Welches Modell soll das Sturmgewehr G36 bei der Bundeswehr beerben? Aufgrund des Patentstreits zwischen Heckler & Koch und C.G. Haenel könnte sich das Vergabeverfahren in die Länge ziehen. Das BMVg will ein Gutachten von einem unabhängigen Patentanwalt in Auftrag geben. Foto: Bundeswehr/Carl Schulze

Welches Modell soll das Sturmgewehr G36 bei der Bundeswehr beerben? Aufgrund des Patentstreits zwischen Heckler & Koch und C.G. Haenel könnte sich das Vergabeverfahren in die Länge ziehen. Das BMVg will ein Gutachten von einem unabhängigen Patentanwalt in Auftrag geben. Foto: Bundeswehr/Carl Schulze

27.10.2020
Yann Bombeke

Lehren aus dem Sturmgewehr-Vergabeverfahren: Bessere Kontrolle soll es in Zukunft richten

Berlin. Nach der heftigen Kritik am Ablauf des Vergabeverfahrens um die Nachfolge des Sturmgewehrs G36 versucht das Verteidigungsministerium, nun Druck vom Kessel zu nehmen. In einer Pressemitteilung und einer Unterrichtung an die Obleute des Verteidigungsausschusses wird das bisherige Vergabeverfahren aus Sicht des Ministeriums wiedergegeben. Mehr noch: Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer will mit besseren Kontrollmechanismen Pannen vor allem bei Beschaffungsvorhaben, die einen Wert von 25 Millionen Euro überschreiten, in Zukunft vermeiden.

In seiner Mitteilung stellte das BMVg klar, dass das Vergabeverfahren zum „Projekt System Sturmgewehr“ nicht aufgehoben worden sei. Die Vergabestelle des Bundes hatte zunächst am 15. September bekanntgegeben, dass die Firma C.G. Haenel als Ausschreibungssieger aus dem Vergabeverfahren um die Nachfolge des G36 hervorgegangen war. Diese Entscheidung wurde am 9. Oktober wieder kassiert, als bekannt wurde, dass der unterlegene Wettbewerber Heckler & Koch der Firma Haenel Patentrechtsverletzungen vorwirft. Die Opposition reagierte mit beißender Kritik: Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) etwa sprach von „Chaos bei der G36-Nachfolge“.

Nun wurde auch bekannt, worauf sich die Vorwürfe von Heckler & Koch beziehen: Es geht um eine Patentrechtsverletzung bei der so genannten „Over-the-Beach“-Fähigkeit. Laut der Erläuterung des BMVg geht es vereinfacht gesagt darum, dass die Waffe nach einem Untertauchen im Wasser schussfähig bleibt. Von dieser möglichen Patentrechtsverletzung habe das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) schon am Rande der Vergleichserprobungen, die von April bis September 2018 andauerten, „informell Kenntnis“ erhalten. Das Bundesamt habe die Hinweise allerdings nicht unmittelbar weiterverfolgt, da keine rechtliche Verpflichtung dazu bestanden habe.

In der Folge der Vergleichserprobungen besserten die Unternehmen – Heckler & Koch ging mit zwei Waffen ins Bieterrennen, C.G. Haenel mit einem Modell – ihre angebotenen Produkte nach, denn kein Modell hatte sämtliche „Muss-Forderungen“ des BMVg erfüllt. Nun genügten alle drei Waffentypen den Anforderungen und erfüllten „die sehr hohen technischen Präzisionskriterien für die Nachfolge des G36“, so das BMVg. Bis Juni 2020 übermittelten schließlich die beiden Bieter ihre letztverbindlichen Angebote („Best-And-Final-Offer“, BAFO) an das BAAINBw.

Nach der Abgabe des BAFO gilt ein Verhandlungsverbot, Oppositionspolitiker von Grünen und FDP hätten jedoch Hinweise darauf, dass es zu Nachverhandlungen mit Haenel gekommen sei, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ Mitte Oktober. Auch auf diesen Vorwurf wird im Schreiben des BMVg an die Verteidigungsobleute eingegangen: So sei eine Aufklärung, die sich darauf beschränkt, widersprüchliche Angaben in den Angeboten aufzuklären, zulässig und geboten. Dem Bieter soll damit die Möglichkeit gegeben werden, Widersprüche im Vorfeld aufzuklären, bevor das Angebot aufgrund formaler Fehler ausgeschlossen wird. Deshalb sei das BAAINBw nach Abgabe des BAFO mit beiden Bietern in Kontakt getreten, um Rechenfehler, Ungenauigkeiten und Widersprüche auszuräumen.

Bei den festgestellten Ungenauigkeiten ging es etwa um Angebotsangaben zu den so genannten STANAG-Schienen, dies sind Nato-weit genormte Montageschienen für Zubehör von Handfeuerwaffen. Das BMVG räumte ein, dass „möglicherweise die Vergabeunterlagen des BAAINBw Missverständnisse hervorgerufen hatten“.
Nach Auswertung aller Unterlagen sei schließlich das BAAINBw zu dem Ergebnis gekommen, dass die Firma C.G.Haenel das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hatte, worüber Heckler & Koch am 15. September informiert worden sei. Heckler & Koch habe diese Entscheidung gerügt und auf Patentverletzungen bezüglich eines Magazins und der „Over-the-Beach“-Fähigkeit verwiesen.

BMVg: Keine Hinweise auf Befangenheit im BAAINBw

BMVg und BAAINBw vermögen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend zu klären, inwieweit die Patentvorwürfe berechtigt sind. Alle Bieter hätten sich verpflichtet, die Schutzrechte Dritter zu wahren. Da aber eine Patentrechtsverletzung durch Haenel nicht auszuschließen sei, habe das BAAINBw am 9. Oktober beschlossen, das Verfahren zu stoppen und wieder in den Stand „Angebotswertung“ zu versetzen. Zurzeit werde geprüft, wie sich die patentrechtliche Problematik auf den weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens auswirkt, ein unabhängiger Patentanwalt soll für das BMVg ein Gutachten erstellen.

Das Ministerium hält jedenfalls daran fest, dass sich keinerlei Hinweise auf befangene Entscheidungen ergeben hätten. Auch dieser Vorwurf stand laut dem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ im Raum. Die Gleichbehandlung der Bieter sei jederzeit sichergestellt gewesen, so das BMVg.

Künftig wollen BAAINBw und BMVg die Qualitätssicherung in technischen und betriebswirtschaftlichen Fragen verbessern. Wenn es etwa in einem Vergabeverfahren Anzeichen gibt, dass Patentrechte betroffen sein könnten, soll die Vergabestelle dem direkt nachgehen. Auch sollen die amtlichen Unterlagen zum Vergabeverfahren angepasst werden, um den Nachfragebedarf bei Unklarheiten zu minimieren.

Zudem soll in Zukunft in der Auswertung von Vergabeverfahren mit einem Volumen von mehr als 25 Millionen Euro im BAAINBw eine Expertenkommission aus technischen, betriebswirtschaftlichen und juristischen Experten gebildet werden. Diese Experten sollen zuvor nicht in das Verfahren involviert gewesen sein und damit den jeweiligen Vorgang unvoreingenommen beurteilen können.

Nun bleibt offen, um wieviel Zeit das „Projekt System Sturmgewehr“ zurückgeworfen wird – Patentstreitigkeiten können bekanntlich langwierig sein. Zum Glück verfügt die Truppe ja aktuell über das G36. Und das ist laut BMVg eine „leistungsfähige Standardwaffe“.

Mit Rat und Hilfe stets an Ihrer Seite!

Nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Alle Ansprechpartner im Überblick