Im Rahmen der Ausbildungsunterstützung wurden ukrainische Soldaten unter anderem in der Beseitigung von Minen trainiert. Foto: Bundeswehr

Im Rahmen der Ausbildungsunterstützung wurden ukrainische Soldaten unter anderem in der Beseitigung von Minen trainiert. Foto: Bundeswehr

05.02.2024
Von Andreas Marlow

Die Lehren für die Landstreitkräfte aus dem Ukrainekrieg

Zu den wesentlichen „Lessons Identified“ gehören eine permanente Bedrohung von Führungseinrichtungen und logistischen Einrichtungen, die Bedrohung durch Drohnen, der elektronische Kampf und die Relevanz des engen Zusammenspiels von Aufklärung und Wirkung.

Der russische Angriff auf die Ukraine wird in diesem Monat in das dritte Kriegsjahr gehen. Der Konflikt hat sich seitdem stetig verändert. Als es den Ukrainerinnen und Ukrainern 2022 gelang, den russischen Überfall auf Kiew abzuwehren, waren die meisten Beobachter vom Erfolg der Ukraine noch überrascht, weil die russischen Fähigkeiten über- und die ukrainischen unterschätzt wurden.

Heute wissen wir, dass sich der ukrainische Erfolg – neben schwerwiegenden Fehleinschätzungen der russischen Staats- und Armeeführung – auf die zielstrebigen Vorbereitungen auf einen Abwehrkampf seit der Annexion der Krim in 2014 zurückführen lässt. Es gelingt der Ukraine mit dem Durchhaltewillen der Bevölkerung, der schnellen Anpassungsfähigkeit ihrer Streitkräfte und der seitdem erfolgten Unterstützung durch ihre Partner, Russland die Stirn zu bieten.

Ein moderner Krieg

Es ist deutlich zu erkennen, dass dieser Krieg moderner Prägung von Beginn an wichtige Lehren auch für die deutschen Landstreitkräfte bereithält. Die Folgerungen daraus müssen wir umzusetzen, um uns vor zukünftigen Überraschungen zu schützen. Dabei müssen wir einen Blick auf die Erfolge und Misserfolge beider Kriegsparteien werfen und diese systematisch einordnen.

Dazu wertet des Kommando Heer die Beobachtungen aus dem Ukrainekrieg für die Landstreitkräfte seit Mitte 2022 aus. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden der Truppe regelmäßig zur Verfügung gestellt, vergleichbar mit dem früheren „Auswertung aus dem Einsatz“-Format.

Einige der Beobachtungen werden Eigenheiten des Ukrainekrieges bleiben, wie z.B. die Art und Weise, wie der Krieg in der Luft geführt wird. Doch aus Beobachtungen, welche sich auf andere Konflikte verallgemeinern lassen, muss das Deutsche Heer eigene Lehren ziehen und auch Anpassungen der Ausbildung, der Ausrüstung und der Strukturen der Landstreitkräfte vornehmen.

Zu den wesentlichen „Lessons Identified“ aus dem Ukrainekrieg gehören: eine permanente Bedrohung von Führungs- und logistischen Einrichtungen auf dem „gläsernen“ Gefechtsfeld, Bedrohung durch Drohnen und Drohnenabwehr, elektronischer Kampf und die Relevanz des engen Zusammenspiels von Aufklärung und Wirkung (der sogenannte „Sensor to Shooter Loop“).

Bedeutung von Drohnen und Loitering Munition

Nach meiner persönlichen Bewertung sind aus diesen Aspekten vor allem für zwei Phänomene des Ukrainekrieges vordringlich Lösungen zu finden: 1. Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Drohnen auf den unterschiedlichen Führungsebenen sowie 2. des Einsatzes von weitreichenden Waffensystemen wie Raketenartillerie, aber auch First Person View-Drohnen, Panzerabwehrraketen und Loitering Munition, die unsere Vorstellung von der Duellsituation zwischen gepanzerten Fahrzeugen möglicherweise verändern werden.

Schon der 2020 ausgebrochene Konflikt um die Region Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan warf ein Schlaglicht auf die Bedeutung von Drohnen und Loitering Munition in künftigen Konflikten. Dabei kamen fast ausschließlich speziell für das Militär gebaute Drohnen zum Einsatz.

Drohnenkrieg

In der Ukraine werden auch massenweise preiswerte und handelsübliche Drohnen zur Aufklärung und als Wirkladungsträger eingesetzt, letztere sind vor allem Hand- und Mörsergranaten. Neben der physischen Wirkung der Drohnen üben diese auch einen erheblichen psychologischen Effekt auf die Soldaten beider Seiten aus. Dies wird uns seitens der Ukrainer im Rahmen der Ausbildung in Deutschland regelmäßig berichtet.

Für das Deutsche Heer ergeben sich aus dem Einsatz von Drohnen zwei Handlungsfelder. Zum einen müssen wir selbst Kleinstdrohnen als Mengenverbrauchsgut begreifen. Ausgehend von den hohen Verlustzahlen von Drohnen im Ukrainekrieg, müssen diese Kleinstdrohnen günstig und schnell verfügbar sein. Dieser Einkauf ähnelt dabei mehr dem von Munition als der Beschaffung neuer Waffensysteme.

Umgang mit feindlichen Drohnen

Dabei gilt wie immer: Nur wenn die Soldatinnen und Soldaten in der Ausbildung und Übung Gelegenheit hatten, mit den Systemen zu üben, werden sie diese auch im Gefecht wirkungsvoll einsetzen können. Umgekehrt lernen die Soldaten bei Zwei-Parteien-Übungen dann auch den Umgang mit feindlichen Drohnen. Dazu gehört die Aufklärung von Kleinstdrohnen durch Luftraumbeobachtung oder deren Detektion mittels technischer Lösungen sowie der Einsatz von effektiven Täusch- und Tarnmaßnahmen.

