Bei einem Übergabeappell übernahm Generalstabsarzt Dr. Gesine Krüger 2016 das Kommando über die Sanitätsakademie der Bundeswehr in München. Foto: Bundeswehr/Langer

Generalstabsarzt Dr. Gesine Krüger übernahm 2016 das Kommando über die Sanitätsakademie der Bundeswehr in München. Foto: Bundeswehr/Langer

30.01.2021
Gunnar Kruse

Generalstabsarzt Dr. Gesine Krüger im DBwV-Interview: „Es gab Vorbehalte, aber die Frauen haben mit ihren Leistungen überzeugt”

Generalstabsarzt Dr. Gesine Krüger ist Kommandeurin der Sanitätsakademie der Bundeswehr München und die dienstgradhöchste deutsche Soldatin. Sie ist 1987 in den Dienst in der Truppe eingetreten. Wie es um die Integration von Frauen in den Streitkräften steht und was sie von einer Frauenquote bei der Bundeswehr hält, erklärt die 61-Jährige im Interview mit unserer Redaktion.

Warum haben Sie sich nach dem Studium für einen Eintritt in die Bundeswehr entschieden?

Dr. Gesine Krüger:Nun, schon während meiner Schulzeit wusste ich, dass ich Medizin studieren und Chirurgin werden wollte. Während meines Studiums von 1980 bis 1986 an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn finanzierte ich meinen Lebensunterhalt teilweise durch Nachtdienste auf chirurgischen und internistischen Krankenhausstationen und in einer notfallmedizinischen Ambulanz. In dieser Zeit festigte sich mein Berufswunsch, Chirurgin zu werden. Trotz circa 60 Bewerbungen hatte ich jedoch in diesem Fachgebiet, einer absoluten „Männerdomäne“, keine Aussicht auf eine chirurgische Assistenzarztstelle. Da mein Vater Apotheker bei der Bundeswehr war, wusste ich, dass Frauen mit abgeschlossenem Studium in allen medizinischen Approbationen im Sanitätsdienst der Bundeswehr als Seiteneinsteigerinnen eine Perspektive geboten wurde. Hintergrund war der Mangel an Ärzten in der Bundeswehr. Doch das wollte gut überlegt sein. Der Beruf als Sanitätsoffizier bedeutet nämlich eine doppelte Berufung: Arzt und Offizier sein, rund um die Uhr. Für den Arztberuf war das für mich unstrittig, für den Soldatenberuf aber eine neue Dimension: die Bereitschaft, 24 Stunden in und außerhalb des Dienstes Soldat und Offizier zu sein, mit allen Rechten, aber auch Pflichten.

Haben Sie zu diesem Zeitpunkt darüber nachgedacht, dass der Dienst an der Waffe für Frauen noch nicht möglich war beziehungsweise hätten Sie gern Dienst an der Waffe geleistet?

Diese Frage hat sich mir nicht gestellt, da Sanitätspersonal gemäß dem humanitären Völkerrecht Nichtkombattanten sind, also Angehörige der Streitkräfte ohne Kampfauftrag. Ungeachtet dessen wird auch Sanitätspersonal an Waffen ausgebildet, um das Leben der anvertrauten Patienten (Nothilfe) und das eigene Leben (Notwehr) verteidigen und schützen zu können.

Stellte sich damals diese Frage Ihren Kameradinnen oder war das Ende der 80er Jahre noch kein Thema?
 
Die Frauen, die mit mir in die Bundeswehr eintraten, waren alle approbierte Ärztinnen und Zahnärztinnen, die die Möglichkeit in der Bundeswehr Dienst zu tun, ergriffen hatten; somit war das also kein Thema. Frauen, denen der Dienst an der Waffe verwehrt wurde, kenne ich nicht. Ich kann mich jedoch erinnern, mit der einen oder anderen Frau gesprochen zu haben, die sich durchaus eine Laufbahn bei der Bundeswehr außerhalb des Sanitätsdienstes hätte vorstellen können, zum Beispiel in der Logistik oder als Pilotin. Diese Möglichkeit gab es jedoch damals noch nicht.
 
