Ein Sonderverbandstag am 29. September 1990 in Eggersdorf beschließt nach kontroverser Debatte die Auflösung des VBS zum 31. Oktober. Die Versammlung, an der eine Delegation des DBwV mit dessen Bundesvorsitzenden Oberst Rolf Wenzel teilnimmt, wird durch Oberst Horst Kirchhübel geleitet. Foto: Archiv/DBwV

Ein Sonderverbandstag am 29. September 1990 in Eggersdorf beschließt nach kontroverser Debatte die Auflösung des VBS zum 31. Oktober. Die Versammlung, an der eine Delegation des DBwV mit dessen Bundesvorsitzenden Oberst Rolf Wenzel teilnimmt, wird durch Oberst Horst Kirchhübel geleitet. Foto: Archiv/DBwV

11.04.2021
Von Michael Rudloff

30 Jahre Landesverband Ost: „Ein Staat – eine Armee – ein Recht“

Kurz nach dem Osterfest 1991 wurde der Landesverband Ost des Deutschen BundeswehrVerbandes gegründet.

Am 2. Oktober 1990 endete mit einem Fahnenappell die Geschichte der Nationalen Volksarmee der DDR. Mit dem Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am folgenden Tag wurden etwa 90.000 Soldaten der NVA Angehörige der Bundeswehr. Beginnend mit dem 15. Oktober erfolgte die Unterstellung aller Truppen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR unter das neu geschaffene Bundeswehrkommando Ost.

Mit der Zustimmung Gorbatschows zum Erlöschen der alliierten Rechte bei den Gesprächen mit Bundeskanzler Kohl im Kaukasus am 15. und 16. Juni 1990 konnte ein vereintes Deutschland frei über seine Bündniszugehörigkeit entscheiden. Damit entfiel das entscheidende Argument, die NVA für eine Übergangszeit als Territorialarmee fortzuführen. Dies bedeutete für einen Großteil der Berufssoldaten den Verlust ihrer Existenz und sorgte für Verunsicherung und Unruhe. Sie gehörten – wie es der langjährige Geschäftsführer des Landesverbandes Ost, Oberst a.D. Horst Kirchhübel, rückblickend beschrieb – einer Armee an, die ohne Rückhalt im Volk, ohne Verbündete und ohne Gegner war. Dies bekam der in der Zeit des demokratischen Aufbruchs gegründete Verband der Berufssoldaten der NVA zu spüren. Seine Möglichkeiten, auf die Abmilderung sozialer Härten hinzuwirken, waren zunehmend limitiert. Im Ministerium galt er eher als „Störenfried und Panikmacher“. Über wichtige Weichenstellungen und Abmachungen der politischen Führung des Hauses wurde er im Unklaren gelassen.

Wirksame Unterstützung hatte der VBS ausgerechnet durch die Interessenvertretung des bisherigen militärischen Gegners, den DBwV, erfahren. Dessen damaliger Justiziar Oberst Bernhard Gertz verdeutlichte in einem kontrovers diskutierten „Zwischenruf“ seine Position, dass NVA und Bundeswehr zwei diametral entgegengesetzte militärische Organisationsformen verkörperten. Den DBwV sah er dennoch in der Pflicht, statt einer Ausgrenzung ehemaliger NVA-Angehöriger im Interesse der inneren Einheit auf die Menschen zuzugehen, Gemeinsamkeiten herauszufinden und auf diesem Wege zu erreichen, dass die Bundeswehr in den östlichen Bundesländern von Anfang an akzeptiert wird.

