Soldaten der Bundeswehr und anderer Nationen am Northgate des Kabuler Flughafens: Die Einsatzkräfte waren stark belastenden Eindrücken ausgesetzt. Foto: Bundeswehr

Soldaten der Bundeswehr und anderer Nationen am Northgate des Kabuler Flughafens: Die Einsatzkräfte waren stark belastenden Eindrücken ausgesetzt. Foto: Bundeswehr

07.10.2021
Von Katja Gersemann

PTBS-Beauftragter zur Einsatzbelastung: „Dauerhaft starke Wutgefühle können ein Symptom sein”

Der Evakuierungseinsatz in Afghanistan stellte viele Soldaten vor bis dahin ungekannte Herausforderungen. Generalarzt Dr. Ralf Hoffmann, PTBS-Beauftragter im BMVg, erklärt, welche Belastung der Einsatz für die Psyche darstellt – und wie die Bundeswehr den Soldaten bei der Verarbeitung der Eindrücke helfen will.

Die Soldatinnen und Soldaten, die im Evakuierungseinsatz in Afghanistan eingesetzt waren, haben zum Teil stark belastende Eindrücke aus diesem Einsatz mitgenommen. Was macht das mit den Betroffenen?

Generalarzt Dr. Ralf Hoffmann: Die Soldaten, die im Evakuierungseinsatz in Kabul waren, haben auf der einen Seite eine herausragende militärische Leistung erbracht, auf der anderen Seite aber auch eine extrem belastende Situation erlebt. Die Sicherheitslage war sehr kritisch und es gab vor Ort große Herausforderungen im Hinblick auf „Moral Injuries“, moralische Verletzungen.

Der Begriff „Moral Injuries“ ist immer häufiger zu hören. Was genau ist denn unter „moralischen Verletzungen” zu verstehen?

Das sind Verwundungen, die sich nicht auf einer körperlichen Ebene abspielen, sondern die aus einem moralischen Konflikt mit dem Erlebten entstehen. Auslöser können Situationen sein, in denen beispielsweise in einem Einsatzland Wertvorstellungen herrschen, die mit unseren nicht zu vereinbaren sind. Oder wenn man nicht so handeln kann, wie man es aufgrund seiner eigenen Moralvorstellungen eigentlich möchte. Im konkreten Fall entwickelte sich bei vielen Soldatinnen und Soldaten im Evakuierungseinsatz eine Frustration, weil sie Menschen zurücklassen mussten. Sie waren in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt: Es gab eine große Zahl an Menschen, die Afghanistan dringend verlassen wollten, aber es konnten nicht alle mitgenommen werden. Dazu kam, dass die Evakuierung zwangsläufig unter den Augen der Taliban stattfinden musste, die das Umfeld des Flughafens in Kabul kontrolliert haben. Wer so etwas miterlebt hat, kann im Anschluss als Symptom einer moralischen Verletzung dauerhaft starke Scham- oder auch Wutgefühle entwickeln.

Das Tempo des Abzugs dürfte die Soldaten – vor allem die, die bereits mehrere Einsätze in Afghanistan absolviert haben – zusätzlich belastet haben?

Das ist richtig. Zahlreiche Kameraden waren zuvor zum Teil mehrfach in Afghanistan im Einsatz. Sie kannten das Land und waren mit Herzblut dabei und durch die Entwicklung der Ereignisse persönlich betroffen.

Wie kommt die Bundeswehr jetzt ihrer Fürsorgepflicht nach?

Bereits am Flughafen in Taschkent, der als Drehkreuz für die Evakuierung diente, hat ein Psychologe das erste Debriefing mit den Soldaten durchgeführt. Auch in Wunstorf, also direkt nach der Ankunft in Deutschland, hielten sich ein Psychologe und ein Arzt bereit. Jetzt legen wir unseren Fokus auf die Einsatznachbereitungsseminare. Der Leiter des Psychotraumazentrums am Bundeswehrkrankenhaus in Berlin, Oberstarzt Prof. Dr. Peter Zimmermann, wird dazu im Auftrag des Psychologischen Dienstes und in Zusammenarbeit mit der evangelischen Militärseelsorge ein „Train the Trainer“-Programm auflegen. Darin soll den Moderatoren aus den Einsatznachbereitungsseminaren in dreitägigen Seminaren in Berlin vermittelt werden, wie sie mit der besonderen Situation und den besonderen Fragestellungen umgehen können.

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