Was halten Sie prinzipiell von der Öffnung aller Laufbahngruppen für Frauen?

Ich fand die Entscheidung gut und richtig, ganz im Sinne einer Gleichbehandlung, Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit von Mann und Frau.

Zum Dienst als Sanitätsoffizier gehört auch die Grundausbildung an der Waffe. Wie war das damals bei Ihnen und welche Erinnerungen verbinden Sie damit?

Als Seiteneinsteigerin habe ich leider keine Allgemeine Grundausbildung von drei Monaten durchlaufen, sondern nur einen vierwöchigen sogenannten Seiteneinsteigerlehrgang absolviert, in dem in aller Kürze Verhaltenssicherheit in dem neuen Berufsumfeld „Bundeswehr“ möglichst schnell erlangt werden musste. Für die Schießausbildung blieb da nicht viel Zeit. Erst als ich in der Truppe war, hatte ich Gelegenheit an der Schießausbildung teilzunehmen, die mir übrigen immer sehr viel Spaß gemacht hat, da ich schon als Teenager gerne mal mit dem Luftgewehr meines Bruders Schießübungen gemacht habe.

Als Sie in die Bundeswehr eintraten, wurden Frauen erst seit zwölf Jahren in den Sanitätsdienst eingestellt. Wie war 1987 die Situation?

1987 hatte die Bundeswehr 482.000 Soldaten, davon circa 400 Frauen. Wir waren immerhin acht Frauen von 24 Seiteneinsteigern, approbierte Ärzte, Zahnärzte und Apotheker. Die Männer waren überwiegend Wehrdienstleistende, die Frauen traten als Zeitsoldatinnen in die Bundeswehr ein. Somit war es natürlich ein Thema. Die Herausforderungen der ersten Tage bei der Bundeswehr war unter anderem die Einkleidung mit Feld- und Dienstanzug, die sich für uns Frauen nicht so einfach gestaltete, da nicht die richtigen Größen vorrätig waren. Außerdem unterschied sich unser Dienstanzug von den Uniformen der Männer. Die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine haben alle eine eigene Uniformfarbe. Die Frauen wurden jedoch unabhängig von der TSK-Zugehörigkeit einheitlich mit einer „parkplatzblauen“ Uniform von Heinz Oestergaard eingekleidet, als wären sie eine eigene TSK. Der Schnitt entsprach übrigens eher einem Kostüm beziehungsweise Hosenanzug als einer Uniform. Also, Frauen in der Bundeswehr waren damals absolute Exotinnen.
 

In der NVA war für Frauen der Dienst an der Waffe möglich. War sie damit möglicherweise fortschrittlicher als die Bundeswehr eingestellt oder wie beurteilen Sie das?

In der NVA standen den Frauen, die grundsätzlich vom Wehrdienst befreit waren, auf freiwilliger Basis sämtliche Waffengattungen offen. Inwieweit dahinter die Umsetzung des Prinzips der Gleichberechtigung stand, mag ich mangels eigenen Erlebens nicht bewerten. Ich möchte jedoch anmerken, dass die Berufsrealität in der DDR eine andere war als in der Bundesrepublik Deutschland. Der Arbeitskräftemangel, der in der Bundesrepublik durch das Anwerben von ausländischen Arbeitskräften kompensiert wurde, wurde in der DDR durch das stärkere Einbeziehen von Frauen in das Berufsleben ausgeglichen. Dies kann man durchaus auch als fortschrittlich bezeichnen.

Wie haben Sie die Zeit beziehungsweise die Diskussionen in der Truppe erlebt, bis es zum sogenannten Kreil-Urteil im Jahr 2000 kam?

