Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer betonte die Notwendigkeit der Veränderung für die Bundeswehr, um für die aktuellen und künftigen Herausforderungen besser aufgestellt zu sein. Foto: Bundeswehr

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer betonte die Notwendigkeit der Veränderung für die Bundeswehr, um für die aktuellen und künftigen Herausforderungen besser aufgestellt zu sein. Foto: Bundeswehr

11.06.2021
Yann Bombeke

Bundeswehrtagung mit Ministerin und GI: „Wir müssen mehr denn je dimensionsübergreifend denken, planen und auch kämpfen können“

Hybrid und vollständig öffentlich: Auch die diesjährige Bundeswehrtagung mit der Verteidigungsministerin und dem Generalinspekteur ist Corona-bedingt neue Wege gegangen. Was sie in diesem Jahr aber besonders spannend machte: Im Kern ging es um die kürzlich vorgestellten „Eckpunkte zur Zukunft der Bundeswehr“ und um deren Umsetzung.

Gleich in ihrem Eingangs-Statement stellte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die weltweit veränderte Sicherheitslage heraus, woraus sich auch für Deutschlands Streitkräfte die Notwendigkeit zur Veränderung und Anpassung ableitet. Dies ist für die Ministerin vor allem das Agieren Russlands: So habe der Kreml angekündigt, in den kommenden Jahren 20 neue militärische Großverbände aufstellen zu wollen, die vor allem an seiner westlichen Flanke stationiert werden sollen, hinzu kommen die engen militärischen Kooperationen Russlands mit Belarus und vor allem China. „Wir dürfen auch im Wahljahr diese langfristigen Entwicklungen nicht aus dem Blick verlieren“, warnte Kramp-Karrenbauer.

Mit Blick auf das Machtstreben Chinas, durchgesetzt auch mit Mitteln der Desinformation und der Propaganda, sagte Kramp-Karrenbauer: „Wenn wir in Deutschland und Europa angesichts dieser Ambitionen frei und sicher bleiben wollen, müssen wir wichtige Entscheidungen treffen für massive Investitionen in Technologien der Zukunft. Denn Wettbewerbsfähigkeit im Weltraum, bei der KI, im Cyberraum und beim Schutz der Datenströme wird entscheidend sein.“ Kramp-Karrenbauer warb für einen engen Schulterschluss der Europäer mit den USA. „Zur Verteidigung der Freiheit brauchen wir die Kraft des gesamten Westens.“

Auf diese vielfältigen potenziellen Bedrohungen müsse das gesamte System der Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet sein, so die Ministerin. „Es reicht nicht, wenn wir drei Jahre brauchen, um eine einsatzbereite VJTF aufzustellen“, sagte die Unionspolitikerin.

Kramp-Karrenbauer kündigt Bewertung des Afghanistan-Einsatzes an

Kramp-Karrenbauer ging in ihrer Rede auch auf die Einsatzgebiete der Bundeswehr ein. Nur wenig sei besser geworden, sagte sie mit Blick auf Einsätze in Afghanistan und Mali. So nehme die Gewalt in Afghanistan zu, wichtig sei es nun, „unsere Männer und Frauen heil und gesund nach Hause zu bringen“. Zudem müsse eine schnelle und großzügige Lösung für die Ortskräfte gefunden werden. Die Ministerin kündigte eine Bewertung des Einsatzes in Afghanistan an, die noch in diesem Sommer beginnen werde. Am Einsatz in Mali könne sich die Bundeswehr nur dann weiter beteiligen, wenn „absehbar wieder reguläre demokratische Verhältnisse herrschen“, so Kramp-Karrenbauer. Über die Lage im Krisenstaat in der Sahel-Zone werde man sicher auch in der kommenden Woche am Rande des Nato-Gipfels reden, sagte die Verteidigungsministerin. Man werde sich eng mit der französischen Regierung abstimmen.

