Zukunftsvision eines ITHACUS-Transporters mit den außen befestigten Flüssigwasserstofftanks auf der Startrampe. Mit flüssigem Wasserstoff angetriebene Flugzeuge wird es wohl erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts geben. Repro: DBwV/Archiv

Zukunftsvision eines ITHACUS-Transporters mit den außen befestigten Flüssigwasserstofftanks auf der Startrampe. Mit flüssigem Wasserstoff angetriebene Flugzeuge wird es wohl erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts geben. Repro: DBwV/Archiv

18.03.2023
Von Michael Rudloff

Soldaten mit Raketenrucksäcken: Über "kühne Projekte für US-Raumtransporte" berichtete 1965 "Die Bundeswehr"

Der Wettlauf der politischen Systeme bei der Eroberung des Weltalls und deren Auswirkungen auf die Sicherheitspolitik bildete in den ersten beiden Jahrzehnten unseres Verbandsmagazins einen Schwerpunkt der Berichterstattung. Utopische Ideen verwandelten sich innerhalb kurzer Zeit in realistische Optionen. Angesichts wachsendender Spannungen wurden technische Innovationen in den Beiträgen auf ihren militärischen Nutzen geprüft. Im Jahrgang 1963 führte das Blatt eine regelmäßige „Monatsübersicht Raketenforschung“ ein. Einer der Autoren zu diesem Thema war der Verfasser mehrerer militärgeschichtlicher Publikationen über Steilfeuer- und Eisenbahngeschütze, Gerhard Taube. In der Februarausgabe 1965 der „Bundeswehr“ widmete er sich ambitionierten technischen Projekten der USA, die Präsident Johnson am 22. Dezember 1964 verkündet hatte. Diese sollten eine rasche Verlegung amerikanischer Militäreinheiten in weit von den USA entfernte Krisenregionen ermöglichen.

Ein Riesenflugzeug für weit entfernte Einsatzgebiete

Anfang der Sechzigerjahre gärte es in den Ländern Südostasiens, des Nahen Ostens und in Nordafrika. In die Spannungen der Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West hatten sich innere Machtkämpfe, Bürgerkriege und bewaffnete zwischenstaatliche Konflikte gemischt. Im August 1964 waren die USA nach einem angeblichen Angriff auf den Zerstörer Maddox in den Krieg gegen Nordvietnam eingetreten. Daher stand der Bau eines „Riesen-Transportflugzeuges“ mit der vorläufigen Bezeichnung „CX“ im Mittelpunkt der Ankündigungen des Präsidenten. Dieser „Düsen-Gigant“ sollte in fünf bis sechs Jahren in Dienst gestellt werden, das doppelte Gewicht einer Boeing 707 haben sowie „ohne Auftanken 16.000 Kilometer zurücklegen und bis zu 700 Soldaten mit schweren Infanteriewaffen oder rund 120 Tonnen Fracht in wenigen Stunden an alle möglichen Krisenherde in der Welt bringen“. Es gelang, dieses Vorhaben in der vorgesehenen Zeit zu realisieren. In einem Ausschreibungsverfahren favorisierte die Bewertungskommission aus technischen Gründen den Entwurf von Boeing.

Mit Blick auf die Kosten erteilte Verteidigungsminister Robert McNamara jedoch der Firma Lockheed den Produktionsauftrag über 115 Maschinen des firmenintern L-500 und von der Air Force C-5A Galaxy genannten Flugzeugs. Genau fünf Jahre nach der Ankündigung wurde das erste Exemplar des zu dieser Zeit größten Flugzeugs der Welt ausgeliefert. Es hielt diesen Rekord über viele Jahre. Erst das 1982 in Dienst gestellte sowjetische Gegenstück Antonow An-124 lief ihm diesen Rang ab. Zunächst sah es jedoch nicht nach einer Erfolgsgeschichte aus. Technische Probleme und erforderliche Umbauten ließen anfangs die Kosten aus dem Ruder laufen. Modernisierte Maschinen des Typs C-5M Super Galaxy sind heute noch im Einsatz und werden voraussichtlich bis ins Jahr 2040 eine bedeutende Rolle bei den US-Streitkräften spielen.

Truppenverlegung durch den Weltraum

Besonders beeindruckt zeigte sich der Autor von „Aussagen amerikanischer Experten, selbst dieses Transportmittel durch ein weit kühneres Projekt in den Schatten“ zu stellen, mit dem „ein ganzes Bataillon durch den Weltraum in weniger als einer Stunde nach allen Punkten der Erde ‚geschossen‘ werden“ könne. Die Fortschritte im Wettlauf der beiden Supermächte um die Eroberung des Weltraums regten die Fantasie der Konstrukteure an. Nichts schien unmöglich. Der Gedanke, Soldaten mit ballistischen Raketen schnell zu weit entfernten Einsatzorten zu verlegen, war nicht ganz neu. Bereits 1956 hatte die Army Ballistic Missile Agency unter der technischen Leitung des Raketenpioniers Wernher von Braun vorgeschlagen, Jupiter-C-Raketen mit einer 18-Mann-Truppenkapsel auszustatten. Eine Kombination aus Fallschirmen und Bremsraketen sollte sie im Einsatzgebiet sicher zu Boden bringen. Die Reichweite dieser aufwendigen und riskanten Technik lag allerdings nicht wesentlich über der eines zu dieser Zeit im Einsatz befindlichen Hubschraubers und vermochte daher die Militärs nicht zu überzeugen.