Ab 1999 war ich Referentin für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr und neben der Bearbeitung von Eingaben und Beschwerden war ich Ansprechstelle für spezifische Probleme weiblicher Soldaten zu Themen wie Schwangerschaft und Mutterschutz bei Soldatinnen und damit verbundene arbeitsmedizinisch-rechtliche Problemstellungen, die zum damaligen Zeitpunkt für Soldatinnen noch nicht geregelt waren.

Im Vorgriff auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs über die Klage von Tanja Kreil, der die Möglichkeit verwehrt worden war, in einen technischen Verwendungsbereich außerhalb des Sanitätsdienstes in die Bundeswehr einzutreten, wurde die Öffnung aller Laufbahngruppen im Ministerium diskutiert. Dazu eine Anekdote: Die hohen militärischen Führer waren nicht begeistert, dass möglicherweise alle Laufbahngruppen für Frauen geöffnet werden sollten, fürchteten sie doch, dass Frauen den körperlichen Anforderungen in den unterschiedlichen Verwendungsbereichen der Truppe nicht gewachsen sein würden. So forderten sie vom Sanitätsdienst entsprechende Kriterien festzulegen, damit Frauen für bestimmte Verwendungsbereiche gar nicht erst die gesundheitliche Eignung zuerkannt bekamen. In diesem Zusammenhang konnte ich mir nicht verkneifen, die Herren Generale zu fragen, ob sie meinten, dass das Geschlechtsmerkmal „Frau“ eine Krankheit sei.
 
Auf Grundlage des Gleichstellungsrechts von Männern und Frauen erhielt die junge Frau im Jahr 2000 vom Europäischen Gerichtshof Recht, und auf Grundlage dieses Urteils musste die Bundeswehr alle militärischen Laufbahngruppen und Verwendungsbereiche für den freiwilligen Dienst von Frauen öffnen. Tanja Kreil ist übrigens nie in die Bundeswehr eingetreten und Soldatin geworden.

Wie war aus Ihrer Sicht die Situation in den ersten Jahren danach in der Truppe?

Da ich zu dieser Zeit im Ministerium tätig war, habe ich keine einschlägigen Erkenntnisse dazu. Aus verschiedenen Gesprächen weiß ich aber, dass die Integration der Frauen sehr unterschiedlich ablief, immer abhängig von der Laufbahngruppe und den Verwendungsbereichen sowie der Anzahl an Soldatinnen. Vor dem Hintergrund der schnellen Öffnung aller Laufbahngruppen und Verwendungsreihen musste die Truppe zunächst oft improvisieren, um das Leben in der militärischen Gemeinschaft auf die Anwesenheit von Soldatinnen anzupassen und sich an den Umgang mit Soldatinnen zu gewöhnen. Den Frauen gegenüber gab es daher auch Vorbehalte im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit und Einordnung in das militärische Umfeld.

Und wie stellt sie sich für Sie heute dar?

Meines Erachtens ist die Integration von Frauen in die Bundeswehr gut gelungen. Interessanterweise gibt es Verwendungsreihen, in denen Frauen proportional häufiger zu finden sind. Ich erkläre mir das durch die verschiedenen physischen und mentalen Verwendungsvoraussetzungen, die naturgemäß bei Männern und Frauen unterschiedlich ausfallen. Aus meiner Erfahrung als Vorgesetzte und Kommandeurin der Sanitätsakademie der Bundeswehr stelle ich auch immer wieder fest, dass Frauen häufig hervorragende Ausbildungserfolge nachweisen können und das auch oft neben der Organisation einer Kinderbetreuung. Denn die Chancen für Frauen, aber auch für Männer, waren in der Bundeswehr noch nie so gut wie heute. Das Spektrum der im Zuge der Attraktivitätsoffensive beschlossenen Maßnahmen reicht von besserer Besoldung und Versorgung über eine leichtere Vereinbarkeit von Privatleben und Dienst bis hin zu einer verlässlichen Arbeitszeitregelung. Das Artikelgesetz „Gesetz zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr“ und die vielen untergesetzlichen Maßnahmen haben den Dienst in der Bundeswehr für die Soldatinnen und Soldaten deutlich attraktiver gemacht. Viele erfolgreiche Maßnahmen wie ein Spitzenkräftecoaching und ein Mentoring-Programm wurden in der Bundeswehr etabliert.
 