Neben der Bedrohungslage und der Einsatzlage müsse man auch auf die Haushaltslage schauen. Kramp-Karrenbauer warnte davor, wie in der Vergangenheit die Bundeswehr als „Steinbruch“ zu nutzen, um Lücken im Haushalt zu schließen. „Haushaltspolitik ist Fürsorgepolitik für unsere Soldatinnen und Soldaten und für die Sicherheitslage in unserem Land“, sagte Kramp-Karrenbauer. Die Finanzlage für die Bundeswehr müsse für die nächsten Jahre nachhaltig gestärkt werden.

Zum im Mai vorgelegten Eckpunktepapier zur Zukunft der Bundeswehr sagte die Ministerin, dass die Signale aus der Truppe deutlich gewesen seien: „Ja, es muss sein und ja, es muss jetzt sein“, sagte sie mit Blick auf den Reformbedarf. „Wir wissen genau, was zu tun ist und warum mit den Eckpunkten einen neuen Kurs einschlagen sollen.“ Und weiter: „Der Umbaubedarf der Bundeswehr kennt keine Wahlperioden, er kennt nur Notwendigkeiten.“ Verbesserungen in der Beschaffungsorganisation und in der Nutzung sowie verkleinerte Stäbe zugunsten der Truppe seien einige der Ziele, die zu erreichen seien. „Stark, standfest und stolz – das ist die Bundeswehr, für die wir alle, für die ich im Ministerium, im Geschäftsbereich, aber auch im Parlament kämpfen“, sagte Kramp-Karrenbauer abschließend.

General Zorn: „Größtes Defizit bei der Führungsfähigkeit“

Anschließend erläuterte der Generalinspekteur der Bundeswehr die Strukturänderungen, die mit dem Eckpunktepapier verfolgt werden. Man unternehme zurzeit alles, um die Bundeswehr wieder für die Landes- und Bündnisverteidigung zu ertüchtigen, sagte General Eberhard Zorn. Die Bundeswehr erfülle eine ganze Reihe von Aufträgen gemeinsam mit den Alliierten, sei es durch das Engagement im Baltikum oder in Nord- und Ostsee sowie im Mittelmeerraum. Um all diese Aufträge zuverlässig zu erfüllen, „müssen wir sehr viel Kraft aufwenden und brauchen einen zeitlichen Vorlauf von oft deutlich mehr als einem Jahr“, stellte General Zorn fest. Jenseits der Kräfte des internationalen Krisenmanagements verfüge die Bundeswehr momentan nicht über Kräfte in größerem Umfang mit hohem Bereitschaftsgrad. „Das wollen und das müssen wir in Zukunft ändern“, sagte der GI. Nur schnell verfügbare und einsatzbereite Streitkräfte trügen zur Abschreckung bei, so Zorn.

Man habe sich 20 Jahre auf das internationale Krisenmanagement konzentriert. Nun dürfe man aber nicht den Fehler machen und das Ruder „komplett herumreißen“, so der General. Die internationalen Einsätze seien eine gleichzeitige und gleichrangige Aufgabe wie die Landes- und Bündnisverteidigung. „Unser Ziel ist es, die Einsätze künftig aus der Grundstruktur zu leisten und in Abhängigkeit von der Einsatzgröße wieder vermehrt Verbände, Einheiten oder Teileinheiten geschlossen in den Einsatz zu bringen.“

