Soldaten der Bundeswehr im Einsatz: Die Truppe muss für die Landes- und Bündnisverteidigung ausgebildet und ausgerüstet werden. Foto: Bundeswehr

Soldaten der Bundeswehr im Einsatz: Die Truppe muss für die Landes- und Bündnisverteidigung ausgebildet und ausgerüstet werden. Foto: Bundeswehr

09.05.2021
DBwV

Problemfall Bundeswehr: Anpassungsbedarf gleich in dreierlei Hinsicht

Mit dem Weißbuch 2016, der Konzeption und schließlich dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr aus 2018 wurden grundlegende politische Anpassungen im Auftrag unserer Bundeswehr vorgenommen. Waren die Führungs- und Organisationsstrukturen bislang einseitig an Einsatz-Szenarien wie Afghanistan ausgerichtet, sollen sie jetzt auch den Erfordernissen der Landes- und Bündnisverteidigung gerecht werden. Dieses Vorhaben kommt zwar spät, aber immerhin: Es kommt.

Es ist zwar weiterhin damit zu rechnen, dass die Bundeswehr nach wie vor noch kleinere Kontingente im Rahmen des internationalen Krisenmanagements zur Verfügung stellen können muss. Die Latte für ein größeres Stabilisierungsengagement „out of area“ liegt allerdings vor dem Hintergrund der in Afghanistan gewonnenen Erfahrungen in Zukunft enorm hoch.

Dazu kommt ein größerer Anteil an den Lasten innerhalb der Nato und damit ein substanzieller Beitrag zur Bündnisverteidigung und der internationalen Sicherheitsarchitektur. Das fordern unsere Bündnispartner, das haben wir politisch zugesagt. Das bedeutet nicht, dass wir wie vor 1990 zwölf Heeresdivisionen an der innerdeutschen Grenze aufreihen müssen. Aber es heißt, dass wir drei Heeresdivisionen brauchen, die vollausgestattet, agil, reaktionsschnell und schlagkräftig überall dorthin verlegt werden können, wo das Bündnis oder auch EU und UN sie braucht. Das gilt auch für unsere Fähigkeiten in den Dimensionen Luft, See und Cyber.

Dadurch ergibt sich ein Anpassungsbedarf, der seinen Grund diesmal nicht in Sparauflagen hat wie im Jahr 2010. Seine Gründe liegen in den sicherheitspolitischen Entscheidungen aus den letzten Jahren sowie der zurecht eingenommenen Rolle Deutschlands.

Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, dass es zu enormen Reibungsverlusten gekommen ist, weil unsere Führungs- und Organisationsstrukturen lediglich an den Auslandseinsätzen ausgerichtet sind, während tatsächlich bereits die Bündnisaufgaben zugenommen haben – beispielsweise die Beiträge zur NRF und der VJTF. Daher haben nicht nur der Deutsche BundeswehrVerband, sondern auch die Wehrbeauftragten Forderungen in Bezug auf Material, Personal und Infrastruktur formuliert und zugleich Anpassungsbedarf bei Führungs- und Organisationstrukturen aufgezeigt.

Der in der vergangenen Woche veröffentlichte Bericht zu dem 2017 gestarteten Programm „Innere Führung – heute“, an dem über 800 zivile sowie militärische Führungskräfte teilgenommen hatten, hat die Auffassung bestätigt, dass es neben allgemeinen Führungserschwernissen im Kern um zwei offene Problemfelder geht. Zum einen die Probleme im Bereich „Prozesse, Schnittstellen und Zuständigkeiten“ und zum anderen um das Verhältnis von Auftrag, Kräften und Ressourcen.

Deren Auswirkungen müssen, darüber herrscht innerhalb der Bundeswehr weitestgehend Einigkeit, schnellstmöglich angegangen werden: Sie lähmen die Organisation und ihre Effektivität. Das betrifft nicht nur den Bereich der Streitkräfte, sondern auch die Verwaltung und vor allem das weiter zu optimierende Beschaffungswesen.

Insgesamt brauchen wir endlich eine bruchfreie Führungs- und Steuerungsfähigkeit, einen klaren Verantwortungs- und Ressourcenzuschnitt, und zwar von der taktischen bis zur strategischen Ebene. Zugleich müssen durch eine bessere Funktionalität der Strukturen und Verfahren und einer weiteren Dezentralisierung die Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr für alle Szenarien im In-wie Ausland gesteigert werden.

Auch die Fachpolitiker haben verstanden, dass angesichts der neuen Aufträge, Aufgaben und Herausforderungen in mehrfacher Hinsicht eine Erwartungshaltung besteht, die sich seit 2019 aufgestaut hat.

