Noch in dieser Woche soll der Bundestag das Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz beschließen, jetzt fand eine Expertenanhörung im Wirtschaftsausschuss statt. Archivfoto: DBwV/Yann Bombeke

05.07.2022
Von Frank Schauka

Von „Goldrandlösungen“ und „abenteuerlichen Luxushöhlen der Anforderungen“

Expertenanhörung zum Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz, das am Donnerstag im Deutschen Bundestag beschlossen werden soll.

Berlin. Die Auswirkungen des russischen Ukraine-Kriegs auf die deutsche Verteidigungspolitik haben an diesem Montag erneut den Deutschen Bundestag beschäftigt.

In der Expertenanhörung im Wirtschaftsausschuss des Parlaments zum Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwBBG) kreisten die Ausführungen um die wichtige Frage: Wie muss die Beschaffung von Material und Gerät künftig organisiert und vergaberechtlich geregelt werden, damit die Bundeswehr – mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen im Rücken – das dringend benötigte Material schnellstmöglich erhält? Nur dann kann die Truppe ihre Kernaufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung in voller Einsatzfähigkeit erfüllen.

Der Deutsche Bundestag soll das Gesetz am Donnerstag beschließen

Rechtlich, darin stimmten die Experten in der Anhörung überein, ist das BwBBG nicht zu beanstanden. Das Gesetz, welches die Regierungskoalition im Juni vorgelegt hat, soll bereits an diesem Donnerstag, 7. Juli 2022, in abschließender Lesung im Deutschen Bundestag beraten werden.

Aber: Reichen die Maßnahmen, die in dem „Gesetz zur Beschleunigung von Beschaffungsmaßnahmen für die Bundeswehr“ grundgelegt sind, aus, um das Ziel schnellstmöglich zu erreichen? Setzt das BwBBG aus Sicht der Experten die richtigen Akzente? Wählt das BwBBG den richtigen Schwerpunkt, wenn es bei Aufträgen im Verteidigungsbereich insbesondere beim bestehenden Vergaberecht ansetzt, um die zumindest teilblanke Bundeswehr schnellstmöglich angemessen auszustatten?

Matthias Wachter: „Die Fokussierung auf das Vergaberecht greift zu kurz.“

„Die Fokussierung auf das Vergaberecht greift zu kurz, weil das Vergaberecht nicht das Problem ist“, sagte Matthias Wachter, Abteilungsleiter Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). „Das Vergaberecht lässt heute schon genügend Spielraum zu, um Dinge direkt zu vergeben, schnell zu beschaffen. Die großen zeitlichen Verzögerungen entstehen oftmals bei großen Rüstungsprojekten in vorgeschalteten Prozessen.“

Ähnlich sieht es die Vizepräsidentin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) in Koblenz, Kornelia Annette Lehnigk-Emden. „Vergaberecht macht den geringsten Anteil im Beschaffungsprozess aus“, sagte Lehnigk-Emden in der Anhörung. Das eigentliche Problem lokalisierte sie an anderer Stelle im Beschaffungsprozess.

Die 80-Prozent-Suche des Generalinspekteurs

„Die Forderungslagen sind zu hoch. In unseren Dokumenten werden zum Teil Goldrandlösungen beschrieben“, erläuterte die Vizepräsidentin des BAAINBw. Anschließend sei es dann „die Aufgabe bis zum hoch zum Generalinspekteur, gemeinsam mit dem Forderungscontrolling die Forderungen nach unten zu schrauben und festzustellen, ob 80 Prozent der Forderungserfüllung reichen, mit denen man aber dann ein marktverfügbares Produkt kaufen könnte.“

Was die Vizepräsidentin des BAAINBw „Goldrandlösung“ nennt, bezeichnet der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Dr. Hans Christoph Atzpodien, als „abenteuerliche Luxushöhlen der Anforderungen“, in denen man jahrzehntelang gelebt habe. Atzpodiens Beispiel aus dem Heer: „Im Leopard 2 müssen die Bestimmungen der Arbeitsstättenverordnung gelten.“ Sein Beispiel aus der Marine: „Im Fitnessraum einer Fregatte müssen die Regularien der Sportstättenverordnung gelten.“

