weitere, vermutlich wiederum ressorteigene, Strategien ableiten lassen.

Wer könnte mehr Verständnis für ein „Dachdokument” haben als die Bundeswehr mit der „Mutter aller Dachdokumente“, nämlich das „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und der Zukunft der Bundeswehr“ der Bundesregierung in seiner elften Ausgabe von 2016. Jenes bleibt demnach auch weiterhin bestehen und wird dann sozusagen ein „Vordachdokument“. Ebenfalls dürften sich die Inhalte zur Bundeswehr und zur Verteidigungspolitik in der Nationalen Sicherheitsstrategie sehr denen des Weißbuches ähneln – damals noch unerwartbare Entwicklungen natürlich ausgenommen. So wird der vom Bundeskanzler ausgerufenen und tatsächlich so empfundenen Zeitenwende nun auch schriftlich-strategisch begegnet.

Was ist bisher passiert und wie wird es nun weitergehen?

Bereits im Frühjahr und Sommer gab es zahlreiche Dialogveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet, also auch weit abseits von Berlin-Mitte, wo die bekannten Experten, Emeritierten und Elder Statesmen häufiger aufeinandertreffen. Nur kurz unterbrochen durch ein Szenarien-Planspiel, hat der Dialogprozess in einem Treffen mit der Außenministerin in Erfurt seinen Abschluss gefunden. Parallel dazu hat Annalena Baerbock eine eigens einberufene Deutschlandreise unternommen, um die Ideen der Menschen von Rostock bis München ihrerseits proaktiv aufzunehmen. Doch natürlich durften auch die Expertinnen und Experten selbst in der Dialogphase nicht fehlen. Sie kamen in mehreren Fachworkshops ausführlich zu Wort.

Derzeit und noch bis Anfang 2023 haben nun die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes die Aufgabe, die Ideen der Bürgerinnen und Bürger aufzuarbeiten und gemeinsam mit den eigenen Vorgaben zu verschriftlichen. Dann wird sich auch zeigen, welche Ergebnisse das Außenministerium zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen Häuser ausgearbeitet hat. Die Verteidigungsministerin und der Generalinspekteur der Bundeswehr haben unter anderem eine eigene Veranstaltung mit entsprechender Öffentlichkeitswirkung am 13. September 2022 durchgeführt. Wir berichteten darüber in der vorherigen Ausgabe. Im Anschluss an die Schreibphase soll es in die Umsetzungsphase gehen. Hier wird es auch für den DBwV spannend, weil der notwendige Bedarf mit konkreten Maßnahmen angegangen werden soll. Diese sollen vom Stellen einzelner Stellschrauben bei den Prozessen der Ministerien bis hin zu Vorschlägen ganzer Gesetzesvorhaben reichen.

Worauf kommt es dem DBwV an?

„Strategie, Substantiv, feminin [die]: Genauer Plan für ein Verhalten, der dazu dient, ein (militärisches, politisches, psychologisches o. ä.) Ziel zu erreichen, und in dem man alle Faktoren von vornherein einzukalkulieren versucht.“

Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte es im Sinne dieser Definition ermöglichen, möglichst unabhängig von kurzfristigen politischen, administrativen, gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Verhältnissen eine einheitliche Idee von deutscher Sicherheitspolitik zu entwickeln, nach dieser dann auch zu handeln und Zwischenschritte zu bewerten. Es gab bisher mehrere Beispiele, in denen eine fehlende oder unzureichende sicherheitspolitische Strategie dazu geführt hat, dass ein solches Manko auf der taktischen oder sogar operativen Ebene im Einsatz selbst ausgeglichen werden musste. Das betrifft nicht nur die Bundeswehr, sondern auch zivile Akteure. Letztere sogar umso mehr, da ihnen nicht im gleichen Maße die organisatorischen und strukturellen Gegebenheiten von Streitkräften zur Verfügung stehen.

Umso spannender wird es nun, wenn es in der Nationalen Sicherheitsstrategie darauf ankommt, alle Akteure mitzudenken und all ihre Interessen sowie Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn nur so kann der immer wieder von der Politik geäußerte Wunsch des Vernetzten Ansatzes gelingen. Anders als mancher außerhalb der sicherheitspolitischen Community vermuten mag, ist das auch für den Erfolg der Landes- und Bündnisverteidigung durchaus relevant: Denn das, was gemeinhin als gesamtgesellschaftliche Resilienz bezeichnet wird, ist letztlich nichts anderes als ein vernetzter Ansatz auf nationaler Ebene. Außerdem sollten auch die bisherigen Einsätze nicht vernachlässigt werden, denn die Fähigkeiten der Bundeswehr werden nicht mehr ohne „360-Grad-Ansatz“ betrachtet werden können.

Die mediale Aufmerksamkeit des Dialogprozesses wiederum ist mehr als ein „Nice-to-have“, gerade um die Menschen mitzunehmen und sicherheitspolitische Zusammenhänge öffentlichkeitswirksam zu verhandeln. Auch der DBwV versucht hier zusammen mit seinem Bildungswerk, über den eigentlichen Auftrag hinaus zu unterstützen und das Thema voranzubringen. Aber am Ende zählt natürlich vor allem das Ergebnis und an dem wird sich die Bundesregierung messen lassen müssen. Hoffentlich macht sich das auch im zukünftigen Handeln aller Bundespolitiker, über Partei-, Fraktions- und Ressortgrenzen hinaus, bemerkbar.

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