Im Eckpunktepapier zur Zukunft der Bundeswehr werde viele Reformen angesprochen, doch an konkreten Plänen zur notwendigen Verbesserung des Beschaffungswesens, der Einsatzbereitschaft und der Ausrüstungslage fehlt es in den Augen einiger Verteidigungspolitiker. Foto: Bundeswehr/Carl Schulze

Im Eckpunktepapier zur Zukunft der Bundeswehr werde viele Reformen angesprochen, doch an konkreten Plänen zur notwendigen Verbesserung des Beschaffungswesens, der Einsatzbereitschaft und der Ausrüstungslage fehlt es in den Augen einiger Verteidigungspolitiker. Foto: Bundeswehr/Carl Schulze

20.06.2021
Frank Jungbluth

„Reformideen sind Ansporn, künftig noch weitere Reformschritte mutig anzugehen”

Das Eckpunktepapier zur Zukunft der Bundeswehr hat drei Monate vor der Bundestagswahl kontroverse Dikussionen im politischen Raum ausgelöst: Wie sehen Verteidigungspolitiker und Bundeswehr-Experten der Fraktionen die Ideen, die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Generalinspekteur Eberhard Zorn aufgeschrieben haben?

Was fehlt, kann die SPD-Verteidigungspolitikerin Siemtje Möller genau beschreiben: „Es sind die wichtigen Bereiche Beschaffung und Nutzung. An der Aufteilung des BMVg in zwei Dienstsitze wird festgehalten. Der Inspekteur Sanität bekommt einen neuen Titel und zieht in den Bendlerblock.

Werden so Streitkräfte einsatzbereiter?”, fragt die Sozialdemokratin aus Friesland. Die SPD habe bislang jeden sinnvollen Vorschlag unterstützt, der zu Verbesserungen für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr führe. „Auch die vorliegenden Eckpunkte für eine „Bundeswehr der Zukunft“ gehen in die richtige Richtung: Die viel zu stabslastige Bundeswehr muss ihre Ausrichtung dringend wieder auf die Einsatzbereitschaft legen. Alles, was den schwerfälligen Tanker Bundeswehr in diese Richtung schiebt, ist zu begrüßen. Insoweit können wir bei den Zielvorstellungen durchaus mitgehen”, sagt Möller.

„Ob die Eckpunkte für eine ‚Bundeswehr der Zukunft’ indes halten, was sie versprechen, bleibt fraglich. 

Bedauerlich ist es, dass die Verteidigungsministerin nicht dort begonnen hat, Strukturen zu verschlanken, wo sie freie Hand hat – in ihrem Ministerium mit seinen unzähligen Organisationselementen. Hier mit gutem Beispiel voranzugehen wäre aller Mühen wert gewesen und hätte ihr dazu den Respekt des Parlaments eingebracht. 

Eckpunkte sind noch keine Reform. Über diese Reform wird erst der nächste Bundestag entscheiden, denn neue Strukturen müssen finanziell abgesichert sein und unterliegen damit der Kontrolle des Parlaments. Diese Fragen zu beantworten und Zweifel auszuräumen, wird Aufgabe einer neuen Bundesregierung sein. 

Die Soldatinnen und Soldaten, aber auch die zivilen Beschäftigten in der Bundeswehr können sich darauf verlassen, dass wir uns auch zukünftig für Verbesserungen der Dienst- und Arbeitsbedingungen einsetzen werden. Dazu gehört vordringlich die Vollausstattung mit Personal, Waffen und Gerät. Hier liegt die große Aufgabe auch für die kommende Wahlperiode.“

Für den Christdemokraten Roderich Kiesewetter, der als Oberst in der Truppe diente, bevor er zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurde, ist eines klar: „Die seit 2014 eingeleiteten ‚Trendwenden’ in der Bundeswehr haben den Verteidigungshaushalt seither zwar um circa 45 Prozent erhöht, sie lösten aber nicht die seit Langem erkennbaren Mängel in den Strukturen, bei der Beschaffung und in der Fähigkeit der Teilstreitkräfte. Deshalb sind die von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Generalinspekteur Eberhard Zorn bis April 2022 umzusetzenden Reformschritte richtig und notwendig. Dafür sprechen drei Gründe: 

1. Die Bundeswehr ist ohne Reformen nicht in der Lage, glaubwürdig die getroffenen Zusagen für Nato und EU dauerhaft und für die Truppe akzeptabel zu leisten. 

