Symbolbild: Das Hawk-Luftabwehrsystem wurde seit 1963 bei der Bundeswehr eingesetzt. Ab 1981 mussten zur Wartung am Radar Bleischürzen getragen werden. 1998 bestätigte eine der Herstellerfirmen, dass die Geräte Krebs auslösen könnten. Foto: picture-alliance/ ZB | Jens Kalaene

Symbolbild: Das Hawk-Luftabwehrsystem wurde seit 1963 bei der Bundeswehr eingesetzt. Ab 1981 mussten zur Wartung am Radar Bleischürzen getragen werden. 1998 bestätigte eine der Herstellerfirmen, dass die Geräte Krebs auslösen könnten. Foto: picture-alliance/ ZB | Jens Kalaene

22.04.2021
ssc

Strahlenschäden bis in die Folgegeneration

Kinder von Radarsoldaten weisen höhere Rate an Genmutationen auf

Prof. Dr. Peter Krawitz ist Leiter des Instituts für Genomische Statistik und Bioinformatik an der Universitätsklinik Bonn. Im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums untersuchen er und seine Kollegen, ob die erhöhte Strahlenbelastung von Radarsoldaten zu Erbgutschäden bei den Nachkommen führt. Die Studie läuft seit rund drei Jahren und wird voraussichtlich zum Jahresende abgeschlossen. Dem DBwV gibt der Wissenschaftler dennoch ein Zwischenfazit.

„Die Schwierigkeit ist, dass man auf der einen Seite die Ergebnisse möglichst interessant darstellen möchte, auf der anderen Seite die Menschen aber nicht verängstigen möchte“, bringt Peter Krawitz es auf den Punkt. Es geht in der Studie seines Teams nicht darum, Fallstatistiken von Kindern mit Organfehlbildungen, sechs Fingern und kognitiven Entwicklungsstörungen anzufertigen. Es geht darum, messbare Hinweise einer Veränderung im Erbgut zu finden, die aber nicht zwangsläufig Gesundheitsschädigungen nach sich ziehen müssen.

Dass bis in die 80er Jahre Soldaten auf militärischen Radaranlagen schädlicher Röntgenstrahlung ausgesetzt waren und viele von ihnen heute unter Krebs und anderen Folgeschäden leiden, ist traurige Tatsache. Doch immer wieder rücken auch Kinder dieser Radarsoldaten mit körperlichen Behinderungen in den Fokus. Lässt sich der Schaden auf die Strahlungsexposition der Väter zurückführen? Um hier eindeutig zu klären: Die Soldaten der Bundeswehr und NVA, die im Dienst hochfrequenter ionisierender Strahlung ausgesetzt waren (Exposition), sind inzwischen an die sechzig bis achtzig Jahre alt. Insofern handelt es sich bei dem Begriff „Kind“ um erwachsene Personen von vierzig Jahren aufwärts.

Prof. Dr. Krawitz und sein Team kämpfen bei der Forschungsreihe gegen die bestehende Lehrbuchmeinung. Diese besagt, dass Strahlenschäden nicht an die nächste Generation weitergegeben werden. Diese Lehrbuchmeinung stützt sich auf Untersuchungen an Kindern der Atombombenopfer von Hiroshima oder den Strahlenopfern von Chernobyl. Die zeitliche Verteilung der Strahlendosis ist aber gar nicht vergleichbar, erklärt der 40-Jährige. „Wenn man sich die Überlebenden von Hiroshima anguckt, haben die ihre Strahlendosis innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums abbekommen, die einmalige Dosis war sehr hoch. Bei den Radarsoldaten steht eher die über einen längeren Zeitraum applizierte Dosis im Vordergrund. Untersuchungen der Auswirkung dieser Art von Bestrahlung auf die nächste Generation wurden bisher gar nicht durchgeführt.“

Was ist ein Genom?
Die Gesamtheit der vererbbaren Informationen einer Zelle bezeichnet man als Genom oder Erbgut. Es ist die Erbinformation, die an die nächste Generation weitergeben wird, beziehungsweise die Hälfte davon, denn das Genom liegt in doppelter Ausführung vor. Von den 22 Chromosomen im Erbgut gibt es jeweils eine Kopie mütter- und väterlicherseits. Die Gesamtgröße des Genoms besteht also aus zwei mal 3,2 Gigabasen (3,2 Mrd. Basenpaaren).

Die Studie der Universitätsklinik Bonn gliedert sich grob in drei Abschnitte.

In der Rekrutierungsphase wurden betroffene Soldatenfamilien gesucht. In der zweiten Phase steht die Generierung der Rohdaten im Vordergrund und in der dritten, derzeit noch andauernden Phase die Auswertung. Insgesamt können die Forscher inzwischen auf Daten von 80 Soldatenfamilien zurückgreifen.