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Angesichts des absehbaren Endes der NVA stellte sich die Frage, welche Zukunft ein Verband der Berufssoldaten haben könnte. Eine Mehrheit im VBS ging im Juni 1990 davon aus, künftig mit dem Deutschen BundeswehrVerband auf der Basis einer „Vertragsgemeinschaft“ zusammenzuarbeiten. Demgegenüber verfolgten Mitglieder des VBS-Hauptvorstandes bereits die Idee einer Vereinigung zu einem gemeinsamen Verband, der die Interessen der Mitglieder wesentlich nachdrücklicher vertreten könne. Vielen Soldaten der NVA mutete dieser Gedanke einen Sprung über den eigenen Schatten zu. Auf der anderen Seite stellte sich wiederum die Frage, ob die Basis des Deutschen BundeswehrVerbandes einen solchen Schritt akzeptieren würde. Innerhalb des Bundesvorstandes des DBwV war abzuwägen, ob der auf diese Weise erreichte Zuwachs an Mitgliedern nicht durch dann zu erwartende eigene Verluste erkauft würde. Es erschien zudem wenig realistisch, dass in die zu bildenden neuen Bundesländer kommandierte Bundeswehrsoldaten in Strukturen des VBS ihre politische Heimat gefunden hätten.

Unter Zugzwang

Andererseits stand auch der DBwV unter Zugzwang. Vom organisatorischen Standpunkt aus sah er sich bereits als Verlierer der Deutschen Einheit. 1990 verfügte er mit 255.000 Mitgliedern über den größten Umfang seiner bisherigen Geschichte. Die bevorstehende Reduzierung der Streitkräfte auf 370.000 Mann (von 509.100 im Oktober 1990) und rückwirkende Verkürzung des Grundwehrdienstes zum 1. Oktober auf zwölf Monate setzten einem organisatorischen Ausbau Grenzen. Parteien und Organisationen der Bundesrepublik standen hingegen vor einer Übernahme ihrer Pendants in der ehemaligen DDR, die über Mitglieder und Sachwerte verfügten.

Im August 1990 berieten die Spitzen beider Verbände über die Perspektive des VBS, welche mit der Position des DBwV in den neuen Bundesländern verbunden war. Obwohl nach Auffassung des Bundesvorsitzenden Rolf Wenzel eine Mehrheit im Bundesvorstand einer Vereinigung positiv gegenüberstand, rechnete er nicht damit, dass der für den 7. September nach Leverkusen einberufene Verbandstag des DBwV einer geschlossenen Aufnahme des VBS zustimmen würde. Fraglich wäre ebenso gewesen, ob die Mitglieder des VBS einem direkten Anschluss ihres Verbandes als Landesorganisation Ost des DBwV gefolgt wären. Kontroverse Positionen zur Zukunft einer eigenständigen Interessenvertretung der NVA-Soldaten trafen in der Sitzung des Hauptvorstandes des VBS am 31. August aufeinander. Gegen eine Weiterführung sprach die Erwartung, dass ein Interessenverband von NVA-Soldaten nach dem Ende des Staates und seiner Armee zum Traditionsverband ohne politischen Einfluss erstarren müsste. Unter Hinweis darauf, dass bei einer Auflösung des Verbandes die 46.000 Mitglieder ihren einzigen organisierten Fürsprecher verlieren würden, gelang noch einmal eine Einigung auf die Weiterführung des VBS.

Gemeinsam für alle Soldaten

Erwartungsgemäß waren eine Vereinigung des DBwV mit dem VBS oder ein Anschluss des VBS als eigenständige Gliederung innerhalb des Beitrittsgebietes kein Thema auf dem Verbandstag des DBwV am 7. September 1990, der „im Zeichen des Wandels in Deutschland und Europa“ stand. Der Bundesvorsitzende Rolf Wenzel stellte klar, dass nach dem Beitritt der DDR zum Grundgesetz und der Schaffung einer gesamtdeutschen Bundeswehr, sich der Organisationsbereich des Deutschen BundeswehrVerbandes automatisch auf das bisherige DDR-Gebiet erstreckt: „Wir werden zunächst die dort verwendeten Soldaten der Bundeswehr […] betreuen und mit großem Einsatz die von der Bundeswehr übernommenen NVA-Soldaten als Mitglieder werben.“ Hinsichtlich des künftigen Dienstrechtes der in die Bundeswehr zu übernehmenden Soldaten sowie der Grundwehrdienstleistenden forderte der DBwV die Angleichung der Berufs- und Einkommensbedingungen.

