Soldatinnen und Soldaten drigend gesucht: Hier, in der Jägerkaserne in Berchtesgaden/Bischofswiesen, erkunden junge Frauen und Männer den Dienst in der Truppe. Foto: picture alliance/SZ Photo/Stephan Rumpf

Soldatinnen und Soldaten dringend gesucht: Hier, in der Jägerkaserne in Berchtesgaden/Bischofswiesen, erkunden junge Frauen und Männer den Dienst in der Truppe. Foto: picture alliance/SZ Photo/Stephan Rumpf

05.07.2025
Frank Jungbluth

„Es braucht jetzt politische Kraft“

Beim NATO-Gipfel in Den Haag vom 24. bis zum 25. Juni hat das Bündnis angesichts der wachsenden Bedrohung durch Russland die neuen Fähigkeitsziele für seine Streitkräfte beschlossen. Für die Bundeswehr heißt das mittelfristig 60.000 Soldatinnen und Soldaten mehr, aktuell hat die Truppe eine Stärke von 183.000. 260.000 sind das Ziel.

Der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner fordert, dass zusätzlich zum freiwilligen Wehrdienst schon jetzt für eine Wehrpflicht geplant wird, um diese Ziele erreichen zu können. Nicht nur die tägliche russische Aggression muss in Europa Sorgen bereiten, sondern auch ein möglicher Abzug US-amerikanischer Truppen. Daher müsse sich Friedrich Merz an die Nation wenden, sagte Oberst Wüstner dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Die Bedrohungslage ist enorm, und dennoch dürfen wir uns nicht entmutigen lassen.“

„Wir können“, so Wüstner, „weiter in Frieden und Freiheit leben, wenn wir nach dem NATO-Gipfel die richtigen Schritte einleiten und unserer Gesellschaft die Herausforderungen der nächsten Dekade erklären – idealerweise nicht nur durch eine Regierungserklärung, sondern durch eine gesonderte Ansprache des Kanzlers an uns alle. Eine Ansprache, die verdeutlicht, dass wir nicht Krieg führen wollen, aber ein Maximum an Verteidigungsfähigkeit erreichen müssen, um einen Krieg durch Abschreckung zu verhindern.“

 

 

Die Debatte zum Wehrdienst und zur möglichen Reaktivierung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht, die nach wie vor in Artikel 12a Grundgesetz für alle Männer ab 18 Jahren verankert ist, führt schon jetzt zu einer politischen Kontroverse: Während der Bundesvorsitzende dazu aufruft, für die Wehrpflicht jetzt schon vorauszuplanen, um keine Zeit zu verlieren, bremst der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch: Man habe in dieser Legislaturperiode einen freiwilligen Wehrdienst vereinbart, eine Rückkehr der Wehrpflicht sei frühestens in der nächsten Wahlperiode ab 2029 möglich, sagt der SPD-Politiker.

Um die Diskussion weiter anzuheizen, haben SPD-Politiker unter Federführung des Parteilinken Ralf Stegner, der zwar seinen Wehrdienst im Kalten Krieg geleistet hat, sich aber inzwischen als Friedenspolitiker zu etablieren versucht. Die meisten derer, die sich am sogenannten Manifest beteiligt haben, sind allerdings lange aus der aktiven Parteiarbeit ausgeschieden und unter ihnen nur fünf Mitglieder der aktuellen Bundestagsfraktion. Im Manifest, das auch Thema beim SPD-Bundesparteitag Ende Juni war, plädieren die Unterzeichner vor allem für Abrüstung, Verhandlungen mit dem Kriegsdiktator Wladimir Putin und gegen die Stationierung neuer US-Raketen, die ab 2026 in Deutschland stationiert werden sollen.

Für Gedanken und Planungen für eine Rückkehr zur Wehrpflicht sei es viel zu spät, würde man bis zur nächsten Wahlperiode ab 2029 warten, hält, wie auch der DBwV-Bundesvorsitzende André Wüstner, der höchste deutsche NATO-General Christian Badia dagegen. Er ist stellvertretender Kommandeur des NATO-Transformationskommandos in Norfolk im US-Bundesstaat Virginia. Sein Aufgabengebiet ist unter anderem, die Planungen der NATO an die neue Lage anzupassen. Ein zentraler Punkt beim nächsten NATO-Gipfel, den Badia mit vorbereitet. Der Süddeutschen Zeitung sagte Badia: „Zu sagen, wir warten erst einmal diese Legislaturperiode ab, das passt nicht zusammen mit der dargestellten Lage. Wenn wir jetzt vier Jahre abwarten, wären wir viel zu spät, um die Fähigkeitsziele der NATO umzusetzen. Wir haben es in den letzten vier bis sechs Jahren doch schon mit den bisherigen freiwilligen Angeboten nicht geschafft, mehr Personal zu gewinnen.“

