Eine erfahrene Ansprechpartnerin: FDP-Verteidigungspolitikern Marie-Agnes Strack-Zimmermann empfing die Seminarteilnehmer im Paul-Löbe-Haus.

Eine erfahrene Ansprechpartnerin: FDP-Verteidigungspolitikern Marie-Agnes Strack-Zimmermann empfing die Seminarteilnehmer im Paul-Löbe-Haus. Foto: Bundeswehr

04.10.2023
Von Oliver Krause

Wie nachhaltig ist die Zeitenwende?

Politische Bildung für Kompaniechefs und -feldwebel der 1. Panzerdivision.

Wie kann Deutschlands Sicherheit im Rahmen der NATO gewährleistet werden? Will man sich der Beantwortung dieser Frage im Rahmen eines Seminars zur politischen Bildung nähern, kommt man an einem Thema nicht vorbei: der „Zeitenwende“. Gelingt die Zeitenwende – zum Beispiel angesichts knapper Kassen? Wie kann die Bundeswehr genügend intrinsisch motiviertes, intellektuell leistungsfähiges und körperlich fittes Personal gewinnen und an sich binden? Welche Auswirkungen hat die dauerhafte Stationierung einer Brigade in Litauen für den Alltag der Soldatinnen und Soldaten? Welche historischen Vorbilder bieten sich für die Bundeswehr der Zeitenwende an?

Das ist nur eine kleine Auswahl an Fragen, die im Rahmen des Seminars für Chefs und Spieße der 1. Panzerdivision Anfang September in Berlin diskutiert wurden. Nach einem sehr erfolgreichen ersten Durchgang im letzten Jahr war das Führungspersonal um Kommandeur Generalmajor Heico Hübner nun schon zum zweiten Mal mit dem Bildungswerk des Deutschen BundeswehrVerbandes in Berlin. Gleichzeitig bot die Veranstaltung die großartige Möglichkeit, ihre Sorgen und Belange auf direktem Wege an Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Medien zu adressieren, die ihrerseits vom enormen Erfahrungsschatz der Angehörigen der Division profitierten. Mehr direkter Kontakt und Erkenntnisgewinn auf beiden Seiten ist wohl nur schwer vorstellbar!

Die enge Verbindung zum Verband selbst war durch den Landesvorsitzenden Nord im DBwV, Oberst Thomas Behr, sichergestellt, der das Seminar begleitete. „Das Gespräch mit Chefs und Spießen ist für uns als Mandatsträger unersetzlich. Die Männer und Frauen leisten hervorragenden Dienst und wollen wieder eine sichere Einsatzbereitschaft erleben.“ Dabei haben sie den Verband an ihrer Seite, so Behr. „Vertrauen ist die Grundlage für einen offenen Austausch. Gut, dass sich die Akteure seit vielen Jahren kennen.“

Im Austausch mit der Politik

Die Gruppe traf zunächst Christoph Schmid, der für die SPD im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages sitzt. Dort stand die Neujustierung der deutschen Sicherheitspolitik nach dem 24. Februar auf der Agenda. Kritisch wurde unter anderem diskutiert, wann die Bundesregierung ihre Zusage einlöst, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts neben dem Sondervermögen für Verteidigung auszugeben. Ein nächster Höhepunkt war der Austausch mit Staatsminister Tobias Lindner aus dem Auswärtigen Amt. Der Grünenpolitiker machte in einem erfrischend realpolitischen Vortrag deutlich, dass Deutschland auch mit solchen Ländern zum Beispiel im Nahen und Mittleren Osten umgehen müsse, die unsere Werte nur zum Teil teilten, wenn es seine Interessen wahren möchte. Mit Blick auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine erklärte Lindner, dass Deutschland die Ukraine weiter unterstützen müsse.

Einen strategischen Überblick über Russlands Krieg, die Weltmacht China und die Antwort der NATO, Deutschlands Rolle und seine Verantwortung gab anschließend Generalleutnant a.D. Heinrich Brauß, heute Senior Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Brauß, der bis 2018 Beigeordneter Generalsekretär der NATO für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung im Internationalen Stab der NATO in Brüssel war, führte u.a. aus, dass die vom NATO-Oberbefehlshaber General Cavoli erarbeiteten strategischen Pläne für die Verteidigung des gesamten NATO-Territoriums nun konkretisiert würden. Aktuell würden sie in detaillierte Operationspläne für einzelne Regionen übersetzt, die Einfluss auf die nationalen Streitkräfte hätten. Insbesondere die europäischen Mitgliedstaaten – und vor allem Deutschland – müssten im eignen Interesse einen größeren Beitrag für eine gerechte transatlantische Lastenteilung leisten. Aus diesem Grund müsse die Bundesrepublik das Zwei-Prozent-Ziel neben dem Sondervermögen einhalten.

