Damals ein Grund zum Jubeln: Die NATO-Russland-Grundakte wurde von Russlands Staatspräsident Boris Jelzin und NATO-Generalsekretär Javier Solana (r.) am 27. Mai 1997 in Paris unterzeichnet. Foto: picture-alliance/dpa

19.07.2022
Von Gunnar Kruse

Kaum noch das Papier wert

Mit der Unterzeichnung der sogenannten NATO-Russland-Grundakte schien das Verhältnis zwischen dem Westen und dem Nachfolgestaat der einstigen Sowjetunion endgültig von gegenseitigem Respekt und dem Willen nach Frieden geprägt zu sein. Doch 25 Jahre später ist davon so gut wie nichts mehr übrig.

Die NATO und Russland betrachten einander nicht als Gegner. Beide wollen ein stabiles, friedliches und ungeteiltes, geeintes und freies Europa – zum Nutzen aller seiner Völker. In Anbetracht der seit Jahren von Russland annektierten Krim und Putins Krieg gegen die Ukraine klingen diese Sätze merkwürdig irreal. Und doch sind diese Zeilen Teil einer bis heute gültigen Absichtserklärung: der NATO-Russland-Grundakte. Das Papier mit dem offiziellen Titel „Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der NATO und der Russischen Föderation“ wurde am 27. Mai 1997 in Paris von Russlands Präsident Boris Jelzin, NATO-Generalsekretär Javier Solana sowie den Staats- und Regierungschefs aller NATO-Mitgliedstaaten beim NATO-Gipfel unterzeichnet.
Vor 25 Jahren war dieser Schritt ein ganz besonderer. Denn in den Jahren zuvor hatten sich nach dem Ende der Sowjetunion mehrere Staaten wie beispielsweise Estland, Litauen und Lettland aus dem Bund gelöst und ihre Unabhängigkeit erklärt. Sie strebten, wie andere Länder, die einst zum von Moskau dominierten Ostblock gehört hatten, nun Richtung EU- und NATO-Mitgliedschaft. Gerade eine wachsende NATO-Gemeinschaft wurde in Russland misstrauisch gesehen. Und auch intern gab es große Probleme. Die einstige Supermacht hatte Anfang der 90er-Jahre mit enormen wirtschaftlichen Verwerfungen zu kämpfen – war aber immer noch Atommacht, wenn auch der Zustand der russischen Armee vollkommen desolat war.

Um das zusammenbrechende Land in dieser Lage nicht alleinzulassen, bemühten sich der Westen und die NATO um Ausgleich. Mit der NATO-Russland-Grundakte 1997 wurde dies schriftlich fixiert. Grundsätzlich verfolgt die Vereinbarung eine Zwei-Säulen-Strategie: NATO-Osterweiterung und die Reform des Verhältnisses von NATO und Russland. „Im Mai 1997 haben wir genau das hingekriegt, nämlich das Projekt einer grundsätzlich veränderten Beziehung zwischen der NATO und Russland, den später so genannten NATO-Russland-Rat. Damals hieß der noch ein bisschen anders, aber die Idee war dieselbe: ein gemeinsames Beratungsgremium, gemeinsame Verpflichtungen zur Transparenz.“ So erinnerte sich Wolfgang Ischinger, früherer Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, im Deutschlandfunk an die damaligen Erwartungen.

Wesentlichen Punkt schwer verletzt

„Im Zuge der Stärkung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) werden die NATO und Russland zusammenarbeiten, um jede Möglichkeit einer Rückkehr zu einem Europa der Spaltung und Konfrontation oder der Isolierung irgendeines Staatesauszuschließen“, heißt es vor einem Vierteljahrhundert denn auch optimistisch. Doch mit dem Kaukasuskrieg in Georgien 2008, vor allem aber mit der Annexion der Krim 2014 und dem aktuell anhaltenden völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine hat Russland mittlerweile mehrfach einen der wesentlichen in der Grundakte vermerkten Punkte schwer verletzt: die Unverletzlichkeit von Grenzen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die im Gegenzug 2016 beschlossene NATO-Beistandsinitiative enhanced Forward Presence (eFP) ist hingegen sehr wohl mit der Grundakte in Einklang zu bringen. Um sie einzuhalten, sind die vier NATO-Battlegroups in den baltischen Staaten und Polen nämlich keine fest stationierten Verbände, sondern bestehen seit 2017 aus rotierenden Einheiten.

Hier finden Sie einen Beitrag des Deutschlandfunks zu 25 Jahren NATO-Russland-Grundakte. Auf der Homepage der NATO ist der vollständige Text der NATO-Russland-Grundakte nachzulesen.

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