Wüstner appelliert im Gespräch mit dem RND: „Wenn Deutschland die konventionell stärkste Armee Europas erlangen will, dann braucht es zuvorderst politische Kraft, eine wehrwillige Gesellschaft und eine leistungsfähige Industrie als Grundlage für eine dann vollausgestattete Bundeswehr. Dabei ist die größte Herausforderung der Bundeswehr der personelle Aufwuchs. Wir müssen für eine Schubumkehr sorgen. Mit Blick auf den NATO-Gipfel und darauf, was Deutschland dort zusagen wird, kann ich mir den neuen Wehrdienst ohne ein Pflichtelement nicht vorstellen. Das ist im Koalitionsvertrag meiner Auffassung nach gut formuliert – und zwar mit dem Passus ,zunächst freiwillig‘. Man muss schnellstmöglich die Erfassung ermöglichen, das beinhaltet ein Anschreiben und sodann einen Erstkontakt, am besten gleich kombiniert mit einer neuen Form der Musterung.“

Deshalb müsse das Verteidigungsministerium unabhängig von der Frage, in welcher Zahl sich Freiwillige bis Ende 2026 melden, schon heute ein eventuelles Umschalten auf eine Pflicht vorbereiten, weil deren Planung, Organisation und Umsetzung 18 bis 20 Monate dauern würde und wir es uns nicht leisten könnten, nach einer politischen Entscheidung noch mal 20 Monate dafür ins Land gehen zu lassen. „Man muss“, so Wüstner, „also zweigleisig fahren. Die Pflicht sollte wie eine Art Versicherung im Sinne der Vorsorge vorbereitet sein, damit wir den Hebel nach einer politischen Entscheidung sofort umlegen können.“

Der Bundesvorsitzende ist sich sicher: „Die Bundeswehr muss definitiv größer sein als die 203 300 Soldatinnen und Soldaten, die vor der Pandemie als Zielgröße ursprünglich bis 2025 benannt wurden. Die künftige Zielgröße hängt von der Ausgestaltung der NATO-Fähigkeitsziele und der Lastenübernahme durch Deutschland ab. Aber ich gehe davon aus, dass wir, je nachdem, was auf dem NATO-Gipfel beschlossen wird, zwischen 40 000 und 60 000 Soldaten zusätzlich benötigen. Das bedeutet, dass die aktive Truppe schrittweise auf bis zu 260 000 Soldaten aufwachsen müsste. Daraus muss dann gleichzeitig eine leistungsfähige Reserve entwickelt werden, um auf die vom Generalinspekteur genannte Zielgröße von insgesamt 460 000 Soldaten zu kommen.“ Dieses Ziel müsse schrittweise bis zum Jahr 2029 erreicht werden, denn das sei das Jahr, in dem Russland spätestens in der Lage sei, die NATO an den Bündnisgrenzen herauszufordern.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn hat am Abend des 1. Nationalen Veteranentages erklärt, dass eine Wehrpflicht jetzt dringend vorbereitet werden müsse: „Man muss jetzt mit den Vorbereitungen für eine Rückkehr zur Wehrpflicht beginnen. Es muss auf jeden Fall eine Struktur bei der Bundeswehr geschaffen werden, die eine zügige Rückkehr zur Wehrpflicht möglich macht. Das geht nicht von heute auf morgen.“ Deutschland müsse wieder verteidigungsfähig werden. Frauen will Spahn allerdings vorerst nicht heranziehen. „Für die nächsten vier Jahre sehe ich das nicht.“ Tatsächlich müsste dann Artikel 12a Grundgesetz geändert werden. Dafür bräuchte die Regierungskoalition allerdings viel mehr Stimmen, als sie hat, denn dafür wäre eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat nötig.

Frauen im Visier hat aber Thomas Röwekamp (CDU), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Er betonte im Interview auf der großen Bühne beim 1. Nationalen Veteranentag, dass es in der Bundeswehr heute sehr viele Aufgaben für Veteranen in der Bundeswehr gäbe. Röwekamp machte aber auch klar, dass er für eine Wehrpflicht für Männer und Frauen ist, ebenso sei er für eine Dienstpflicht für junge Menschen in Deutschland. „Wir brauchen dringend den militärischen Aufwuchs, nicht nur den materiellen, sondern auch den personellen, um den aktuellen Bedrohungen angemessen begegnen zu können.“ Die Pflicht Deutschland – wo auch immer – zu dienen, sei für ihn eine Selbstverständlichkeit.

Nach dem Gipfel hat sich bereits der Europäische Rat, das politische Leitungsgremium der Europäischen Union, in Brüssel getroffen. Für den Präsidenten António Costa ist klar: „Wir bauen ein Europa der Verteidigung auf. Jetzt müssen wir auf Kurs bleiben und die Fortschritte auf dem Weg zur gemeinsamen Verteidigungsbereitschaft Europas bis 2030 beschleunigen.“ Die Fähigkeiten der Streitkräfte müssten aufgebaut werden, die Verteidigungsindustrie gestärkt und die Mittel zur Finanzierung der Verteidigungsanstrengungen deutlich aufgestockt werden.

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