Verbandschef Atzpodien: „Wir müssen die Forderungen nach unten schrauben.“

„Wir müssen die Forderungen nach unten schrauben“, forderte Atzpodien. „Das öffnet die Tür zu marktverfügbaren Lösungen, die die Industrie durchaus anbieten kann, wenn man sie lässt. Anderen Kunden bietet sie solche Lösungen ja auch an. Es sind eben nur Lösungen, die nicht den deutschen Anforderungen in Bezug auf diese Bauvorschriften entsprechen.“

Prof. Dr. Michael Eßig, der an der Universität der Bundeswehr München den Lehrstuhl Beschaffungs- und Supplymanagement innehat, plädierte ebenfalls dafür, die Lösung für die langwierige Beschaffung in den entscheidenden frühen Phasen des Beschaffungsprozesses zu suchen – und nicht erst in der Endphase bei der Losvergabe. „Da enthält der Gesetzentwurf ein sehr wirkungsvolles Instrument der Beschleunigung“, sagte Eßig, „und das ist der Rückgriff auf standardisierte Lösungen“.

Der aktuelle Gesetzentwurf sieht eine Möglichkeit der Beschaffungsbeschleunigung insbesondere darin, die bislang praktizierte Einzellospraktik aufzugeben. So soll – künftig auch in Deutschland – übergangsweise bis zum 31. Dezember 2025 davon abgerückt werden, jedes Vergabelos bei Aufträgen im Verteidigungsbereich einzeln auszuschreiben. Diese Regelung, die als mittelstandsfreundlich gilt, soll künftig unter bestimmten Voraussetzungen umgangen werden können, und zwar dann, „wenn wirtschaftliche, technische oder zeitliche Gründe dies rechtfertigen“. Bei anderen europäischen Bündnispartnern wird dieses Verfahren längst praktiziert.

Der Bonner Fachanwalt für Vergaberecht, Norbert Dippel, erkennt in diesem Vorhaben keinen großen Vorteil. „Der Hebel, über vergaberechtliche Änderungen zu zeitlichen Einsparungen im (Gesamt)Beschaffungsprozess zu gelangen, ist begrenzt“, führte Dippel aus. Bereits jetzt würden „ca. 75 Prozent der EU-weit ausgeschriebenen Aufträge im Verteidigungsbereich als Gesamtaufträge vergeben, weil insbesondere technische Gründe sowie die Systemfähigkeit dies erfordern“. Ob mit der weiteren Abkehr vom Gebot der losweisen Vergabe eine deutliche Beschleunigung der Beschaffung erzielt werden könne, bleibe abzuwarten. Letztendlich müsse auch der Generalunternehmer die jeweiligen Einzelleistungen beschreiben und als Unterauftrag vergeben. „Dieser zeitliche Aufwand wird im Rahmen der Gesamtvergabe lediglich vom BAAINBw auf den Generalunternehmer verschoben“, so Dippel.

Jura-Professor Burgi fordert „Zweites BwBBG“

Der Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht und Leiter der Forschungsstelle für Vergaberecht und Verwaltungskooperationen an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Prof. Dr. Martin Burgi, blickte in der Anhörung bereits über den vorliegenden Gesetzentwurf hinaus in die Zukunft. Auf dem Weg zur Erreichung des Ziels, die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr „unverzüglich und schnellstmöglich“ zu erhöhen, könne „der vorliegende Gesetzentwurf freilich nur einen ersten Schritt darstellen“, merkte Jura-Professor Burgi an. Die aus seiner Sicht notwendigen Ergänzungen könnten dann in einem „Zweiten Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz“, wie Burgi es nannte, nachgetragen werden.

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