Zum Ersten besteht Anpassungsdruck von innen, da die Führungskräfte auf allen Ebenen durch dysfunktionale, nicht an den Auftrag angepasste Strukturen und Prozesse an einer effektiven Führung gehindert werden.

Zum Zweiten besteht ein Anpassungsdruck von außen, weil unsere Verbündeten teilweise längst mit den Nachjustierungen ihrer Streitkräfte begonnen und uns an die politisch zugesagten Nato – Planungsziele, insbesondere für die der Landes- und Bündnisverteidigung, mehrfach erinnert haben.

Und schließlich besteht Drittens ein gesamtgesellschaftlicher Druck, weil eine effektiv am Auftrag ausgerichtete Bundeswehr auch mittelfristig weiterhin einen steigenden Verteidigungshaushalt benötigt (Stichwort: Modernisierungsbedarf), aber das Geld durch ein optimiertes Fähigkeits- sowie Rüstungsmanagement eben auch besser verwendet werden könnte. Und das mit Blick auf die ressortübergreifend zu erwartenden Sparauflagen als Folge der Pandemie auch müsste.

Politik wie Bundeswehr dürfen nicht die Augen vor den weltweiten Veränderungen verschließen. Und da sich die Welt nicht an uns anpasst, müssen wir uns den Rahmenbedingungen in der Welt anpassen, was bedeutet, dass wir die Bundeswehr so passgenau organisieren müssen, dass unser Puzzlestück in das Gesamtbild unserer westlichen wertebasierten Sicherheitsarchitektur passt. Alles andere wäre nicht nur ineffizient, sondern vielmehr nicht effektiv. Und nicht effektive Streitkräfte können wir uns aufgrund der weltweiten Risiken und Bedrohungen nicht leisten. Sie sind es schließlich, die neben der damit verbundenen Abschreckung den Dialog ermöglichen, den wir als Grundlage für Abrüstung und Frieden brauchen. 

In den kommenden Tagen kommt es darauf an, die Untersuchungen unter Einbindung der Verteidigungspolitiker bis zur nächsten parlamentarischen Sitzungswoche abzuschließen und so dann Parlament, Öffentlichkeit und Bundeswehr über die Eckpunkte sowie Organisationsentscheidungen inklusive weiterer Untersuchungen zu informieren.

Gut ist, dass die Verteidigungsministerin bereits klargestellt hat, dass die personelle Obergrenze von 203.300 Soldaten, darunter freiwillig Wehrdienstleitende und Reservisten, plus rund 72.000 Zivilbeschäftigte auch künftig Bestand haben soll. Ebenso wichtig ist die Aussagen, dass keinerlei Standortschließungen im Raum stehen und es bei einer ministeriellen Abbildung in Bonn sowie Berlin bleiben soll. Des Weiteren ist gut und richtig, dass unser Gesundheitswesen mitsamt dem Sanitätsdienst, gleich wie dieser organisiert wird, auf dem aktuell hohen Qualitätsniveau bleiben soll - im Inland wie in den Einsatzgebieten.

Unabhängig davon, was genau wie mit dem Ziel einer gesteigerten Einsatzbereitschaft der Bundeswehr auf den Weg gebracht wird, sind für uns die wesentlichen Kriterien klar, die für den Erfolg einer Anpassung stehen: Zuerst müssen die Menschen der Bundeswehr durch eine entsprechend gute sowie alle Ebenen durchdringende Kommunikation über Ziele, Absicht, Maßnahmen und Notwendigkeiten informiert werden. Des Weiteren muss garantiert werden, dass die Maßnahmen nicht zu Minderungen der Attraktivität der unterschiedlichen Berufszweige im Bereich der Zivilbeschäftigten sowie insbesondere auch bei den Soldatinnen und Soldaten führen.

Als Berufsverband verschließen wir nicht die Augen vor notwendigen Veränderungen. Im Gegenteil, wo unsere Mitgliedschaft dies für erforderlich hält, fordern wir diese ein. Jedoch stets eingebettet in einen Sozialplan und reformbegleitende Maßnahmen, wie wir sie in den letzten Jahren gemeinsam mit Regierung und Parlament erarbeitet hatten.

Wer um die veränderte Auftragslage und dem damit angestauten Anpassungsbedarf der Bundeswehr weiß, kann sich den vorbereiteten Entscheidungen nicht verschließen – so ungünstig der Zeitpunkt vor einer Bundestagswahl auch sein mag. Die Streitkräfte warten seit 2018, es ist höchste Zeit. 

Mit Rat und Hilfe stets an Ihrer Seite!

Nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Alle Ansprechpartner im Überblick