Die Vorstellung eines befristeten Nebeneinanders auf der Basis freundschaftlicher Beziehungen und einer Aufgabenteilung zweier soldatischer Interessenvertretungen wurde innerhalb weniger Wochen von der Realität überholt. Am 29. September beschloss ein Sonderverbandstag die Auflösung des VBS zum 31. Oktober 1990 und empfahl den Mitgliedern den individuellen Beitritt zum DBwV. Diesem Vorschlag folgten allerdings bis März 1991 mit lediglich 11.000 – nunmehr zumeist ehemaligen – Soldaten weniger als ein Viertel der Mitglieder des VBS. Sie fanden in Kameradschaften des DBwV zusammen. Den Anfang machte am 12. November 1990 die Kameradschaft ehemaliger Soldaten/Reservisten/Hinterbliebenen (KERH) in Strausberg. Weitere folgten, so am 27. November die KERH im Eichsfeld. In Berlin, wo sich noch im Oktober ein Landesverband des VBS konstituiert hatte, bereitete der dort gewählte Landesvorstand die Gründung von DBwV-Kameradschaften im Osten Berlins vor.

Der Landesverband Ost des DBwV wurde von „unten“ nach „oben“ aufgebaut. Beauftragte des DBwV vermittelten in vielen Veranstaltungen Informationen über den DBwV und halfen bei der Bildung weiterer Kameradschaften. Unter dem programmatischen Motto: „Ein Staat – eine Armee – ein Recht“ hoben vom 3. bis 5. April 1991 im Magdeburger Congress Center 200 gewählte Delegierte aus den fünf neuen Bundesländern und Berlin unter weitgehender Abwesenheit bundespolitischer Prominenz den Landesverband Ost aus der Taufe. Zum ersten Landesvorsitzenden wurde der damals 39-jährige Hauptfeldwebel Karl-Heinrich Stein aus Neumünster gewählt. Ihm gelang es, mit dem erforderlichen Fingerspitzengefühl die ausgesprochen heterogenen Interessen und Gefühlslagen in einer Zeit der Verunsicherung zusammenzuführen. Der ehemalige Geschäftsführer des VBS, Oberst a.D. Horst Kirchhübel, übernahm die Geschäftsführung des nunmehr 7. Landesverbandes des DBwV.
 
Zentrales Anliegen war es, zu verhindern, dass sich unter dem Namen „Bundeswehr“ zwei Armeen mit unterschiedlichen sozialen Standards etablieren. Zu den verbandspolitischen Forderungen gehörten unter anderem die Anhebung der Ostbesoldung auf Westniveau, die Schließung der Versorgungslücke der zu Berufssoldaten übernommenen NVA-Soldaten, eine soziale Absicherung der Soldaten auf Zeit (Ost), die Nachbesserung beim Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets und schließlich die Beseitigung der als diskriminierend empfundenen Bezeichnung „Gediente in fremden Streitkräften“ sowie die Anrechnung der Dienstjahre in der NVA und das Recht zum Führen des hier erworbenen Dienstgrades.

Ein Vierteljahr nach der Gründung zählte der Landesverband 16.000 Mitglieder. Am 12. Juli 1991 bezog er seine Geschäftsstelle im Berliner Stadtteil Schmargendorf. Sie diente zugleich als Verbindungsbüro des DBwV in die Bundeshauptstadt.

Positive Bilanz gezogen

Bernhard Gertz, von 1993 bis 2008 Vorsitzender des nun gesamtdeutschen DBwV, zog eine positive Bilanz: „Dass es gelungen ist, die Menschen aus Ost und West zu einer einheitlichen Bundeswehr zu integrieren, in der sich niemand mehr dafür interessiert, ob man aus Ost oder West kommt, ist allzeit als wesentlicher Beitrag für das Zusammenwachsen des geeinten Deutschlands anerkannt und gewürdigt worden. Der Deutsche BundeswehrVerband nimmt für sich in Anspruch, an dieser Entwicklung wesentlichen Anteil gehabt zu haben.“

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