Wehrhafte Finnen: Mit seinem aggressiven Nachbarn im Osten, früher war es die Sowjetunion, heute Russland, hat Finnland schon Erfahrungen gemacht. Foto: picture alliance

17.07.2022
Von Yann Bombeke

Finnland: Nur eine kleine Armee, aber eine riesige Reserve

Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das den Weg für den NATO-Beitritt von Schweden und Finnland freimacht. Beide Staaten geben damit eine lange Tradition der Neutralität auf. Hier blicken wir auf den Beitrittskandidaten Finnland.

Mit dem Beitritt Finnlands zur NATO wächst die gemeinsame Grenze des Bündnisses mit Russland mit einem Schlag um mehr als 1300 Kilometer. Allein diese Zahl verdeutlicht die strategisch herausgehobene Position des Landes, das eine wechselvolle Geschichte mit Russland verbindet.

Mit seinem Angriff auf die Ukraine zielte Wladimir Putin auch darauf ab, die NATO von Russlands Grenzen zu entfernen und das Bündnis zu schwächen. Mit dem Beitritt Schwedens und Finnlands hat der russische Machthaber jetzt aber noch mehr NATO vor der eigenen Haustür – diese Rechnung des Kremls ist ganz offensichtlich nicht aufgegangen.

Dass Finnland nun angesichts der russischen Aggression in der Ukraine seine Neutralität aufgibt und sich in den Schoß der NATO begibt, ist nachvollziehbar. Ein Blick in die Geschichte des noch relativ jungen Landes genügt. Seine Unabhängigkeit von Russland erlangte Finnland 1917, nachdem die Februarrevolution dort das Zarenregime beendet hatte. Mit der Sowjetunion schloss Finnland 1920 einen Friedens- und Grenzvertrag. Knappe 20 Jahre später scherte sich Josef Stalin wenig um dieses Papier: Der sowjetische Diktator ließ am 30. November 1939 seine Rote Armee in das deutlich kleinere Nachbarland einfallen – es war der Beginn des sowjetisch-finnischen Winterkrieges.

Zahlenmäßig deutlich unterlegen, bewährten sich die finnischen Streitkräfte unter ihrem Oberbefehlshaber Carl Gustaf Emil Mannerheim in zahlreichen Abwehrschlachten und fügten dem übermächtigen Gegner hohe Verluste zu. Dennoch musste sich Finnland dem Druck beugen und Teile seines Staatsgebiets an den aggressiven Nachbarn abgeben.

Im Zweiten Weltkrieg kämpfte Finnland bis 1944 an der Seite Hitler-Deutschlands gegen den gemeinsamen Feind, schloss dann aber einen Separatfrieden mit der Sowjetunion. Bis zum Ende des Kalten Krieges und dem Beitritt in den Europarat 1990 verhielt sich Finnland strikt neutral. In der Folge kam es zu militärischen Kooperationen mit NATO und EU, zu der das Land 1995 beitrat. So beteiligten sich finnische Soldatinnen und Soldaten an internationalen Einsätzen, etwa auf dem Balkan oder in Afghanistan. Gemeinsame Übungen mit der NATO sind seit Jahren eine Selbstverständlichkeit.

Und doch war der 24. Februar 2022 auch für die Finnen eine Zeitenwende, ein Schock, der böse Erinnerungen weckte an den Winter 1939/1940, als die Sowjets einmarschierten. Unter dem Eindruck des brutalen russischen Angriffskrieges in der Ukraine dauerte es nur wenige Wochen, bis sich eine deutliche Mehrheit der Finnen für einen NATO-Beitritt aussprach. Im Mai reichte das Land gemeinsam mit Schweden den Beitrittsantrag in Brüssel ein.
 
Auf dem Papier bringt Finnland eine relativ kleine Armee in die NATO ein – rund 23.000 Männer und Frauen dienen in den Streitkräften. Doch im Ernstfall können bis zu 900.000 Reservisten mobilisiert werden – ein beeindruckender Wert bei einer Bevölkerung von lediglich 5,5 Millionen Menschen. Das Militärbudget lag 2021 bei 6,3 Milliarden US-Dollar.

Neben der langen Landesgrenze zu Russland sind die zu Finnland gehörenden, jedoch militärisch neutralen und entmilitarisierten Åland-Inseln in der Ostsee eine Herausforderung für die finnische Verteidigungsplanung. Zwischen Schweden und Finnland, zwischen Stockholm und Helsinki gelegen, könnten die Inseln im Ernstfall zum Ziel Russlands werden. Sie sind, so der Professor und frühere finnische Präsidentenberater Alpo Rusi gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, „die Achillesferse der finnischen Verteidigung“.

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