2. Dysfunktionale Strukturen werden geheilt, weil die bisher der Streitkräftebasis und Sanität zugeordneten Truppenteile und Fähigkeiten dort eingegliedert werden, wo sie gebraucht und in Übungen wie im Alltagsdienst auf LV/BV in den bisherigen Teilstreitkräften, den künftigen Dimensionskommandos einschließlich des Cyberraums besser integriert und besser für Übungen und Einsätze vorbereitet werden können. 

3. Angesichts der absehbaren Ressourcenverknappung werden die Bundeswehrstrukturen auf notwendige Anpassungen vorausschauend vorbereitet.

Unser Land in der Mitte Europas ist gefordert, auch den Bündnispartnern Handlungsfähigkeit zu zeigen und überfällige Reformen strategisch vorausschauend umzusetzen. Die Exekutive ist für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte und Zusagen an Nato und EU verantwortlich. Deshalb ist es folgerichtig, dass die Reformideen den Fokus auf die Erfordernisse einer zeitgemäßen Landes- und Bündnisverteidigung legen.

Die Reformideen sind deshalb Wegweiser und Ansporn, künftig noch weitere Reformschritte mutig anzugehen. Im Rahmen eines erforderlichen Nationalen Sicherheitsrats und der Entwicklung einer Nationalen Sicherheitsstrategie gehören auch strategische Vorgaben für eine an die Sicherheitsstrategie angepasste Bundeswehr. Dazu zählen Umsteuerungen und Prioritätensetzungen in Beschaffungsprozessen, Vorgaben zu qualitativ wie quantitativ leistbaren und zweckmäßigen Personalgrößen sowie Arbeitszeitvorgaben bei den Streitkräften, eine Reform der Bundeswehrverwaltung und vieles mehr.”

„Eines muss man der Ministerin zugutehalten”, sagt die FDP-Wehrexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann: „Sie hat in den letzten zwei Jahren zugehört und mitschreiben lassen.” Zumindest mache das jüngst von ihr vorgestellte Eckpunktepapier zur Zukunft der Bundeswehr diesen Eindruck. Dort fänden sich viele der Ideen und Forderungen, die die Truppe, die Inspekteure, diverse Kommissionen und Arbeitsgruppen, noch mehr Experten und Vertreter der Politik in den letzten Jahren in den Raum gestellt haben. „So gesehen ist das Eckpunktepapier ein tauglicher Versuch, möglichst viele Interessengruppen und Entscheidungsträger hinter diesen Vorschlägen zu versammeln”, meint die Liberale.

„Doch die allgemeine inhaltliche Zustimmung kommt zu dem Preis, dass das Papier an den entscheidenden Stellen unkonkret bleibt. Zum Beispiel soll die Nutzungsverantwortung endlich wieder in die Truppe gehen. Wann und wie dies geschehen soll und welche finanzielle Verantwortung damit einhergehen soll, wird aber offen gelassen. Auch das Bundesministerium – zuletzt stark angewachsen – soll verschlankt werden. An welchen Stellen und in welchem Zeitplan, ist weiterhin unklar.”

Zur Wahrheit gehöre auch, so Strack-Zimmermann, dass jeder Vorschlag des Eckpunktepapiers bereits auf dem Tisch gelegen habe, als Frau Kramp-Karrenbauer vor zwei Jahren die Befehls- und Kommandogewalt übernommen hat. „Manche Maßnahmen sind sogar überfällig. Vor fünf Jahren ist das Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik erschienen, vor drei Jahren die Konzeption der Bundeswehr. Seitdem ist klar, dass die Landes- und Bündnisverteidigung wieder gleichrangig neben dem internationalen Krisenmanagement steht. Wir könnten schon ein gutes Stück weiter sein, hätte die Ministerin bereits im Sommer 2019 so beherzt angepackt, wie sie es jetzt zumindest andeutet.”