„Unser größtes Defizit sehe ich bei unserer Führungsfähigkeit“, sagte Zorn. „Wir haben uns gefragt: Wer führt in welchen Fällen was, wann und wen?“ Die derzeitige, stark auf das Krisenmanagement ausgerichtete Struktur weise für die gleichzeitige und gleichrangige Wahrnehmung der Landes- und Bündnisverteidigung Defizite auf, so Zorn. Mit den Eckpunkten habe man die Struktur weitergedacht. „Wir richten uns künftig an den vier Dimensionen Land, Luft- und Weltraum, See und Cyber- und Informationsraum aus, die alle von einem Inspekteur geführt werden, der die Funktion eines Truppenstellers wahrnimmt“, sagte der Generalinspekteur. Und weiter: „Zudem werden wir zwei operative Führungskommandos haben, eines für die Auslandseinsätze und eines für die territorialen Aufgaben.“ Das Einsatzführungskommando habe sich in den vergangenen 20 Jahren bewährt, etwas Vergleichbares brauche man nun für den territorialen Auftrag – das im Eckpunktepapier genannte Territoriale Führungskommando. Klare Verantwortlichkeiten und reduzierte Komplexität sind die erklärten Ziele.

Über die Jahre sei die Bundeswehr zu kopflastig geworden, erklärte Zorn. „Fakt ist: Mit sechs Inspekteuren haben wir mehr Inspekteure als jedes andere Nato-Land“, sagte der Generalinspekteur. Zudem gebe es eine große Ämterlandschaft und ein BMVg mit zehn Abteilungen. Die Struktur des BMVg und die gesamte Planungslandschaft werde daher ebenfalls betrachtet. „Auf operativer Ebene werden wir neben der Stärkung der territorialen Führungsfähigkeit auch eine nationale operative Planungsfähigkeit etablieren“, kündigte Zorn an. „Um in heutigen Konflikten zu bestehen, müssen wir mehr denn je dimensionsübergreifend denken, planen und auch kämpfen können“, sagte Zorn. Er habe daher die Erarbeitung einer operativen Leitlinie für den dimensionsübergreifenden Einsatz der Streitkräfte beauftragt.

Die Bundeswehr brauche einen breiten Fähigkeits-Mix, sagte Zorn abschließend, da Deutschland Anlehnungsnation für die europäischen Partner sei. „Das können wir aber nur sein, wenn wir breit anlehnbar sind“, so der GI. Zorn nannte als Beispiel für Defizite die Fähigkeit der Heeresflugabwehr, die man in ganz Europa nahezu zeitgleich aufgegeben habe. „Solche Entwicklungen gilt es künftig zu verhindern“, sagte General Zorn. Mit Blick auf die Einsatzbereitschaft sagte Zorn, dass Verbände schon heute mit der verfügbaren Ausstattung einsatzbereit sein müssten – auch wenn das angestrebte Fähigkeitsprofil erst in zehn Jahren erreicht werde. Zorn kündigte die Etablierung einer neuen Einsatzbereitschaftssystematik an: „Sie definiert in einem Zyklus abgestufte Einsatzbereitschaftszeiten, die von 7 bis maximal 360 Tagen reichen. So können wir für die Truppe gezielt Phasen der Be- und Entlastung steuern und der Nato und EU jederzeit schnell verlegbare, einsatzbereite und kampfkräftige Einsatzverbände bereitstellen, zusätzlich zu den langfristig eingeplanten Reaktionskräften.“

Zorn kündigte an, dass in der kommenden Woche die erforderlichen Weisungen herausgegeben werden. „Wir wollen schnell in die Umsetzung der entschiedenen Maßnahmen eintreten und die erforderlichen Untersuchungen beginnen“, sagte Zorn, und weiter: „Die im Eckpunktepapier benannten ersten Untersuchungsergebnisse werden bis September vorliegen. Die spürbare Umsetzung der strukturellen und organisatorischen Maßnahmen erfolgt dann ab dem ersten Quartal 2022.“ Der Prozess werde transparent und unter enger Einbeziehung der Beteiligungsgremien und Verbände durchgeführt, sagte General Zorn.

An die Reden der Verteidigungsministerin und des Generalinspekteurs schloss sich eine Diskussionsrunde mit Sicherheitsexperten an, in der auch Fragen der Zuschauer beantwortet wurden. Die vollständige Bundeswehrtagung hat das BMVg auf YouTube zur Verfügung gestellt.

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