Aktive und passive Schutzsysteme müssen auch gegen Panzerabwehrraketen und Loitering Munition wirksam werden. Ein Beispiel dafür ist das Multifunktionale Selbstschutzsystem (MUSS) des Schützenpanzers PUMA, welches laser- und drahtgelenkte Flugkörper abwehren kann. Zur Weiterentwicklung abstandsfähiger Waffensysteme werden vor allem die mittleren Kräfte beitragen. Diese Kräftekategorie ist, um die operative Beweglichkeit zu erreichen, konzeptionell allerdings weniger durchsetzungsfähig in Duellsituationen als die schweren Kräfte der Panzertruppen. Um sich trotzdem gegen schwere Kräfte durchsetzen zu können, müssen sie im Kampf in der Lage sein, den Feind bereits auf Abstand abzunutzen.

Weitreichende Waffensysteme

Hieran schließt das zweite Handlungsfeld an. Das Heer muss zur Drohnenaufklärung und -abwehr Taktiken entwickeln und technische Systeme beschaffen. Die Fähigkeit zur Aufklärung und Abwehr von Drohnen muss in allen Räumen des Gefechtsfeldes verfügbar sein: Am vorderen Rand der Verteidigung zum Schutz von Soldatinnen und Soldaten in Grabensystemen und begleitend im Angriff von gepanzerten Kräften, aber auch in rückwärtigen Räumen zum Schutz logistischer Einrichtungen und von Gefechtsständen.

Zusätzlich müssen die Wirkmittel dieser Drohnenabwehrsysteme aufgrund der zu erwartenden Masse an Feindsystemen sowohl zuverlässig als auch günstig sein. Ein System allein kann diesen Forderungen nicht gerecht werden; erst eine Mischung aus elektronischen Abwehrmaßnahmen, Handwaffen sowie Kanonen- und Raketenflugabwehrsystemen ermöglichen einen wirkungsvollen Schutz.

2.500 verlorene Kampfpanzer 

Westlichen Schätzungen zufolge haben die russischen Streitkräfte seit 2022 über 2.500 Kampfpanzer im Verlauf des Ukrainekrieges verloren. Mehr als zwei Drittel sollen durch weitreichende Waffensysteme, wie Artillerie, Loitering Munition oder Panzerabwehrraketen vernichtet worden sein. Nur ein geringer Anteil wurde im Feuerkampf gegen den überraschend auftretenden Feind im Nahbereich – den sogenannten Duellsituationen – vernichtet. Um den Schutz unserer Kampf- und Schützenpanzer weiter zu steigern, wird es daher nicht ausreichen, die Stärke der Panzerung gegen feindliche Panzergeschosse zu erhöhen.

Duellsituationen werden aus Konflikten nicht vollständig verschwinden. Es wird künftig jedoch für alle Kriegsparteien darauf ankommen, den schweren Kräften technisch durch Schutzsysteme und abstandsfähige Waffen den Einsatz der eigenen Hauptwaffensysteme zu ermöglichen, und zu definieren, wie diese Kräfte taktisch unter den gegebenen Rahmenbedingungen am besten zur Wirkung kommen.

Schlussbemerkungen

Um den beiden aufgezeigten Beobachtungen gerecht zu werden, müssen nicht nur neue Waffensysteme entwickelt, erprobt und eingeführt werden, sondern auch die Beschaffung selbst innovationsfähig gestaltet werden. Der Krieg in der Ukraine zeigt, wie schnell beide Konfliktparteien sich an neue Systeme und Techniken anpassen können. Eine Drohne, welche gestern noch zuverlässig eingesetzt werden konnte, kann heute bereits durch effektivere elektronische Gegenmaßnahmen gestört werden. Die begleitende Weiterentwicklung eines Systems muss also schon bei der Beschaffung ermöglicht werden. Mittlere Kräfte sind der Innovationsträger für das Deutsche Heer. Ihre Fähigkeiten zum abstandsfähigen Kampf werden auch Auswirkungen auf die leichten und schweren Kräfte haben. Zudem wird die strukturelle Schwäche des Deutschen Heeres bei weitreichenden Waffensystemen durch die Neuaufstellung von Artillerieverbänden schrittweise abgebaut. Dies wird unsere Kampfkraft signifikant erhöhen.

Landstreitkräfte müssen glaubhaft abschrecken

Die Zeit, um das Deutsche Heer für diese Lehren aufzustellen, ist kurz. Russland konnte in den vergangenen Jahren seine Wirtschaft auf die Herstellung großer Mengen an Munition und Waffensystemen umstellen. Auch wenn die Ukraine schließlich erfolgreich sein wird, scheint es bis zu Ende des Jahrzehnts wahrscheinlich, dass Russland die Verluste aus dem Ukrainekrieg kompensiert haben wird. Das Potenzial für eine Aggression gegen die NATO wird vermutlich vorhanden sein. Zudem werden die russischen Streitkräfte ebenfalls aus dem Krieg lernen. Dadurch wachsen auch die Anforderungen an uns für kriegstüchtige Landstreitkräfte.

Um künftige Konflikte in Europa zu verhindern, müssen Landstreitkräfte glaubhaft abschrecken können. Dafür müssen sie voll ausgestattet, durchhaltefähig, aufwuchsfähig und sehr gut ausgebildet sein. Um dies zweckmäßig zu erreichen, müssen wir unsere eigenen Streitkräfte fortwährend an die Erkenntnisse aus den Beobachtungen des Krieges anpassen und damit kontinuierlich einsatzbereit für die Landes- und Bündnisverteidigung halten.

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