Aber wir sind noch lange nicht am Ende und müssen weiter für Chancengerechtigkeit, Vereinbarkeit von Familie und Dienst ebenso wie um frauengerechte Ausrüstung und Uniformen kämpfen. Die Bundeswehr braucht qualifizierte, motivierte und belastbare Soldatinnen, Soldaten und zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um ihre anspruchsvollen Aufgaben sowohl im Grundbetrieb als auch bei den weltweiten Einsätzen zu meistern. Mit dem fortschreitenden demografischen Wandel wird sich der Wettbewerb um Fachkräfte mit weiten Teilen der Wirtschaft absehbar weiter verschärfen.

Sie sind heute die dienstgradhöchste Soldatin der Bundeswehr. Wie stolz macht Sie das? Würden Sie sich mehr Frauen in der Generalität wünschen? Was wäre Ihr Rat für einen tollen Karriereweg?

Ich bin sehr stolz auf meinen beruflichen Erfolg und das Erreichte. Dabei war es für mich immer wichtig, dass die Aufgabenerfüllung das Maß aller Dinge sein muss, und zwar für die uns anvertrauten Soldatinnen und Soldaten, ganz nach dem Motto und dem Leitbild des Sanitätsdienstes der Bundeswehr „Der Menschlichkeit verpflichtet“ und vollkommen unabhängig davon, ob als Frau oder Mann. Wichtig ist dabei, als Frau authentisch zu sein, sich nicht selbst zu unterschätzen, mutig und neugierig auf neue herausfordernde Aufgaben zu sein und berechtigte Kritik auszusprechen, auch wenn es unbequem ist. Ich freue mich, dass es inzwischen zwei weitere weibliche Generalärzte gibt, und freue mich darauf, die beruflichen Wege unserer vielen weiblichen Talente mitzuverfolgen.  

Was halten Sie von einer Frauenquote bei der Besetzung von Spitzendienstposten?

Für mich war eine Quote für Frauen in der Bundeswehr unvorstellbar. Es wurde immer vermittelt, dass bei den Personalauswahlkonferenzen nach Leistung, Eignung und Befähigung unabhängig vom Geschlecht ausgewählt werden würde. Meine Erfahrungen haben mich Anderes gelehrt, und ich musste feststellen, dass es auch in der Bundeswehr eine „gläserne Decke“ für Frauen gibt, die es zu durchbrechen gilt. Nicht mit aller Macht, sondern mit Augenmaß und vor allem durch eine gezielte Vorbereitung von geeigneten Frauen auf ihre Verantwortung in hohen und höchsten Dienstgraden.

Die Sanitätsakademie ist vor Kurzem für das Audit „berufundfamilie“ rezertifiziert worden. Was ist darunter zu verstehen?

Das Audit „berufundfamilie” ist ein fachlich begleitetes, sehr wirkungsvolles Instrument, um die Arbeitsbedingungen an der Sanitätsakademie der Bundeswehr familien- und lebensphasenbewusst auszugestalten. Mit der Rezertifizierung der Sanitätsakademie verfolgen wir deshalb das Ziel, unsere bewährten Kommunikations- und Informationsprozesse weiter zu optimieren und das Fach- und Methodenwissen unserer Führungskräfte auch in Zukunft zielgerichtet zu fördern. Den vielen berechtigten individuellen Bedürfnissen der Soldatinnen und Soldaten im Zusammenhang mit einem attraktiv zu gestaltenden Arbeitsumfeld und der Gestaltung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst steht die Pflicht der Auftragserfüllung gegenüber. Bei der Auftragstaktung, die der dienstliche Alltag mit sich bringt, ist dies stets ein Spannungsfeld, das sich nicht immer zur Zufriedenheit der Betroffenen auflösen lässt.

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