Die FDP-Politikerin macht deutlich: „Die vermeintlich größte Veränderung – die im Vorfeld kommunizierte „Auflösung“ der Organisationsbereiche Zentraler Sanitätsdienst und Streitkräftebasis – liest sich im abschließenden Papier weit weniger weitreichend. Umbenennungen und Änderungen im Organigramm sind noch keine Reform und keine Zerschlagung. Nichtsdestotrotz hat die Hausleitung es zugelassen, dass sich entsprechende Gerüchte über Wochen gehalten haben und der Inspekteur des Sanitätsdienstes sich zu einem Brief an die Ministerin gezwungen sah. Das hat viele Soldatinnen und Soldaten verunsichert. 

Eine Modernisierung, wie sie die Ministerin plant, muss von oben gesteuert und von der Truppe mitgetragen werden. Dazu braucht es gegenseitiges Vertrauen und Führungsqualitäten. Die Ideen liegen alle auf dem Tisch, sie müssen jetzt umgesetzt werden.”

Das Papier von Ministerin und Generalinspekteur wolle vieles nicht, „vor allem keine Reform sein”, kritisiert der Grünen-Verteidigungspolitiker Dr. Tobias Lindner: „Es will auch keine Standortdebatte, es will keine personellen Veränderungen. Es will eigentlich nur prüfen. Dabei ist die Feststellung, dass die teilweise ineffizienten Strukturen der Bundeswehr dringend reformiert werden müssen, weder überraschend noch neu. Gegen Prüfaufträge lässt sich wenig einwenden, einzig die Frage nach dem Zeitpunkt – warum erst jetzt – bleibt offen. Prüfaufträge gehören eigentlich an den Beginn einer Legislaturperiode und nicht an das Ende, mitten in den Wahlkampf.” 

Zentral sei immer, so Lindner, dass die Truppe, die Menschen, bei einer Reform oder einem Gedankenpapier mitgenommen werden und nicht vor den Kopf gestoßen werden. „Die großen Probleme bei der Beschaffung, bei der Einsatzbereitschaft und der Ausrüstung werden in dem Papier nicht ausreichend adressiert. Gerade im Beschaffungsbereich ist die Zeit der Prüfaufträge vorbei, hier muss gehandelt werden.”
 
Die Eckpunkte, die die Ministerin nun vorlegt, sind der papiergewordene Beweis, dass Reformen der Bundeswehr, die in den letzten 15 Jahren unter CDU-Führung des Ministeriums durchgeführt worden sind, nicht nur kostspielig waren, sondern die Truppe in einen nicht einsatzbereiten Zustand gebracht haben. Die Planungen für eine Reform der Truppe sind ebenfalls das Eingeständnis, dass die Bundeswehr des Jahres 2032, wie sie noch im Fähigkeitsprofil unter von der Leyen angelegt war, eine unrealistische Märchengeschichte ist. Die Personalgewinnung war und ist eine große Herausforderung für die Bundeswehr. An die Rekrutierung von 250.000 Soldatinnen und Soldaten konnten schon damals die größten Optimisten kaum glauben. In der angespannten Haushaltslage nach der Corona-Pandemie sind darüber hinaus die erforderlichen Finanzmittel nicht realistisch.

Mit dem Papier liegt nun zumindest eine realistische Lagefeststellung vor. Darauf aufbauend müssen die zahlreichen Prüfaufträge ergebnisoffen durchgeführt werden, dabei gilt es, unterschiedliche Reformvarianten in den Blick zu nehmen. Klar ist: Bei einem einfachen „Weiter so” wird die Truppe 2025 unter einem völlig überdehnten Auftrag leiden und die Fähigkeitszusagen werden nur auf dem Papier existieren. Es ist entscheidend, dass die Bundeswehr in einen Zustand versetzt wird, in dem die Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst vernünftig leisten können.

Mit Rat und Hilfe stets an Ihrer Seite!

Nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Alle Ansprechpartner im Überblick