Besuch im Kanzleramt

So „aufmunitioniert“ besuchte die Seminargruppe das Bundeskanzleramt. Nach einer Führung durch das Gebäude traf sie das Referat 232 unter der Leitung von Oberst i.G. Schulte-Borghoff, der mit seinem Team die Themen militärische Aspekte der Sicherheitspolitik, Truppendienstliche Angelegenheiten der Bundeswehr und den Bundessicherheitsrat bearbeitet, und einen Einblick in die spannende Arbeit in der Regierungszentrale gab. Anschließend referierte Dr. Christian Freuding, der kurz vor dem Seminar verdientermaßen zum Generalmajor befördert worden war, zur Lage in der Ukraine und zur deutschen Unterstützung. General Freuding illustrierte, wie Deutschland eine nachhaltige Unterstützung der Ukraine gewährleiste. Mit seinen Lieferungen an Waffen, Munition, Ausrüstung und Ersatzteilen brauche sich unser Land im internationalen Vergleich nicht zu verstecken. Ganz im Gegenteil.

Obwohl Russland die unmittelbare Bedrohung für Europa ist, kommt die deutsche Sicherheitspolitik natürlich nicht an China vorbei. Dessen Politikverständnis, sein wirtschaftliches Agieren und militärisches Potential skizzierte Josie-Marie Perkuhn von der Universität Trier.

Nicht nur die Bundeswehr, auch der Bundesnachrichtendienst (BND) ist als Deutschlands einziger Auslandsnachrichtendienst von der Zeitenwende betroffen – und kämpft mit ähnlichen Problemen wie die Bundeswehr. Was sich für den Dienst ändern muss, dazu referierte eine echte BND-Legende, Dr. Gerhard Conrad. Conrad warb nachdrücklich für eine bessere Ausstattung des BND in technischer, personeller und monetärer Hinsicht. Auch der rechtliche Rahmen müsse zur Bedrohungslage passen. Den vollständigen Vortrag können Sie hier einsehen.

Was auf die Bundeswehr in den nächsten Jahren zukommt, dazu trug Oberst i. G. Anselm Stark, Referatsleiter FüSK I 1 im Verteidigungsministerium, vor. Er skizzierte aktuelle wie geplante Maßnahmen im Rahmen von enhanced Vigilance Activities, (dt. verstärkte Wachsamkeits-Aktivitäten) und enhanced Forward Presence (dt. verstärkte vorgeschobene Präsenz) der NATO. In der Diskussion nach dem Referat ging es selbstverständlich auch um die Entscheidung von Wehrminister Boris Pistorius (SPD), eine deutsche Brigade dauerhaft in Litauen stationieren zu wollen.

Anschließend hielt Deutschlands führender Militärhistoriker, Prof. Dr. Sönke Neitzel von der Universität Potsdam, einen launigen Vortrag zum Thema Politik und Bundeswehr in der „Zeitenwende“. Von den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr verlange man Mut und Tapferkeit, dasselbe könnten die Streitkräfte auch von der politischen und militärischen Führung erwarten. Auch diese müsse angesichts der Lage mutige Entscheidungen treffen, forderte Neitzel. Einen nicht weniger kritischen Blick auf dieses Thema hatte Matthias Gebauer vom SPIEGEL. Als bestens vernetzter Hauptstadtjournalist gab er einen Einblick in den Berliner Politikbetrieb vor dem Hintergrund der Zeitenwende.

Dass Deutschlands Soldatinnen und Soldaten Ziel und Opfer von ausländischen Spionagetätigkeiten sein können, ist nicht wirklich überraschend. Umso wichtiger ist das Wissen, wie man sich in und außerhalb des Dienstes vor derartigen Aktivitäten schützt. Dazu informierte ein Vertreter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Sodann konnten die Seminarteilnehmer bei einem Besuch im Amt der Wehrbeauftragten ihre und die Anliegen ihrer Unterstellten adressieren, ehe es zum Deutschen Bundestag ging. Die Spieße trafen dort – im Sitzungssaal des Verteidigungsausschusses – auf dessen ebenso engagierte wie schlagfertige Vorsitzende, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Im Austausch mit der Verteidigungspolitikerin ging es u.a. um die Nachwuchsgewinnung. Den Abschluss des Seminars bildete ein Besuch im Besucherzentrum des BND, wo die Kompaniefeldwebel einem Vortrag zu Arbeitsweise und Kontrolle des Dienstes folgten – und im angeschlossenen Museum allerhand Ausstellungsstücke aus der Arbeit des Auslandsnachrichtendienstes besichtigen konnten.

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