Mit dem Beginn des Jahres 1964 übernahm General Wallace M. Greene jr. das Kommando der US-Marine-Infanterie. Innerhalb der nächsten vier Jahre erhöhten die US-Militäreinheiten ihre Präsenz in Südostasien angesichts des Vietnamkrieges massiv. Greene war offen für Innovationen, selbst wenn diese zunächst utopisch anmuteten. Er ermutigte eine Gruppe von Offizieren, zwanzig Jahre in die Zukunft zu blicken. Die von ihm inspirierte Studie „MarCor 85“, deren Grundzüge heute Teil der Doktrin des Marine Corps sind, enthielt Vorschläge für die Erfordernisse eines modernen Schlachtfeldes, etwa der Einsatz satellitengestützter Zielmarkierungssysteme.

In weniger als einer Stunde an jedem Ort der Welt

Auf Initiative Greens wurde die Firma Douglas Aircraft im kalifornischen Santa Monica beauftragt, ein Landeraketen-Konzept zu entwickeln, welches den Gedanken Wernher von Brauns aufgriff und weiterentwickelte. Mit diesem Projekt wurde ein eigenwilliger Raketenwissenschaftler, Philip Bono, betraut. Der Sohn italienischer Einwanderer verfolgte einen neuen Ansatz, die mehrstufigen Jupiter- und Redstone-Raketen durch ein einstufiges Triebwerk zu ersetzen. Das 1964 durch ihn entwickelte Reusable Orbital Module-Booster & Utility Shuttle (ROMBUS) war eine wiederverwendbare Trägerrakete, bei der in einem Ring um die die stumpfe, abgerundete Basis nach unten ausgerichtete kleine Raketen mit einem kombinierten Schub den erforderlichen Auftrieb erzeugen. Beim Wiedereintritt in die Atmosphäre dient die abgerundete Basis als Hitzeschild. Das für das auf diesem Prinzip aufbauende Rüstungsprojekt gewählte Akronym „ICARUS“ (InterContinental Aerospacecraft Range-Unlimited System) wurde angesichts des unglücklichen Endes des mythologischen Namensgebers bereits nach kurzer Zeit in „ITHACUS“ abgeändert.

Eine im Sommer 1964 vorgelegte Studie sah eine Mehrwegrakete mit einem Durchmesser von rund 25 Metern und einer Höhe von 64 Metern vor. Sechs Decks, die etwa die Hälfte der Rumpfhöhe einnehmen, waren für den Transport von bis zu 1200 Soldaten mit Waffen und Ausrüstung ausgelegt. Für den Antrieb war ein Gemisch aus verflüssigtem Wasserstoff und Sauerstoff im unteren Teil des Flugkörpers vorgesehen. Der konische Rumpf war von einem „Gürtel“ aus acht abnehmbaren Tanks für Flüssigwasserstoff umgeben, die nach dem Start abgeworfen werden sollten. Von einer speziellen Abschussrampe auf einem der amerikanischen Militärstützpunkte startend, hätten bei einer Geschwindigkeit von 27.000 Kilometern pro Stunde die zugewiesenen Kampfmissionen an jedem Ort der Welt innerhalb von 45 bis 50 Minuten eingenommen werden können. Über eine große Anzahl von Türen und Tore sollten die Kämpfer mit Teleskoprampen, Strickleitern und mit Raketenrucksäcken, sogenannten Jetpacks, zügig ihre Position einnehmen.

Gedanken hatte man sich auch über den Verbleib der Rakete nach dem „Ausbooten“ der Insassen gemacht. Für einen eigenständigen Rückflug zur Basis wäre der dann noch in den Tanks verfügbare Treibstoff nicht ausreichend gewesen. Mit einer verbliebenen Reserve sollte das nächstgelegene Meer erreicht werden, wo die Rakete gewässert und durch spezielle Transportschiffe geborgen werden könnte. Eine kleinere, halb so große Version der Rakete mit der Bezeichnung „ITHACUS 100 T“ hätte immerhin noch 170 Fallschirmjäger oder 60 Tonnen Fracht transportieren können. Es war vorgesehen, sie bei Bedarf von einem modifizierten Atom-Flugzeugträger vom Typ der Enterprise-Klasse aus zu starten.

Gewichtige Gegenargumente

Der Autor des Beitrags in der „Bundeswehr“ betonte das „ernsthafte Interesse“, das diesem Projekt entgegengebracht wurde, nachdem sich General Green „für die zukunftsweisenden Planungen und deren Verwirklichung“ ausgesprochen habe. Bei aller Euphorie über die unbegrenzt erscheinenden technischen Möglichkeiten verwies er auf die Argumente der „zahlreichen Gegner“ dieses Vorhabens, wonach „in einem künftigen Krieg … der Einsatz von Infanteristen mittels derart kostspieliger Apparate, die wegen ihrer Größe zudem ein leichtes Ziel darstellen, illusorischen Charakter“ hat. Befürworter hätten dem entgegnet, dass „schließlich jeder Einsatz von jeglichen Waffen mit Risiken verbunden ist, außerdem soll diese moderne ‚Feuerwehr‘ lediglich für ein Beilegen von Konflikten konventioneller Art bestimmt sein“.

Zu kompliziert, zu teuer, unpraktisch im Betrieb und ohne größere Chance, die zugedachte Aufgabe zu erfüllen – dieses vernichtende Urteil fällten Experten des Marine Corps und des US-Militärs nach Analyse des Projektes. Philip Bonos Idee, eine kleinere Version von ITHACUS für touristische Ausflüge ins All auf den Markt zu bringen, war ohne den Auftrag des Militärs nicht zu finanzieren. Das futuristische Design von ITHACUS endete zunächst als Attraktion einer fiktiven Weltraummission in Disneyland und Modellbausatz. In den letzten Jahren wurden jedoch einige der zukunftsweisenden Konzepte Bonos durch private Investoren realisiert.

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