Schlüssel für die Forschungsreihe ist die Methode der Genom-Trio-Sequenzierung. „Das heißt, wir schauen uns die komplette Erbinformation mindestens in einem Nachkommen und den beiden Eltern an. Wir entnehmen Untersuchungsmaterial aus Blut oder Speichel und führen da eine komplette Sequenzierung der zwei mal 3,2 Gigabasen durch“, erklärt Peter Krawitz. Dabei ist das Auffinden einer Neumutation im Genom des Kindes an sich noch nicht ausschlaggebend. Neumutationen treten bei jedem Menschen auf, auch Multisite de novo Mutationen sind nicht außergewöhnlich. Es gilt herauszufinden, ob die Anzahl an Mutationen höher ist als in einer nicht exponierten Kontrollgruppe, die von der Altersstruktur vergleichbar ist. Zudem müssen die Wissenschaftler beweisen, dass die MSDN Mutationen im Erbgut der Keimbahn des radargeschädigten Elternteils auftraten. „Wie kann ich jetzt also diese Frage beantworten, ob die MSDNs auf das Spermium oder die Eizelle zurückzuführen ist? Dazu brauche ich einen informativen Marker, eine Veränderung in der Nähe der Neumutation, die nur dieser Elternteil trägt.“

Was sind „Multisite de novo Mutationen“ (MSDNs)?
Bei einer Mutation handelt es sich vereinfacht ausgedrückt um einen Kopierfehler. Tritt eine Anhäufung (Cluster) dieser Kopierfehler auf engem Raum des Genoms auf, spricht man auch in Kurzform von MSDNs. Das bedeutet, zwei oder mehr Schäden treten benachbart auf einer Strecke von 20 Basenpaaren im Erbgutstrang auf, also einem sehr kleinen Teil des Genoms.

Es ist die diffizile Suche nach einem Biomarker, der etwas darüber aussagen kann, ob das Erbgut der Erzeuger einer unnatürlichen Schädigung ausgesetzt war. Und befragt nach dem Zwischenfazit der aktuellen Studie scheint die Suche von Erfolg gekrönt. „Haben wir hier etwas, das wir messen können, was sich deutlich von der Kontrollkohorte unterscheidet? Ja, wir gehen davon aus, dass wir etwas ungewöhnliches sehen“, formuliert Prof. Dr. Krawitz.

Bereits 2018 war es den Wissenschaftlern seines Teams gelungen, in einer Pilotstudie mit 12 Familien Hinweise auf eine erhöhte Mutationsrate bei den Nachkommen der radargeschädigten Soldaten zu finden. Allerdings war seinerzeit der Versuchsaufbau anders. Zum einem war die Strahlenbelastung der Pilotgruppe vermutlich höher. „Es ist verständlich, dass sich in der ersten Studie besonders die melden, die ganz viel Strahlung abbekommen haben und in der nächsten Studie die Exposition dann schon im Mittel niedriger ist“, betont der 40-Jährige. Darüber hinaus wurden in der Pilotgruppe nur Familien untersucht, in denen ein Kind bereits eine Fehlbildung hatte, bei der eine genetische Ursache möglich erschien. In der aktuellen Studie war allein die Exposition des Elternteils Voraussetzung zur Teilnahme und klinische Auffälligkeiten wurden nur dokumentiert, um sie in der statistischen Auswertung mit berücksichtigen zu können.

„In der Pilotstudie haben wir ca. einen Faktor 2 mehr MSDNs in der Fallgruppe beobachtet als in der Kontrollgruppe. Jetzt liegen wir um den Faktor 1,5 höher. Das sind immer noch 50 Prozent mehr als in der Kontrollgruppe“, resümiert Peter Krawitz. Der Wissenschaftler betont aber noch einmal ausdrücklich, dass es sich bei diesen Zahlen um einen Biomarker handelt, nicht um einen Schaden klinischer Relevanz. Dennoch ist das vorläufige Zwischenfazit von erheblicher Bedeutung für die strahlengeschädigten Soldaten und ihre Familien.

Die Radarstrahlenproblematik ist seit nunmehr 20 Jahren Thema von Auseinandersetzungen in Beschädigungsverfahren ehemaliger Soldaten. Bis heute müssen die Geschädigten ihre Ansprüche in komplexen Verfahren und Sachverhaltsermittlungen durchkämpfen. „Diese Diskussionen mit den Betroffenen waren bisher deswegen so ermüdend und langwierig, weil sie immer an einen Punkt gekommen sind, wo das eine Lager sagt, da war ja nichts und die anderen sagen, jawohl, da war was. Und jetzt…“, erläutert der Forschungsleiter, „haben wir die Möglichkeit einer Messung, wir können diese Diskussion erheblich versachlichen […] und einen kleinen Beitrag leisten.“

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