Colin Powell bei seinem Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat am 5. Februar 2003, bei dem er behauptete, es gäbe verlässliche Hinweise, dass der Irak Massenvernichtungswaffen entwickeln würde. Zur dramatischen Untermalung hielt er ein Fläschchen in der Hand, das Anthrax hätte enthalten können. Foto: dpa/Clary

25.11.2021
Oliver Krause

Curveball – Wie der BND nur seine Arbeit machte und dafür viel Spott erntete

In den 90er Jahren stand der Irak unter Verdacht, Massenvernichtungswaffen zu besitzen. Ein irakischer Flüchtling lieferte westlichen Geheimdiensten wertvolle Hinweise dazu – doch die vermeintliche Hochwertquelle entpuppte sich als Hochstapler.

Deutschland tritt sicherheitspolitisch seit Jahren auf der Stelle. Der gesellschaftliche Diskurs kommt nicht voran. Der Blick auf die Sicherheitsorgane des Staates, die diesem seit Jahrzehnten treu dienen, ist im Kern ein misstrauischer. Vielleicht noch mehr als Polizei und Bundeswehr sind Deutschlands Nachrichtendienste von dieser Skepsis betroffen. Das zeigt sich einmal mehr in diesem Herbst: Während James Bond erneut die Welt rettet und – Achtung Spoiler – am Ende von „No time to die” sogar stirbt, läuft seit dem 9. September 2021 „Curveball – Wir machen die Wahrheit” in den deutschen Kinos. Premiere feierte der Film auf der Berlinale 2020, wurde mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ ausgezeichnet und mit öffentlichem Geld gefördert. Er erzählt, satirisch überspitzt, die Geschichte der gleichnamigen BND-Quelle. Der Film sei eine „bitterböse Politsatire“, schreibt der NDR in seiner Kritik, „die Fakten aber gründlich recherchiert und verlässlich.“ Kurzum: Während Bond jetzt also sogar sterben kann, sind seine deutschen Kollegen inkompetent. Gegen diese Darstellung wendet sich der Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland (GKND) unter anderem in einer Stellungnahme, die über seine Homepage aufgerufen werden kann. Aber der Reihe nach.

Wer war Curveball?

Curveball war der Deckname eines irakischen Flüchtlings, der – 1999 vom BND befragt – recht genaue Angaben zu technischen Anlagen machte, von denen er nicht wisse, wozu sie eingesetzt würden. Der BND nahm diesen Hinweis auf und gab ihn unter anderem an die Partner der CIA und Defence Intelligence Agency (DIA), der militärische Nachrichtendienst der US-Streitkräfte, weiter. Die Experten kamen zu dem Ergebnis, es könne sich um eine mobile Biowaffenproduktionsanlage handeln. Vor dem ersten Golfkrieg 1991 hatte der Irak ein groß angelegtes Programm zur Herstellung von biologischen und chemischen Waffen unterhalten. 1988 hatte die irakische Luftwaffe bekanntermaßen Giftgas gegen irakische Kurden eingesetzt. Bei dem Angriff starben zwischen 3000 und 5000 Menschen. Hinzu kommt, dass erst nach dem Einmarsch der US-geführten Koalitionstruppen und dem Beginn der UN-Inspektionen bekannt geworden war, dass der Irak auch ein Nuklearwaffenprogramm unterhalten hatte. Experten schätzen, dass der Irak damals nur noch etwa zwei bis drei Jahre gebraucht hätte, um in den Besitz einer eigenen Atombombe zu gelangen. Der Hinweis von Curveball war also plausibel. Er kam zu einer Zeit, als die internationale Gemeinschaft nicht sicher war, ob der Irak sein komplettes ABC-Waffenprogramm offengelegt und aufgegeben hatte. Davon abgesehen, gehört es zu den vornehmsten Pflichten des BND, Proliferationsbestrebungen frühzeitig zu erkennen, um Schaden von der Bundesrepublik Deutschland und ihren Verbündeten fernzuhalten.

Hat sich der BND täuschen lassen und so den Grund für den Irakkrieg 2003 geliefert?

Am 5. Februar 2003, nur zwei Monate später sollten amerikanische Bodentruppen vor Bagdad stehen, beschuldigte der damalige amerikanische Außenminister Colin Powell den Irak vor dem UN-Sicherheitsrats im Besitz von Massenvernichtungswaffen zu sein – und bezog sich dabei auf Curveball, ohne diesen freilich zu benennen. Er sprach von „firsthand descriptions of biological weapons factories on wheels and on rails“. Seine Quelle sei „an eyewitness who supervised one of these facilities“. Dr. Hans-Dieter Herrmann gehörte damals als Waffenexperte des BND zur Delegation von Joschka Fischer – und fiel bei den Worten Powells eigenen Angaben zufolge fast vom Stuhl. „Powell sprach von mehreren Quellen, die die Existenz von Massenvernichtungswaffen bestätigen würden. Richtig ist: Der BND hatte den Curveball-Hinweis an mehrere amerikanische Partnerdienste weitergeleitet, damit diese ihn überprüfen könnten, wusste aber nichts von anderen Quellen. Weil die US-Dienste sich untereinander aber nicht absprachen, gab es plötzlich mehrere Quellen“, erklärt der Ex-Agent und GKND-Vorsitzende.

Obwohl der BND zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht wusste, dass Curveball ein Hochstapler war, hatte er dessen Berichte nie kritiklos übernommen und als gesicherte nachrichtendienstliche Erkenntnis weitergegeben. Im Gegenteil: Kurz vor Weihnachten 2002 hatte der damalige BND-Chef August Hanning an seinen CIA-Counterpart George Tenet geschrieben. Die Curveball-Berichte „wurden im Kern als plausibel und glaubhaft beurteilt, können jedoch nicht bestätigt werden“, so Hanning unmissverständlich in seinem Brief. Legendär ist indes der Auftritt von Joschka Fischer drei Tage nach der berüchtigten New Yorker Sitzung auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Wohl nicht grundlos hielt der grüne Außenminister einem versteinerten US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entgegen: I’m not convinced! Ich bin nicht überzeugt!

Spott statt Anerkennung

Entgegen der verbreiteten Meinung hat der BND also nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die amerikanischen Verbündeten vor dem Irakkrieg über Wert und Belastbarkeit der Quelle Curveball informiert. Das hat bereits 2004 das Select Committee on Intelligence des amerikanischen Senats in seiner Untersuchung zum Vorgang festgestellt. Curveball ist also keine „Geheimdienstaffäre“, sondern ein Beispiel, wie Nachrichtendienste politisch instrumentalisiert werden. Der BND verdient Anerkennung, keinen Spott.

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